In weniger als zwei Monaten stimmen wir über die Pflegeinitiative ab. Sie hat zum Ziel, die Arbeitsbedingungen für Pflegefachpersonen zu verbessern und die Attraktivität der Pflegeberufe zu steigern. Die Initiantinnen haben gestern mit einer Medienkonferenz die Ja-Kampagne lanciert. Federführend ist der Berufsverband der diplomierten Pflegefachpersonen (SBK).
Der Verband geniesst zwar Unterstützung von den Grünen und der SP, doch es gibt Widerstand aus den eigenen Reihen. Zahlreiche Pflegeverbände – darunter Spitex Schweiz, Curaviva und H+, der Verband der Schweizer Spitäler, – lehnen die Initiative ab und plädieren für den indirekten Gegenvorschlag, den das Parlament ausgearbeitet hat. Dieser zielt auf die finanzielle Unterstützung der angehenden Pflegefachkräfte und die Erweiterung ihrer Kompetenzen. Wird die Initiative abgelehnt, tritt der Gegenvorschlag in Kraft.
Marianne Pfister ist Geschäftsführerin von Spitex Schweiz. Ihre Organisation teile grundsätzlich die Anliegen des SBK. Doch:
Deshalb unterstütze Spitex Schweiz den indirekten Gegenvorschlag: «Er erlaubt, dass wir die griffigen Massnahmen rasch umsetzen können. Bei Annahme der Initiative würde das wohl noch Jahre dauern», so Pfister weiter.
Tatsache ist: Wenn das Volk die Pflegeinitiative annimmt, wird es mit grosser Wahrscheinlichkeit mehrere Jahre dauern, bis ein Umsetzungsvorschlag vorliegt, der breit akzeptiert wird.
Aus ebendiesem Grund hat auch H+, der nationale Verband der öffentlichen und privaten Spitäler und Pflegeinstitutionen, entschieden, die Initiative abzulehnen. «Wir brauchen sofortige und substanzielle Lösungen für den Pflegenotstand», sagt Direktorin Anne Bütikofer. Die Ausbildungsoffensive ermögliche, dass innert weniger Jahre mehr Pflegefachkräfte zur Verfügung stehen würden.
Die Pflegeinitiative geht zudem aus Sicht des Spitalverbands in einigen Punkten zu weit: «Bessere Arbeitsbedingungen nur für eine bestimmte Berufsgruppe sowie eine bestimmte Anzahl Pflegende pro Schicht können nicht auf Verfassungsebene gelöst werden», so Bütikofer. Dies müsse man kantonal im sozialpartnerschaftlichen Dialog regeln.
Ähnliche Argumente führt Daniel Höchli an. Er ist Direktor von Curaviva, einem Branchenverband, der landesweit mehr als 2700 Institutionen für Kinder und Jugendliche, Menschen mit Behinderung und Menschen im Alter vertritt. Auch Höchli verweist auf die rasche Umsetzbarkeit des Gegenvorschlags: «Er kann schnell auf die Problematik des Fachkräftemangels einwirken. Zusammen mit der Attraktivitätssteigerung des Berufs können die Personalengpässe rasch entschärft werden.»
Der SBK entgegnet der Kritik: «Wir haben in den Übergangsbestimmungen der Initiative verankert, dass der Bundesrat innerhalb von 18 Monaten nach Annahme Massnahmen gegen den Mangel an Pflegefachkräften erlassen muss.» Geschäftsführerin Yvonne Ribi gibt aber zu: «Letztlich hängt es vom Parlament ab, wie lange es dauert, die Gesetze auszuarbeiten.»
Auch der Hinweis, das gehöre nicht in die Verfassung ist schwach. Das gilt für fast jede Initiative. Es war das Parlament, dass die Gesetzesinitiative abgeschafft hat.
Was nützt eine Ausbildungsoffensive, wenn die Leute nach wenigen Jahren wieder davonlaufen. Es müssen auch Verbesserungen bei den Arbeitsbedingungen passieren.
Der Engpass beim ausgebildeten Personal im Gesundheitswesen ist schon lange bekannt. Der Pflegekräftemangel ist die Quittung für die starren Strukturen beim Lohn und den Arbeitsbedingungen sowie für die fehlenden Ausbildungsplätze. Löhne und Arbeitsbedingungen bei den eher mühsamen Handwerks- und Pflegeberufen müssten im Verhältnis zu den Büroberufen schon längst besser sein, um deren Attraktivität steigern zu können.