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Gesundheit

Sterbehilfe-Regeln angepasst: Exit befürchtet «nur unnötiges Leiden»

Wann ist man krank genug, um sterben zu dürfen? Die neuen Richtlinien geben zu reden

Die Schweizer Akademie für Medizinische Wissenschaften legt fest, in welchen Fällen Ärzte Suizidhilfe leisten dürfen. Was heute erlaubt ist, soll damit eingeschränkt werden.
11.07.2022, 21:1012.07.2022, 14:47
Andreas Maurer / ch media
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Das Schweizer Recht ist bei der Suizidhilfe liberal. Es schreibt nur vor, dass diese nicht aus «selbstsüchtigen Beweggründen» geleistet werden darf, die Patienten das Sterbemittel selber einnehmen und urteilsfähig sein müssen.

Strenger ist die Schweizer Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Sie hat kürzlich neue ethische Richtlinien aufgestellt. Die Ärztegesellschaft FMH hat die neue Version in ihre Standesordnung aufgenommen und damit für ihre Mitglieder verbindlich gemacht.

Das Schlafmittel Pentobarbital wird zuhause von Sterbewilligen eingenommen, aufgenommen bei EXIT Schweiz in Zuerich, am Freitag, 5. Dezember 2008. (KEYSTONE/Alessandro Della Bella)
Das Sterbemittel Pentobarbital.Bild: KEYSTONE

Neu sind diese drei Punkte

  1. Ärzte müssen grundsätzlich zwei ausführliche Patientengespräche im Abstand von mindestens zwei Wochen führen.
  2. Es muss ein schwerwiegendes Leiden vorliegen, das mit entsprechender Diagnose und Prognose belegt wird.
  3. Auch das Umfeld der Patienten muss einbezogen werden.

Exit befürchtet «nur unnötiges Leiden»

Die Suizidhilfeorganisationen kritisieren die neuen Vorgaben. Exit-Präsidentin Marion Schafroth kündigt auf Anfrage an, sie werde sich nicht daran halten. Sie werde das Sterbemittel als Konsiliarärztin in klaren Fällen weiterhin nach nur einem Besuch ausstellen:

«Wenn jemand leidet und so schnell wie möglich sterben will, und ich merke, dass der Entscheid wohlüberlegt ist, dann verursacht ein zweites Gespräch nur unnötiges Leiden.»

Die Richtlinien würden der konstanten Rechtsprechung widersprechen. Sie befürchte, dass dadurch noch mehr Ärzte als heute von der Suizidhilfe abgeschreckt würden.

FMH will Patienten schützen

Die FMH widerspricht. Es handle sich lediglich um eine Präzisierung. Es gehe dabei auch um den Schutz der Patientinnen und Patienten. FMH-Kommunikationschefin Charlotte Schweizer macht ein Beispiel: Es sei nachvollziehbar, dass eine Person sich nach dem Verlust ihres langjährigen Lebenspartners ein Leben ohne ihn nicht vorstellen könne. Dies könne aber ein Jahr später anders aussehen. Ärztinnen und Ärzte sollten nur dann Suizidhilfe leisten, wenn sie sicher seien, dass der Sterbewunsch langfristigen Bestand habe. Sie sagt:

«Es wäre eine gefährliche Entwicklung, wenn in solchen Fällen ein assistierter Suizid als normaler Ausweg gilt. Stattdessen sollte sich die Gesellschaft besser um einsame Menschen kümmern.»

Das Beispiel ist nicht fiktiv. Kürzlich wurde ein derartiger Fall vor Bundesgericht verhandelt. Eine 86-jährige gesunde Frau beging gemeinsam mit ihrem todkranken Mann einen assistierten Suizid. Der Arzt wurde jedoch freigesprochen.

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Sterbehilfe für gesunde Menschen?
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112 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Betty White's Ghost
11.07.2022 21:40registriert Juni 2022
Ich habe da vielleicht eine etwas zu radikale Meinung dazu: Jede Person, die urteilsfähig und bei vollem Verstand ist, soll selber entscheiden können, wann für sie ein Leiden so unerträglich ist, dass es einfach nicht mehr geht.
Wieso muss man dieser Person noch zusätzlich Steine in den Weg legen?
Diese Art von Bevormundung hat noch selten irgendjemandem was genützt.
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Einstürzende_Altbauten *
11.07.2022 21:31registriert Dezember 2014
Menschen sollen selbstbestimmt leben und genauso selbstbestimmt sterben dürfen. Es ist heute schon ein Unding, dass Menschen keine Suizidhilfe erhalten, weil sie nicht selbständig in der Lage sind, die Medikamente einzunehmen. Wer sind wir zu entscheiden, wann das Leiden gross genug ist? Ein unsägliches Drama dieses Thema. Zynisch gesagt quasi das Equivalent zu Schwangerschaftsabbrüchen, einfach am anderen Ende.
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Alice36
12.07.2022 06:00registriert Juni 2017
«Es wäre eine gefährliche Entwicklung, wenn in solchen Fällen ein assistierter Suizid als normaler Ausweg gilt. Stattdessen sollte sich die Gesellschaft besser um einsame Menschen kümmern.

Die Gesellschaft kümmert sich nicht besser um Menschen, im Gegenteil man wird vom „Gesundheitssystem“ abgezockt bis zum Ende. Spitalmaschinen und ausgebranntes Personal in Heimen tragen eine Verantwortung die sie gar nicht stemmen können, demente ünd lebensmüde Menschen werden genötigt bis zum Ende dem System zu dienen auf das es Überlebe.
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