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Wer mehr verdient, soll höhere Prämien zahlen: SVP-Politiker bricht Tabu

Wer mehr verdient, soll höhere Prämien zahlen: SVP-Politiker bricht Tabu

Ein bekannter SVP-Gesundheitspolitiker bricht ein Tabu: Er plädiert dafür, dass die Krankenkassenprämien an das Einkommen gekoppelt werden. Unterstützung erhält er mit seiner Forderung vor allem von linker Seite.
05.09.2023, 07:1905.09.2023, 07:19
Chiara Stäheli / ch media
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Die Forderung ist keinesfalls neu: Seit Jahrzehnten wollen – vor allem linke – Politiker die Höhe der Krankenkassenprämien an das Einkommen koppeln. Doch mit der angekündigten Prämienerhöhung erhält das Ansinnen eine neue Dringlichkeit. Gleich zwei gewichtige Politiker – darunter sogar einer aus der SVP – haben am Wochenende in Zeitungsinterviews die Abschaffung der sogenannten Kopfprämie gefordert.

Ärztin und ein Sparschwein
Politiker diverser Parteien fordern: Je mehr man verdient, desto höher sollen die Prämien ausfallen.Bild: Shutterstock

Was bedeutet das? Heute fallen die Prämien pro Person an, deren Höhe berechnet sich unabhängig des Einkommens und unterscheidet sich lediglich nach Alter, Wohnort, Versicherer und gewähltem Versicherungsmodell. Zur Entlastung der einkommensschwachen Haushalte gewähren Bund und Kantone individuelle Prämienverbilligungen.

Dieses System bezeichnet der Verwaltungsratspräsident der Insel-Gruppe, Bernhard Pulver, gegenüber der «NZZ am Sonntag» als «unsozial». Der Grünen-Politiker will die Prämien an die Einkommen koppeln.

In die gleiche Kerbe schlägt der Berner Gesundheitsdirektor Pierre-Alain Schnegg: Auch er schlägt vor, dass Gutverdienende höhere Krankenkassenprämien zahlen sollen. Das Einkommen müsse «unbedingt berücksichtigt» werden, sagt der SVP-Regierungsrat gegenüber dem «Bund». Heisst: Je grösser das Einkommen, desto höher die Krankenkassenprämien.

Das heutige System sei «austariert»

Diese Forderung stösst bei Lukas Engelberger (Mitte) auf Skepsis. Der Basler Regierungsrat präsidiert die Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren. Er bekräftigt auf Anfrage, dass er das aktuelle System nach wie vor «am überzeugendsten» finde. «Eine höhere Prämie für Gutverdienende könnte neue Fehlanreize schaffen und die Solidarität schwächen.»

Zudem dürfe man nicht vergessen, dass die Kantone schon heute «mehr als die Hälfte» der stationären Behandlungen bezahlen: «Diese öffentlichen Mittel werden über die Steuern einkommensabhängig aufgebracht», so Engelberger.

SVP Nationalrat Alain Schnegg, anlaesslich einer Delegiertenversammlung der SVP vom Samstag, 1. Juli 2023 in Kuessnacht am Rigi. (KEYSTONE/Urs Flueeler).
Der Berner Gesundheitsdirektor Pierre-Alain Schnegg schlägt vor, dass Gutverdienende höhere Krankenkassenprämien zahlen sollen.Bild: keystone

Ähnlich äussert sich der Thurgauer Gesundheitsdirektor Urs Martin. Er lehnt den Vorschlag seines Partei- und Berufskollegen Schnegg «vehement» ab. Das jetzige System sei austariert: «Sowohl die öffentliche Hand als auch die Versicherten steuern ihren Teil bei.» Werde dieses System über den Haufen geworfen, würde das «einmal mehr zu einer Umverteilung von der tarifgünstigen Ostschweiz in die Westschweiz führen», befürchtet Martin.

Auch der St.Galler Regierungsrat Bruno Damann verweist darauf, dass dank der Prämienverbilligung die Prämienlast für die Versicherten schon heute abhängig vom Einkommen sei. Von der Idee, die Kopfprämie ganz abzuschaffen, hält der Mitte-Politiker wenig: «Das wäre ein schwieriges Unterfangen. Dann käme rasch die Diskussion auf, ob man nicht gleich auch das Krankenkassenobligatorium abschaffen sollte.» Diesen Vorschlag hat erst kürzlich die Zürcher Gesundheitsdirektorin Natalie Rickli (SVP) aufgebracht. Für Damman kommt das allerdings nicht in Frage.

Gleichwohl ist auch er überzeugt, dass man über neue Ansätze diskutieren müsse: «Wenn bald 30 Prozent der Bevölkerung Prämienverbilligung erhält, dann muss man sich schon fragen, ob es nicht ein effizienteres Modell gäbe.» Was es jetzt brauche, sei eine grundlegende Diskussion: «Dabei soll beispielsweise auch überdacht werden, ob wirklich alle Leistungen in der Grundversicherung notwendig sind.»

Bundesrat hält nichts von der Idee

Ablehnend äusserte sich erst kürzlich auch der Bundesrat. In seiner Antwort auf einen Vorstoss von Grünen-Nationalrätin Manuela Weichelt schreibt er: «Das aktuelle System berücksichtigt das Einkommen bei den Prämienverbilligungen.» Damit existiere schon heute «ein sozialpolitisches Korrektiv zur Kopfprämie».

Zudem befürchtet die Landesregierung, dass einkommens- und vermögensabhängige Prämien zu «administrativem Mehraufwand» führen würden, wenn die Abstufung der Prämien nach Kantonen und Regionen beibehalten werden soll. Er erachte deshalb einen grundlegenden Systemwechsel als «nicht angezeigt». Stattdessen will der Bundesrat die Kantone im Rahmen des Gegenvorschlags zur Prämienentlastungsinitiative verpflichten, einen Mindestbeitrag an die Prämienverbilligung zu leisten.

Über ein Viertel der Versicherten erhält eine Prämienverbilligung:

Bild
grafik: mop/ch media quelle:BAG

Auch die Stimmbevölkerung hat sich bereits einmal indirekt für den Erhalt der Kopfprämie ausgesprochen. Im Mai 2003 lehnten knapp 73 Prozent die sogenannte Gesundheitsinitiative ab. Diese sah vor, die Prämien abgestuft nach Einkommen und Vermögen zu erheben und einen Teil der Kosten der obligatorischen Krankenversicherung über zusätzliche Mehrwertsteuerprozente zu finanzieren. (aargauerzeitung.ch)

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340 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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So en Ueli
05.09.2023 08:07registriert Januar 2014
Schlauer wäre es, wenn Gesundheitseinrichtungen nicht nach wirtschaftlichen Grundsätzen geführt werden müssen. Warum müssen Einrichtungen, die unserer Gesundheit dienen sollten, Gewinne erwirtschaften? Zudem wäre es sinnvoll, Bagatellfälle höher zu belasten. Zudem wäre eine Einheitskasse für die obligatorische KKV meiner Ansicht nach eine Überlegung wert.
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der/die Waldpropaganda
05.09.2023 07:43registriert September 2018
Oder man könnte mal endlich Parallelimporte bei den Medis erlauben. Oder eine Hausarztpflicht (zu viele Bagatellfälle auf dem Notfall). Oder ein Gewinnverbot bei den Spitälern. Oder mehr Ärzte ausbilden (die Unis in die Pflicht nehmen), das würde die Lohnkosten senken. Oder mehr digitalisieren, im Gesundheitswesen wird viel Geld verschwendet da viele Prozesse analog sind und somit viel Zeit benötigen. Und wenn man diese Punkte angegangen ist und es noch nicht reicht, dann wäre im Sinne der Solidarität auch eine Einkommensabhängige KK Prämie angebracht.
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Glücklich
05.09.2023 07:54registriert August 2022
Die Lösung soll also einmal mehr sein ‚mehr Geld ins kranke System zu buttern‘.

Anstatt immer nur Leistungsabbau und ‚Geldvermehrung‘ zu fordern, wäre es endlich Zeit, Transparenz in den Kosten zu schaffen und danach Lösungsansätze zu präsentieren.

Aber das liebe Politiker wollt ihr anscheinend nicht, denn so ein Zusatzeinkommenssteuer für Versicherungsmandate ist halt schon verführerisch …
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