Schweiz
Krankenkasse

Gerhard Pfister attackiert Lobbying der Gesundheitsbranche

Pfister attackiert Lobbying der Gesundheitsbranche – seine Partei mischt dabei aber mit

Mitte-Präsident Pfister hat genug von den Interessenvertretern aus dem Gesundheitssektor, die jede Reform blockieren – und damit für Prämienschübe sorgen. Im Bundesparlament selber haben aber viele Politiker Mandate von Organisationen, die Einsparungen hintertreiben.
05.09.2023, 03:29
Francesco Benini / ch media
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Gerhard Pfister, Parteipraesident Mitte, lacht waehrend einer Medienkonferenz zu den Parlamentswahlen 2023, am Dienstag, 22. August, 2023 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Gerhard Pfister, Parteipräsident der Mitte, teilt aus gegen die Lobbyisten des Gesundheitssektors im Bundesparlament.Bild: keystone

Thema Gesundheitspolitik und Prämienschub am Wahlpodium des «Tages-Anzeigers». Warum schafft es die Politik nicht, die Kosten einigermassen in den Griff zu bekommen?

Mitte-Präsident Gerhard Pfister sagt, er sei Mitglied der Gesundheitskommission gewesen. Da habe man es mit starken Lobbyisten zu tun, die sich gegenseitig immer wieder neutralisierten. Dann erklärte Pfister: «Ich habe es noch nie erlebt, dass man bei jedem Traktandum etwa 20 Mails erhält, wie man bei diesem Punkt abzustimmen hat. Das ist unerträglich geworden.»

Andreas Glarner würde gerne aufräumen in der Kommission

Pfister attackiert das starke Lobbying der Gesundheitsbranche, das jede Reform zum Absturz bringt. Billigere Medikamente dank einem Referenzpreissystem, Hausärzte als erste Anlaufstelle, Parallelimporte – das Bundesparlament findet immer Gründe, kostendämpfende Massnahmen abzuweisen. Nun werden die Krankenkassenprämien erneut stark ansteigen: Von durchschnittlich 8 bis 10 Prozent ist die Rede; in einigen Regionen des Landes wird die Prämienrunde noch gesalzener ausfallen.

Die Gesundheitsbranche ist stark reguliert, und es gibt viel Geld zu verteilen. Das macht das Lobbying besonders attraktiv. Dabei ist es so: Die Interessenvertreter der Branche brauchen oft nicht von ausserhalb des Bundeshauses auf die Parlamentarierinnen und Parlamentarier zuzugehen. Die Lobbyisten sitzen selber als gewählte Volksvertreter im Gebäude – auch in der Mitte-Partei.

Die Gesundheitskommissionen von National- und Ständerat fällen wichtige Entscheide darüber, ob eine Reform vorankommt oder nicht. Die Kommissionen zählen 38 Mitglieder – die 69 bezahlte Mandate aus dem Gesundheitssektor innehaben. Also von der Pharmabranche, den Krankenkassen, den Spitälern, der Pflege, den Heimen. Die Parlamentarierinnen und Parlamentarier achten darauf: Die Organisationen, die ihnen eine Entschädigung bezahlen, sollen von Einsparungen verschont bleiben.

Der Walliser Mitte-Ständerat Beat Rieder wollte diese Interessenkonflikte beenden. In einer parlamentarischen Initiative schlug er vor: Wer in einer Kommission sitzt, darf keine Mandate mehr von Organisationen übernehmen, die von der Arbeit der Kommission betroffen sein könnten. Anfänglich waren viele im Parlament angetan von der Idee.

Das Bundesamt für Justiz monierte in einem Gutachten aber die ungleiche Behandlung der Parlamentarier. Kurz vor Weihnachten entschied der Ständerat, auf Beat Rieders Initiative gar nicht erst einzutreten. Damit war sein Plan gescheitert.

SVP-Nationalrat Andreas Glarner bedauert das. Er sitzt in der Gesundheitskommission, hat aber kein Mandat einer Branchenorganisation. «Der Zielkonflikt wäre evident. Man ist nicht mehr neutral. Ich habe in der Partei angeregt, dass sie Lobbyisten nicht mehr zulässt in der Kommission», sagt Glarner.

Der Aargauer Nationalrat ist ernüchtert über den Reformstau. Man brauche nur die beiden Zauberworte «Patientensicherheit» und «Versorgungssicherheit» auszusprechen – schon sei jeder Reformansatz blockiert. Und das «Bundesamt für Gemütlichkeit» – Glarner meint das Bundesamt für Gesundheit – lasse sich von der Medizintechnikbranche viel zu hohe Preise diktieren, das sei absurd.

Glarner will Gesundheitsreformen umsetzen – seine eigene Partei stand in den vergangenen Jahren aber immer wieder auf der Bremse. Was ist nun der Ansatz von Mitte-Präsident Gerhard Pfister, der das Lobbying der Gesundheitsbranche als «unerträglich» bezeichnet?

Polemik, Schuldzuweisungen - und alles geht weiter wie bisher

Pfister verweist auf die Volksinitiative seiner Partei. Sie sieht eine Kostenbremse vor: Wenn die Ausgaben im Gesundheitswesen allzu stark ansteigen, muss der Bund in Zusammenarbeit mit den Kantonen eingreifen und kostensenkende Massnahmen erlassen.

FDP-Präsident Thierry Burkart findet, dass die Initiative der Mitte-Partei Ausdruck eines «Politikversagens par excellence» sei. Denn die Mitte könne doch Reformen vorantreiben, ohne dass man einen Mechanismus in die Bundesverfassung schreibt.

Viele Politiker finden, dass man Anpassungen im Gesundheitssektor jetzt nicht weiter aufschieben sollte. Die Lobbyisten im Parlament halten aber dagegen. Darum geschieht wahrscheinlich nichts. Und die Kosten steigen weiter. (aargauerzeitung.ch)

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105 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Callao
05.09.2023 06:07registriert April 2020
Eben weil und wie Pfister und Co. exakt jene Punkte ansprechen, die den Leuten derzeit unter Fingernägeln brennen, ist Vorsicht geboten. Zum Einen, weil sie schon längstens die Möglichkeit gehabt hätten, sie zu ändern. Zum Anderen, und das ist das eigentlich Schlimme, werden sie am Abend vom 22. Oktober 2023 oh Wunder, nichts mehr von ihren hehren Forderungen was wissen.
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ingmarbergman
05.09.2023 05:36registriert August 2017
Und genau darum bringt es nichts, Mitte zu wählen. Diese Partei ist ein reiner Etikettenschwindel. Hinter dem neuen Namen ist immer noch der gleiche Lobbyfilz.
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Mario 66
05.09.2023 07:06registriert November 2015
Der einzige player im gesundheitssystem, der keine lobby hat, ist der patient…
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