Schweiz
Gesundheit

Angehörigenpflege: steigende Kosten belasten Krankenkassenprämien

Blutdruckmessung an einer Medienorientierung der Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt betreffend Ausbildungsoffensive Pflege in der Stiftung Hofmatt in Muenchenstein, am Donnerstag, 19. September  ...
Die Kosten für die Pflege durch Angehörige haben sich innerhalb von zweieinhalb Jahren mehr als verdreifacht. Krankenkassenexperten sprechen von einem «Dammbruch». (Archivbild)Bild: keystone

Kostenexplosion bei Angehörigenpflege: Politik fürchtet nächsten Prämienschock

Die Pflege von Angehörigen kann seit 2019 bei den Krankenkassen in Rechnung gestellt werden. Daraus ist ein Geschäftsmodell erwachsen, das nach strengerer Regulierung ruft.
28.11.2024, 22:48
Anna Wanner / ch media
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Ständerat Peter Hegglin schlägt einen alarmistischen Ton an. In einem Vorstoss will er von der Regierung wissen: «Ist sich der Bundesrat dem Ernst der Lage wirklich bewusst?»

64 Millionen pro Jahr – und weitere Steigerung in Sicht

Die ernste Lage ortet der Mitte-Politiker im Bereich der Angehörigenpflege. Seit ein Bundesgerichtsurteil 2019 den Weg ebnete, Pflegeleistungen auch von Angehörigen zu finanzieren, wachsen die Kosten rasant. Hegglin hält diese Dynamik für «besorgniserregend»: Der Umsatz bei der Angehörigenpflege sei innerhalb von zweieinhalb Jahren von rund 18 Millionen auf 64 Millionen Franken gestiegen – mehr als eine Verdreifachung.

Neue Zahlen des Krankenkassenverbands Santésuisse bestätigen diese Dynamik: «Für 2024 wachsen die Kosten für Angehörigenpflege schweizweit auf schätzungsweise 100 Millionen Franken», gibt der Verband auf Anfrage an. Das ist Geld, das zulasten der Krankenkasse geht und das letztlich die Prämienzahlenden berappen müssen. Hegglin warnt: «Es droht ein Flächenbrand.»

Nicht alle Hilfeleistungen können abgerechnet werden

Doch was dürfen Angehörige überhaupt abrechnen? Das Bundesgerichtsurteil ist klar: Nur die allgemeine Grundpflege kann von Laien übernommen werden. Das bedeutet unter anderem, den Pflegebedürftigen helfen, sich anzukleiden, Zähne zu putzen oder zu essen. Hingegen können die Angehörigen Leistungen, die unter die Betreuung fallen, etwa einkaufen, Essen zubereiten oder administrative Hilfen, nicht in Rechnung stellen. Dasselbe gilt für die Abgabe von Medikamenten oder die Wundversorgung – da muss weiterhin die Fachkraft helfen.

Der Nationalrat diskutiert am Montag und am Dienstag darüber, wie die Pflegeberufe aufgewertet werden können. (Themenbild)
Medizinische Hilfe wie zum Beispiel ein Verbandswechsel können nur durch professionelle Fachkräfte mit der Krankenkasse abgerechnet werden. (Archivbild) Bild: KEYSTONE

Trotzdem halten es viele Gesundheitsexperten – und auch der Bundesrat – für wünschenswert, dass durch die Angehörigenpflege die professionelle Pflege entlastet wird. Der Fachkräftemangel zieht in den kommenden Jahren weiter an. Einfache Arbeiten in der Grundpflege soll auch der Mann, die Mutter oder die Tochter einer pflegebedürftigen Person erledigen können.

Innert kurzer Zeit spezialisieren sich 30 Unternehmen

Das rasante Kostenwachstum schreckt die Politik auf. Verschiedene Politiker stossen sich daran, dass aus der Hilfe von Angehörigen ein lukratives Geschäftsmodell erwachsen ist: Der Krankenkassenverband Santésuisse zählt dreissig Unternehmen, die sich auf das Geschäft der Angehörigenpflege spezialisiert haben.

Gemäss Angaben von Santésuisse funktioniert das so: Die Unternehmen stellen die Angehörigen an, beraten sie und rechnen ab. Dafür erhalten sie pro abgerechnete Stunde von der Krankenversicherung den Spitextarif von 52.60 Franken für die Pflege.

Hinzu kommt der Restkostenbeitrag des Kantons. Je nach Kanton führt das zu Einnahmen von insgesamt 70 bis 90 Franken. Die Organisationen bezahlen den angestellten Familienmitgliedern ein Entgelt von 30 bis 35 Franken. Den Rest streichen sie selbst ein – wobei die Organisation damit auch Lohnnebenkosten, Verwaltungsaufwand sowie Qualitätssicherung finanzieren muss.

Den Weg für diese Praxis ebnete ein Bundesgerichtsentscheid 2019: Neu soll nicht mehr die Person, welche die Leistung erbringt, finanziert werden, sondern die Leistung selbst. Krankenkassenexperten sprechen von einem «Dammbruch». Auch Peter Hegglin ist überzeugt, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichts «Tür und Tor für neue Geschäftsmodelle» öffnete. Was ihn an der Praxis stört, ist nicht nur die Finanzierung privater Gewinne durch Prämienzahler und öffentliche Hand, es handle sich auch um eine «Mengenausweitung mit unklaren qualitativen Standards».

«Das wird uns um die Ohren fliegen»

Der Ruf nach klaren Regeln ist nicht neu. SVP-Nationalrat Thomas Burgherr wollte die Vergütung von Leistungen der pflegenden Angehörigen abschaffen, was der Nationalrat höchst knapp ablehnte. Mitte-Nationalrat Thomas Rechsteiner verlangt hingegen verbindliche Regeln.

Thomas Rechsteiner, Mitte-AI, spricht zur Grossen Kammer an der Fruehjahrssession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 7. Maerz 2024 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Nationalrat Thomas Rechsteiner fordert klare Regeln für das Abrechnen von Pflegeleistungen durch Angehörige. (Archivbild)Bild: KEYSTONE

So sollen Pflegeleistungen nur in Ausnahmefällen zulasten der Krankenkassen abgerechnet werden dürfen. Der Bundesrat will davon nichts wissen. Er verweist darauf, dass die Kantone in der Pflicht stehen, die Organisationen zu beaufsichtigen. Zudem erarbeitet der Bundesrat einen Bericht, um sich eine Übersicht zu verschaffen.

Patrick Haessig, GLP-ZH, spricht zur Grossen Kammer, an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Donnerstag, 13. Juni 2024 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
Der ausgebildete Pflegefachmann und Nationalrat Patrick Hässig sieht ebenfalls dringenden Handlungsbedarf. (Archivbild)Bild: KEYSTONE

Doch weiter zuschauen wollen die Nationalräte nicht. «Wenn wir heute schon wissen, dass uns diese Praxis morgen um die Ohren fliegt, dann müssen wir jetzt neue Regeln an die Hand nehmen», sagt Patrick Hässig, GLP-Nationalrat und diplomierter Pflegefachmann.

Es gehe ihm nicht nur um die stark wachsenden Prämien, die auf dem Sorgenbarometer der Bevölkerung stets zuoberst landen. «Es geht mir auch um die Sicherung des Berufsstands: Wir setzen uns seit Monaten für eine Besserstellung der Pflegefachkräfte ein. Dann kann es nicht sein, dass sich Laienpflegende auf einem ähnlichen Lohnniveau einpendeln wie ausgebildetes Pflegefachpersonal und sich zusätzlich noch gewisse Firmen mit diesem Businessmodell eine goldene Nase verdienen.»

Der GLP-Nationalrat will in der am Montag beginnenden Session Lösungen suchen – und den Bundesrat zum Handeln auffordern. (aargauerzeitung.ch)

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106 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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WatSohn?
28.11.2024 23:13registriert Juni 2020
Das war ja wohl von Anfang an klar. Ich habe nichts dagegen, wenn Personen die ihre Angehörigen pflegen entschädigt werden, aber ich möchte nicht wissen, wieviel die wie Pilze aus dem Boden schiessenden Firmen, die jetzt auch extensiv Werbung betreiben, dabei absahnen. Dieses Geschäft auf privater Basis sollte unterbunden werden.
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baumi92
28.11.2024 23:31registriert März 2020
Ich verstehe den Alarmismus nicht ganz. Klar ist eine Verdreifachung krass, das liegt aber eher daran, dass Angehörige vorher diese Leistung gratis erbrachten.

Aber Kosten von 64mio Franken sind bei 8mio Einwohnern der Schweiz (auch Kinder müssen Krankenversichert sein) genau 8 Franken pro Jahr.
Man muss im Gesundheitswesen dringend etwas machen. Aber wenn diese Mehrkosten einen Prämienschock verursachen, müsste ich mich fragen wohin der Rest des Geldes geht...
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Murchad
29.11.2024 00:05registriert April 2023
Ich pflege meinen Sohn der Muskeldystrophie hat, er kann fast nichts mehr ohne Hilfe.

Lieber bekäme ich das Geld direkt von der Krankenkasse, so bin ich angestellt über eine dritt Firme und verdiene wie eine normale Spitexangestellte auch.

Aber

Nicht einmal die Hälfte des aufwands wird vergütet. Strenge Regelung? Ja bitte, aber bei den Krankenkassen die nach belieben entscheiden was sie vergüten und was nicht.
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