«Der Account @deinTherapeut ist ein Desaster. Sein Name ist eine Anmassung, sein Aktivismus ein Witz, seine Community toxisch» – mit diesen Worten startet die Twitter-Userin und Bloggerin Robin einen kleinen Shitstorm. Stein des Anstosses: Twitter-User Norman oder @deinTherapeut, 25-jährig, über 34'000 Follower, ehemaliger Psychologie-Student und seines Zeichens «Mental-Health-Aktivist».
Der Account @deinTherapeut ist ein Desaster. Sein Name ist eine Anmaßung, sein Aktivismus ein Witz, seine Community toxisch, der von ihm geführte Discord ein fahrlässig geführter Schweinestall und der Umgang mit seinem Vater grauenhaft. Mein Beitrag: https://t.co/G1m0lTqrNY
— Robin (@robin_urban) 4. Dezember 2018
Im März 2018 eröffnete Norman auf Discord, einem Online-Dienst, der Internet-Telefonie und Chat-System zugleich ist, einen neuen semi-öffentlichen Server. Er nannte ihn «Gruppentherapie» und schrieb dazu:
Nach vier Monaten hatte der Server laut Norman über 3000 Mitglieder. In dieser virtuellen Selbsthilfegruppe tauschen sich seither zahlreiche User, darunter viele Jugendliche, auf zahlreichen Kanälen über verschiedenste Themen aus.
Dazu gehören auch sehr persönliche und explizite Beschreibungen von Selbstverletzungen oder Suizidgedanken. Und genau das wird derzeit auf Twitter harsch kritisiert. Viele Nutzer werfen Norman vor, dass er verantwortungslos mit dem Server umgehe. Dass vermehrt Suizide angedroht werden und nicht darauf reagiert werde und dass Minderjährige als Moderatoren und «Helferlein», agieren und die Diskussionen leiten.
Was qualifiziert die „Moderatoren“ für die „Gruppentherapie“? Wer sorgt für die Einhaltung von Datenschutz, Schutz von Persönlichkeitsrechten, Schutz der Kinder & Jugendlichen vor sich selbst sowie vor Erwachsenen, die psychisch labile Situationen ausnutzen?
— Kassenbewusst (@Kassenbewusst) 29. November 2018
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Unterdessen hat sich sogar der Berufsverband Deutscher Psychologen zum Streit geäussert. In einer bereits wieder zurückgezogenen Stellungnahme* kritisiert der Verband die digitale Selbsthilfegruppe. Es bestehe die Gefahr, «dass die Beschreibung von selbstverletzendem oder suizidalem Verhalten für andere Jugendliche triggernd und im schlimmsten Fall eigenes selbstverletzendes Verhalten auslösen kann.» Zudem müssten Jugendliche, die als «Helferlein» Diskussionen moderieren, zwingend professionell geschult werden.
Dem stimmt auch Thomas Brunner, Leiter von Beratung + Hilfe 147 (ein Angebot von Pro Juventute) zu. Es sei aber zu weit gegriffen, den Server der «Gruppentherapie» komplett zu verteufeln. «Solche Formate können durchaus ihren Nutzen haben», erklärt Brunner. Wenn Jugendliche ihr Schweigen brechen können, indem sie sich mit Gleichgesinnten über persönliche Probleme austauschen, sei das grundsätzlich zu begrüssen.
«Das passiert immer häufiger im Netz – auf Kanälen, in denen sich die Jugendlichen sowieso schon bewegen», so Brunner und nennt ein weiteres Beispiel. «Auf Instagram gibt es sehr viele Influencer, die offen über Themen wie die psychische Gesundheit sprechen. Das zieht viele betroffene Jugendliche an, die sich bei Gleichgesinnten aufgehoben fühlen.»
Problematisch werde es dann, wenn die Beziehungssymmetrie nicht gegeben sei. «Die Peer-to-Peer-Beratung setzt voraus, dass beide Gesprächspartner einander gleichgestellt sind. Es darf nicht impliziert sein, dass jemand mehr weiss als der andere», erklärt Brunner. Dass gewisse Personen als «Helferlein» in Normans «Gruppentherapie»-Chat agieren, sei heikel.
«Wir haben seit April selbst ein Angebot, bei dem von uns geschulte Jugendliche mit anderen Jugendlichen chatten können. Da sind aber stets beide Parteien gleichgestellt, sie sind Kumpels.» Der Chat werde stets von Fachpersonen begleitet. «Eingegriffen wird aber nur im Notfall.»
Der Chat sei sehr beliebt und werde rege genutzt. «Obwohl wir das anfängliche Angebot verdoppelt haben, sind wir bereits wieder an der Kapazitätsgrenze», sagt Brunner. Der Wunsch der Jugendlichen, sich möglichst unkompliziert und anonym im Netz auszutauschen, sei ungebremst.
«Hätten wir Hilfeangebote auf WhatsApp oder Instagram, würden die Anfragen wohl explodieren» vermutet der Leiter Beratung + Hilfe 147. Doch das gehe aus datenschutzrechtlichen Gründen noch nicht.
«Aktuell können wir das nicht verantworten, da die Anonymität nicht gewährleistet ist», erklärt Brunner. «Doch wir sind an den sozialen Kanälen dran. Es wäre grundsätzlich wichtig, auch dort Beratungsmöglichkeiten für Jugendliche anbieten zu können.»
*Die Stellungnahme wurde gemäss dem Berufsverband Deutscher Psychologen zurückgezogen, weil sie dem Twitter-User @deinTherapeut die Möglichkeit zu einer Gegendarstellung geben möchten.