Atemwegserkrankungen machen der Schweizer Bevölkerung immer mehr zu schaffen. Das zeigen die gestern veröffentlichten Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) zu den Hospitalisierungen zwischen 2012 und 2022. Die Statistiker des Bundes haben im untersuchten Zeitraum eine starke Zunahme um 37 Prozent festgestellt. Das ist eine deutliche Erhöhung im Vergleich zu den anderen Krankheiten im gleichen Zeitraum, die nur um 6,4 Prozent zunahmen.
Am deutlichsten ist die Zunahme der Hospitalisierungen wegen Lungen- und Bronchienerkrankungen, also der unteren Atemwege. Die Zunahme in den letzten zehn Jahren beträgt 71 Prozent. Diese Spitalfälle waren der Treiber für die gesamte Steigerung aller Atemwegserkrankungen.
Schon zwischen 2012 und 2019 wurde bei Atemwegskrankheiten ein deutlicher Anstieg von 39 Prozent verzeichnet. Als Grund nennt das BFS den Anstieg der Grippefälle. Danach kam die Pandemie und die Grippe verschwand fast vollständig wegen der Corona-Schutzmassnahmen. Trotzdem kam es wegen Covid-19 zwischen 2019 und 2022 zu einem zweiten deutlichen Anstieg der Erkrankungen der unteren Atemwege, insbesondere von Lungenentzündungen.
In den Jahren 2020 und 2021 überstieg die Anzahl der Lungenentzündungen im Spital den Wert von 2019 um rund 64 Prozent – mehr als drei Fünftel davon standen im Zusammenhang mit einer Covid-19-Diagnose. 2022 wurden dann wieder weniger Hospitalisierungen wegen Entzündungen der Lunge verzeichnet, jedoch immer noch deutlich mehr als 2019. Auch der Anteil jener mit einer Covid-19-Diagnose ging zurück.
Demgegenüber zeigte sich bei der Anzahl Hospitalisierungen wegen akuter Bronchitis oder Bronchiolitis sowie bei jener wegen Grippe zwischen 2019 und 2021 ein Rückgang, dem 2022 ein starker Wiederanstieg folgte. Die Hospitalisierungen wegen akuter Bronchiolitis oder Bronchitis erreichten 2022 gar einen Rekordwert.
Evelin Bucheli Laffer, Leitende Ärztin Infektiologie und Infektionsprävention am Kantonsspital Aarau, begründet die Zunahme mit drei Faktoren. Zum ersten mit der Demografie der Schweizer Bevölkerung. «Wer älter ist, hat ein höheres Risiko wegen respiratorischen Viren eine Komplikation zu erleiden», erklärt die Infektiologin. Zweitens gebe es mehr Menschen mit Immunsuppressiven Therapien und somit auch mit einem höheren Risiko bei viralem Infekt hospitalisiert zu werden.
«Drittens, und das ist mutmasslich der wichtigste Faktor: Es gibt eine einfacher verfügbare und immer breitere Diagnostik zur Suche nach Viren, die in den vergangenen zehn Jahren häufiger eingesetzt wurde», sagt Bucheli Laffer. Somit werden mehr respiratorische Infektionen als solche diagnostiziert und ausgewiesen. «Die Patientinnen und Patienten waren früher ohne Keimnachweis auch schon im Spital, aber mit anderer Diagnose.»
Allein im Jahr 2022 führten Atemwegserkrankungen zu 94'350 Hospitalisierungen, das sind 8 Prozent aller stationären Spitalaufenthalte. Hinzu kommen noch jene Fälle, bei denen eine Atemwegserkrankung nur eine Nebendiagnose war. Zusammengerechnet hatte 2022 ein Fünftel aller Spitalpatientinnen und Patienten eine Atemwegserkrankung.
Etwa 60 Prozent der Erkrankungen betrafen 2022 die unteren Atemwege. Diese führen dann bei den meisten zu Lungenentzündungen (31,6 Prozent), dann zu akuter Bronchitis und Bronchiolitis und Grippe. Bei einem Viertel der Spitaleintritte waren Erkrankungen der oberen Atemwege verantwortlich, meist chronischer Art.
Die akuten Erkrankungen von Lunge und Bronchien führen zu 90 Prozent zu Notfällen. Betroffen von Grippe und Lungenentzündungen sind dabei zur Hälfte Menschen, die über 76 Jahre alt sind, bei der Grippe über 70 Jahre. Lungenentzündungen führen gemäss dem BFS zu vergleichsweise langen Spitalaufenthalten von durchschnittlich sechs Tagen. Auch die Pflege auf der Intensivstationen ist bei Lungenentzündungen mit 89 Stunden lang. Diese führen gegenüber den anderen Atemwegserkrankungen auch am häufigsten zum Tod.
Sind von Lungenentzündungen und Grippe meistens alte Menschen betroffen, sind es von Bronchitis vor allem Kleinkinder, die in der Regel zwei Tage im Spital bleiben müssen. Hospitalisierungen wegen Atemwegserkrankungen sind zudem stark saisonabhängig. Genau diese Schwankungen stellt die Gesundheitsversorgung vor grosse Herausforderungen. Im Winter werden teilweise über 1500 neue Hospitalisierungen pro Woche registriert – im Sommer kann dieser Wert unter 300 fallen.
Im Jahr 2022 führten die Atemwegserkrankungen, bei denen auch Covid-19 diagnostiziert wurde, zu einer schwereren Erkrankung als bei jenen ohne Coronainfektion. Zudem mussten Patienten mit Covid-19 durchschnittlich sieben Tagen lang im Spital bleiben, jene ohne eine Coronavirus-Infektion nur drei Tage. Infektionen mit Sars-CoV-2 führte auch zu längeren Aufenthalten auf der Intensivstation und zu einer höheren Zahl an im Spital Verstorbenen. (aargauerzeitung.ch)