Ein Geologe ist in einem neuen Gutachten zum Bergsturz von Bondo zum Schluss gekommen, dass die Behörden ein «inakzeptables Risiko» eingegangen seien, in dem sie die Wanderwege vorgängig nicht gesperrt hatten. Kantonsangestellte könnten damit vor Gericht landen. Bei dem verheerenden Bergunglück von 2017 kamen acht Menschen ums Leben.
Der Geologe Thierry Oppikofer kam in seiner knapp 60-seitigen Expertise zum Schluss, dass die Wanderwege in das Bergsturzgebiet aufgrund einer Risikoanalyse von Messungen am Piz Cengalo hätten gesperrt werden müssen. Das Magazin «Beobachter» hatte am Freitagmorgen zuerst darüber berichtet und der Nachrichtenagentur Keystone-SDA das Gutachten zur Verfügung gestellt.
Die Fachleute des Kantons Graubünden hätten die Analyse anders interpretiert und die Bedrohung durch einen Bergsturz als «nicht massgebend verändert» eingestuft, schrieb Oppikofer in dem Dokument. Sie rechneten mit einem Bergsturz in den kommenden Wochen und Monaten und passten deswegen nur die Warntafeln an.
Oppikofer hingegen kam aufgrund verschiedener Berechnungen zum Schluss, dass sich das Risiko, auf dem Wanderweg zu sterben, «erheblich verschärft» hatte und zusätzliche Massnahmen hätten getroffen werden müssen.
Dem verheerenden Bergsturz gingen gemäss dem Gutachten zunehmende Felsstürze voraus, ausserdem seien zerrissene Felspartien und offene Klüfte am Piz Cengalo zu sehen gewesen, nach denen ein baldiger Bergsturz zumindest nicht ausgeschlossen werden konnte.
Das Bundesgericht hatte 2020 das Kantonsgericht Graubünden zurückgepfiffen, als dieses die Strafuntersuchung wegen des Bergsturzes einstellen wollte. Die oberste kantonale Instanz hatte der Staatsanwaltschaft zunächst zugestimmt, dass der Bergsturz, gestützt auf Berichte des kantonalen Amts für Wald und Naturgefahren (AWN) nicht vorhersehbar gewesen sei.
Das Bundesgericht hingegen hiess eine Beschwerde der Angehörigen der Verschütteten gut, wonach sich das Kantonsgericht nicht nur auf die Feststellungen von Beamten hätte verlassen dürfen, sondern ein Gutachten hätte einholen müssen. Der Fall wurde neu aufgerollt.
Im Februar dieses Jahres wies das Kantonsgericht jedoch einen von der Staatsanwaltschaft vorgeschlagenen Gutachter zurück. Es hielt den Geologen für befangen. Dann kam der Waadtländer Oppikofer zum Einsatz, der jetzt seine Expertise dazu verfasste. Seine Erkenntnisse könnten nun dazu führen, dass die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Beamten des AWN wegen fahrlässiger Tötung erhebt.
Gemäss einem Artikel des Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) will die Bündner Staatsanwaltschaft Anfang 2024 über das weitere Vorgehen entscheiden. Das AWN sowie andere ins Verfahren involvierte Fachleute nahmen gegenüber dem «Beobachter» keine Stellung und verwiesen auf das laufende Verfahren.
Bei einem der grössten Bergstürze in der Schweiz seit über 130 Jahren waren am Piz Cengalo bei Bondo vom 23. August 2017 acht Menschen auf einem Wanderweg ums Leben gekommen. Sie kamen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz und gelten seither als vermisst.
Im Bergeller Seitental Val Bondasca donnerten damals drei Millionen Kubikmeter Fels zu Tal. Die Gesteinsmassen wälzten sich als Murgang bis ins Bergeller Haupttal. Das Bergdorf Bondo entging knapp seiner Zerstörung. Seine rund 200 Bewohnerinnen und Bewohner wurden evakuiert.
(hah/sda)
Letztlich ist jeder selber verantwortlich, welche Risiken man eingehen will.
Nachträglich kann man alle Anzeichen richtig deuten.
Allerdings, im Nachhinein, weiss man es immer besser.
Man sollte aber die Lehren daraus ziehen, für ein anderes Mal.