Wann ist man krank genug, um sterben zu dürfen? Die neuen Richtlinien geben zu reden
Das Schweizer Recht ist bei der Suizidhilfe liberal. Es schreibt nur vor, dass diese nicht aus «selbstsüchtigen Beweggründen» geleistet werden darf, die Patienten das Sterbemittel selber einnehmen und urteilsfähig sein müssen.
Strenger ist die Schweizer Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Sie hat kürzlich neue ethische Richtlinien aufgestellt. Die Ärztegesellschaft FMH hat die neue Version in ihre Standesordnung aufgenommen und damit für ihre Mitglieder verbindlich gemacht.
Neu sind diese drei Punkte
- Ärzte müssen grundsätzlich zwei ausführliche Patientengespräche im Abstand von mindestens zwei Wochen führen.
- Es muss ein schwerwiegendes Leiden vorliegen, das mit entsprechender Diagnose und Prognose belegt wird.
- Auch das Umfeld der Patienten muss einbezogen werden.
Exit befürchtet «nur unnötiges Leiden»
Die Suizidhilfeorganisationen kritisieren die neuen Vorgaben. Exit-Präsidentin Marion Schafroth kündigt auf Anfrage an, sie werde sich nicht daran halten. Sie werde das Sterbemittel als Konsiliarärztin in klaren Fällen weiterhin nach nur einem Besuch ausstellen:
Die Richtlinien würden der konstanten Rechtsprechung widersprechen. Sie befürchte, dass dadurch noch mehr Ärzte als heute von der Suizidhilfe abgeschreckt würden.
FMH will Patienten schützen
Die FMH widerspricht. Es handle sich lediglich um eine Präzisierung. Es gehe dabei auch um den Schutz der Patientinnen und Patienten. FMH-Kommunikationschefin Charlotte Schweizer macht ein Beispiel: Es sei nachvollziehbar, dass eine Person sich nach dem Verlust ihres langjährigen Lebenspartners ein Leben ohne ihn nicht vorstellen könne. Dies könne aber ein Jahr später anders aussehen. Ärztinnen und Ärzte sollten nur dann Suizidhilfe leisten, wenn sie sicher seien, dass der Sterbewunsch langfristigen Bestand habe. Sie sagt:
Das Beispiel ist nicht fiktiv. Kürzlich wurde ein derartiger Fall vor Bundesgericht verhandelt. Eine 86-jährige gesunde Frau beging gemeinsam mit ihrem todkranken Mann einen assistierten Suizid. Der Arzt wurde jedoch freigesprochen.
