Ständerat Peter Hegglin schlägt einen alarmistischen Ton an. In einem Vorstoss will er von der Regierung wissen: «Ist sich der Bundesrat dem Ernst der Lage wirklich bewusst?»
Die ernste Lage ortet der Mitte-Politiker im Bereich der Angehörigenpflege. Seit ein Bundesgerichtsurteil 2019 den Weg ebnete, Pflegeleistungen auch von Angehörigen zu finanzieren, wachsen die Kosten rasant. Hegglin hält diese Dynamik für «besorgniserregend»: Der Umsatz bei der Angehörigenpflege sei innerhalb von zweieinhalb Jahren von rund 18 Millionen auf 64 Millionen Franken gestiegen – mehr als eine Verdreifachung.
Neue Zahlen des Krankenkassenverbands Santésuisse bestätigen diese Dynamik: «Für 2024 wachsen die Kosten für Angehörigenpflege schweizweit auf schätzungsweise 100 Millionen Franken», gibt der Verband auf Anfrage an. Das ist Geld, das zulasten der Krankenkasse geht und das letztlich die Prämienzahlenden berappen müssen. Hegglin warnt: «Es droht ein Flächenbrand.»
Doch was dürfen Angehörige überhaupt abrechnen? Das Bundesgerichtsurteil ist klar: Nur die allgemeine Grundpflege kann von Laien übernommen werden. Das bedeutet unter anderem, den Pflegebedürftigen helfen, sich anzukleiden, Zähne zu putzen oder zu essen. Hingegen können die Angehörigen Leistungen, die unter die Betreuung fallen, etwa einkaufen, Essen zubereiten oder administrative Hilfen, nicht in Rechnung stellen. Dasselbe gilt für die Abgabe von Medikamenten oder die Wundversorgung – da muss weiterhin die Fachkraft helfen.
Trotzdem halten es viele Gesundheitsexperten – und auch der Bundesrat – für wünschenswert, dass durch die Angehörigenpflege die professionelle Pflege entlastet wird. Der Fachkräftemangel zieht in den kommenden Jahren weiter an. Einfache Arbeiten in der Grundpflege soll auch der Mann, die Mutter oder die Tochter einer pflegebedürftigen Person erledigen können.
Das rasante Kostenwachstum schreckt die Politik auf. Verschiedene Politiker stossen sich daran, dass aus der Hilfe von Angehörigen ein lukratives Geschäftsmodell erwachsen ist: Der Krankenkassenverband Santésuisse zählt dreissig Unternehmen, die sich auf das Geschäft der Angehörigenpflege spezialisiert haben.
Gemäss Angaben von Santésuisse funktioniert das so: Die Unternehmen stellen die Angehörigen an, beraten sie und rechnen ab. Dafür erhalten sie pro abgerechnete Stunde von der Krankenversicherung den Spitextarif von 52.60 Franken für die Pflege.
Hinzu kommt der Restkostenbeitrag des Kantons. Je nach Kanton führt das zu Einnahmen von insgesamt 70 bis 90 Franken. Die Organisationen bezahlen den angestellten Familienmitgliedern ein Entgelt von 30 bis 35 Franken. Den Rest streichen sie selbst ein – wobei die Organisation damit auch Lohnnebenkosten, Verwaltungsaufwand sowie Qualitätssicherung finanzieren muss.
Den Weg für diese Praxis ebnete ein Bundesgerichtsentscheid 2019: Neu soll nicht mehr die Person, welche die Leistung erbringt, finanziert werden, sondern die Leistung selbst. Krankenkassenexperten sprechen von einem «Dammbruch». Auch Peter Hegglin ist überzeugt, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichts «Tür und Tor für neue Geschäftsmodelle» öffnete. Was ihn an der Praxis stört, ist nicht nur die Finanzierung privater Gewinne durch Prämienzahler und öffentliche Hand, es handle sich auch um eine «Mengenausweitung mit unklaren qualitativen Standards».
Der Ruf nach klaren Regeln ist nicht neu. SVP-Nationalrat Thomas Burgherr wollte die Vergütung von Leistungen der pflegenden Angehörigen abschaffen, was der Nationalrat höchst knapp ablehnte. Mitte-Nationalrat Thomas Rechsteiner verlangt hingegen verbindliche Regeln.
So sollen Pflegeleistungen nur in Ausnahmefällen zulasten der Krankenkassen abgerechnet werden dürfen. Der Bundesrat will davon nichts wissen. Er verweist darauf, dass die Kantone in der Pflicht stehen, die Organisationen zu beaufsichtigen. Zudem erarbeitet der Bundesrat einen Bericht, um sich eine Übersicht zu verschaffen.
Doch weiter zuschauen wollen die Nationalräte nicht. «Wenn wir heute schon wissen, dass uns diese Praxis morgen um die Ohren fliegt, dann müssen wir jetzt neue Regeln an die Hand nehmen», sagt Patrick Hässig, GLP-Nationalrat und diplomierter Pflegefachmann.
Es gehe ihm nicht nur um die stark wachsenden Prämien, die auf dem Sorgenbarometer der Bevölkerung stets zuoberst landen. «Es geht mir auch um die Sicherung des Berufsstands: Wir setzen uns seit Monaten für eine Besserstellung der Pflegefachkräfte ein. Dann kann es nicht sein, dass sich Laienpflegende auf einem ähnlichen Lohnniveau einpendeln wie ausgebildetes Pflegefachpersonal und sich zusätzlich noch gewisse Firmen mit diesem Businessmodell eine goldene Nase verdienen.»
Der GLP-Nationalrat will in der am Montag beginnenden Session Lösungen suchen – und den Bundesrat zum Handeln auffordern. (aargauerzeitung.ch)
Aber Kosten von 64mio Franken sind bei 8mio Einwohnern der Schweiz (auch Kinder müssen Krankenversichert sein) genau 8 Franken pro Jahr.
Man muss im Gesundheitswesen dringend etwas machen. Aber wenn diese Mehrkosten einen Prämienschock verursachen, müsste ich mich fragen wohin der Rest des Geldes geht...
Lieber bekäme ich das Geld direkt von der Krankenkasse, so bin ich angestellt über eine dritt Firme und verdiene wie eine normale Spitexangestellte auch.
Aber
Nicht einmal die Hälfte des aufwands wird vergütet. Strenge Regelung? Ja bitte, aber bei den Krankenkassen die nach belieben entscheiden was sie vergüten und was nicht.