In den USA wird das neue Coronamedikament Paxlovid der Firma Pfizer als «Game Changer» bezeichnet. Eine Notfallzulassung gibt es dort seit vergangenem Dezember, in der EU seit Ende Januar. Nicht so in der Schweiz, die Zulassung durch Swissmedic fehlt. Gemäss Alex Josty ist das Medikament derzeit in «rollender Begutachtung».
«Der Zeitpunkt der Zulassung eines Medikamentes hängt von verschiedenen Faktoren ab. Als kleines Land steht die Schweiz oft nicht zuoberst auf der Liste, wenn Hersteller entscheiden, wo sie Anträge einreichen», sagt Josty. Zudem hätten die nationalen Arzneimittel-Kontrollbehörden unterschiedliche Rechtsgrundlagen. Die USA oder Grossbritannien können Medikamente so wie Paxlovid im Rahmen einer Notfallzulassung zulassen. Josty sagt:
So läuft im Moment diese rollende Begutachtung, in der aufgrund der von Pfizer gelieferten Daten, Paxlovid auf Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit überprüft wird. Swissmedic werde die Öffentlichkeit informieren, sobald eine Entscheidung gefallen sei. Nach der Zulassung durch die Swissmedic ist dann noch eine Empfehlung der schweizerischen medizinischen Fachgesellschaften notwendig, insbesondere der Schweizerischen Gesellschaft für Infektiologie. Erst dann wird Paxlovid frei erhältlich sein.
Paxlovid kann aber theoretisch heute schon eingesetzt werden. In der Covid-Verordnung ist das so aufgeführt und kann somit unter bestimmten Bedingungen des BAG angewendet werden. Paxlovid sei auf Wunsch der Experten in der Covid-Verordnung aufgenommen worden, sagt Simon Ming vom BAG. Dank dieser Aufnahme könnte das Medikament noch vor der Zulassung in Verkehr gebracht werden.
Allerdings ist diese Hintertüre gar nicht offen. Für einen Einsatz sei ein Vertrag mit dem Hersteller notwendig und dieser ist nicht abgeschlossen. «Die Verhandlungen mit der Firma Pfizer zur Beschaffung von Paxlovid laufen mit Hochdruck», sagt Ming. Sobald dieser Vertrag abgeschlossen und die Verfügbarkeit des Medikaments geklärt sei, werde das BAG darüber informieren. Einen Zeitpunkt kann Ming nicht nennen.
So ist das Arzneimittel in der Schweiz also noch nicht erhältlich und wird auch nicht eingesetzt, wie das Kantonsspital St. Gallen und der Infektiologe Huldrych Günthard vom Universitätsspital Zürich bestätigen. Deshalb könnte jemand auf die Idee kommen, das Medikament im Ausland zu beziehen. «Sofern gewisse Bedingungen erfüllt sind, darf Medizinpersonal ein Arzneimittel in kleinen Mengen einführen, auch wenn es in der Schweiz noch nicht zugelassen ist», sagt Ming vom Bundesamt für Gesundheit BAG. «Gemäss unserem Kenntnisstand ist Paxlovid allerdings nicht frei auf dem Weltmarkt verfügbar».
«Paxlovid ist für gewisse Patienten ein interessantes Medikament», sagt Günthard. Es werde in Zukunft nicht nur in Spitälern eingesetzt, weil es sehr unkompliziert in Tablettenform eingenommen wird. «Das ist natürlich um ein Vielfaches einfacher als eine Covid-Therapie mit Antikörpern per Infusion», sagt der Leitende Arzt an der Klinik für Infektiologie des Universitätsspitals Zürich.
«Das Pfizer-Medikament hat grosses Potenzial. Es gibt noch keine anderen Medikamente, die so spezifisch gegen Covid-19 wirken. Von daher kommt die Bezeichnung «Game Changer» in den USA», sagt Urs Greber, Professor für Molekulare Zellbiologie an der Universität Zürich, der in seinem Labor Wirkstoffe gegen verschiedene Viren testet. Paxlovid hat in der Zulassungsstudie eine sehr gute Wirksamkeit gezeigt und verhindert demnach 90 Prozent der schweren Verläufe. Zudem wirkt es als einziges Medikament auch gegen Omikron.
Paxlovid setzt sich aus zwei Medikamenten zusammen: Aus dem neuartigen Nirmatrelvir und dem bekannten Ritovanir. «Man wendet es bei HIV-Patienten schon über 20 Jahre erfolgreich an», sagt Greber. Der neue Wirkstoff Nirmatrelvir ist ein Molekül, das ein Enzym blockiert, das für die Virusreplikation verantwortlich ist. «Der Wirkstoff ist einem Hemmstoff ähnlich, den man vor Jahrzehnten gegen Rhinoviren entwickelt hat», erklärt der Viren-Spezialist Greber.
Bei diesem antiviralen Medikament haben sich allerdings Resistenzen gegen Rhinoviren entwickelt. Das befürchtet man auch bei Nirmatrelvir. Deshalb wurde als zweiter Wirkstoff Ritovanir beigemischt. Das verhindert Resistenzen und erhöht zusätzlich die Wirksamkeit.
«Man hat heute kein besseres Covid-Medikament zur Verfügung, das klinisch erprobt ist und von der FDA zugelassen ist», sagt der Molekularbiologe. Trotzdem sollte es seiner Meinung nach mit Bedacht eingesetzt werden. Also nur in Fällen, in denen ein schwerer Verlauf erwartet wird.
Generell muss Paxlovid so schnell wie möglich nach einem positiven Test eingenommen werden. Das heisst, bevor die Symptome spürbar werden und die maximale Virenlast erreicht ist. Gerechtfertigt ist der Einsatz dabei bei Personen mit den bekannten Corona-Risiken wie Diabetes, Übergewicht, Herz-Kreislaufprobleme und bei einem Risiko für eine Überreaktion des Immunsystems. Diesen Risikopersonen kann Paxlovid einen schweren Verlauf unter Umständen ersparen. «Dagegen halte ich es für keine gescheite Strategie, Paxlovid breit und flächendeckend zu verwenden. Das würde schnell zur Wirkungslosigkeit führen», sagt Greber.
Er sieht keinen Grund, warum das Medikament in der Schweiz nicht zugelassen werden sollte. Auch wenn er Paxlovid mit anderen Corona-Medikamenten vergleicht: Mit dem vor einigen Monaten gehypten Molnupiravir oder auch Remdesivir. Letzteres ist zwar einigermassen etabliert und gemäss einigen Studien verkürzt es die Spitaldauer. Für wissenschaftlich gesichert hält Greber die Wirksamkeit von Remdesivir allerdings nicht. Zudem ist die Therapie damit aufwendig.
Für die Wissenschaft, die erstmals ein Medikament gegen Covid in der Hand habe, könne Paxlovid als «Game Changer» bezeichnet werden. Für die allgemeine Covid-Therapie aber nicht. «Nur für einzelne Risikopatienten, wenn sie deswegen nicht schwer erkranken», sagt Urs Greber. (aargauerzeitung.ch)