Es ist genau zwei Monate her, da rutschte mitten in der Nacht der Hang ob Brienz ins Tal. Kurz vor dem 85-Seelen-Ort im bündnerischen Albulatal stoppten die Gesteinsmassen - Brienz blieb vor dem Schlimmsten verschont. Doch für die Bewohnerinnen und Bewohner ist die Gefahr mit dem Hangrutsch von Mitte Juni noch nicht gebannt.
Zwar konnten sie nach der fast siebenwöchigen Evakuation wieder in ihre Häuser zurückkehren, doch eine «gewisse Unsicherheit» sei in der Bevölkerung nach wie vor zu spüren, sagt Daniel Albertin, der Gemeindepräsident von Albula. Denn: Brienz - ein Dorf in der politischen Gemeinde Albula - sieht sich akuter denn je mit einer Herausforderung konfrontiert, welche bereits vor Jahren nachgewiesen wurde. Das Dorf rutscht immer weiter in Richtung Tal. Aktuell verschieben sich die Gesteinsmassen unterhalb von Brienz um mehr als einen Meter pro Jahr.
Darunter leidet die Infrastruktur: Die Häuser weisen Risse auf, die Infrastruktur zur Versorgung mit Wasser und Strom leidet - und auch das Trassee der Rhätischen Bahn verschiebt sich. Am Ursprung dieser Entwicklung steht laut Ingenieurgeologe und Naturgefahrenspezialist Reto Thöny ein Ereignis vor mehr als zehntausend Jahren. Damals - zum Ende der Eiszeit - löste sich ein Teil des Hangs ob Brienz und rutschte nach unten. Auf ebendiesen Gesteinsmassen steht das Dorf Brienz. Das alles wäre kein Problem, wenn sich nicht im Untergrund Prozesse abspielen würden, die den Dorfbewohnerinnen und Geologen Sorgen bereiten.
Auslöser dieser Prozesse ist das Wasser. Im Fels, der weit unterhalb des Dorfs im Boden liegt, befindet sich Bergwasser. Dieses hat sich über die letzten Jahrzehnte angesammelt und zu einem starken Wasserdruck geführt. Dieser Druck hat zur Folge, dass die darüberliegenden Gesteinsmassen mitsamt des Dorfes Auftrieb erhalten und sich auf einer Art Rutsche stetig nach unten bewegen. Geologe Thöny veranschaulicht den Vorgang an einem Beispiel: «Es ist vergleichbar mit dem Surfen. Brienz surft auf den Gesteinsmassen - also quasi dem Surfbrett - nach unten, weil der Wasserdruck im darunterliegenden Fels Auftrieb verleiht.»
Bereits seit Jahren beobachten die Experten die Bewegungen im Gestein. Der Hangrutsch von Mitte Juni hängt direkt damit zusammen: «Wenn das Dorf rutscht, dann rutscht auch der Berg», erklärt Thöny. «Unser Ziel muss also sein, die Geschwindigkeit, mit der sich das Dorf bewegt, zu bremsen. Dann stoppt auch die Bewegung im Berg.» Um ein Ereignis wie diesen Frühsommer zu verhindern, soll deshalb ein sogenannter Entwässerungsstollen gebaut werden. Ziel ist, mit gezielten Bohrungen sowohl den Fels als auch die rutschende Masse zu entwässern. Dadurch kann die Rutschung gebremst oder im Optimalfall gar gänzlich gestoppt werden.
Dass diese Methode im Fall Brienz funktioniert, haben die in den letzten Monaten durchgeführten Versuche im eigens dafür erstellten Sondierstollen gezeigt. Entsprechend erleichtert ist Gemeindepräsident Albertin, wie er während der Besichtigung des Stollens erzählt: «Wir sind guten Mutes, dass der Entwässerungsstollen Stabilität bringt für das Dorf und den Berg.» In Anbetracht der Turbulenzen der vergangenen Wochen ist es wohl genau diese Stabilität, die sich die Bevölkerung auch im übertragenen Sinn erhofft: Die Evakuation hat bei vielen Brienzerinnen und Brienzer Spuren hinterlassen. Und sie hat den Wunsch verstärkt, dass endlich Ruhe einkehrt - und zwar langfristig.
Davon zeugt die grosse Zustimmung der Bevölkerung zum Kredit für den neuen Entwässerungsstollen: An der Gemeindeversammlung Mitte Juli wurde der Kredit laut Albertin «ohne grosse Diskussionen» gutgeheissen. Einzig die Finanzierung von Betrieb und Unterhalt nach der Fertigstellung des Stollens habe Fragen hervorgerufen. Man sei hierzu allerdings bereits im Gespräch mit dem Kanton.
Geplant ist, den Entwässerungsstollen als Verlängerung des bereits existierenden Sondierstollens zu bauen. Total erstreckt sich der Stollen dann über eine Länge von 2.3 Kilometern. Finanziert wird das 40-Millionen-Projekt zu einem Grossteil vom Bund und dem Kanton Graubünden. Sie steuern beide je 18 Millionen Franken bei, die restlichen vier Millionen sollen unter den «Nutzniessern» aufgeteilt werden, wie Josef Kurath vom Tiefbauamt Graubünden erklärt. Dazu zählen unter anderem die Gemeinde Albula, die Rhätische Bahn und Swissgrid.
Die Bündner Regierung wird den Kredit am Dienstag genehmigen, das Go aus Bern soll demnächst folgen. Dann geht es Schlag auf Schlag: Weil die Rutschung möglichst rasch gebremst werden muss, soll der Baustart für die Stollenerweiterung bereits im März des kommenden Jahres erfolgen. Zuvor wird in der Nähe eine Deponie eingerichtet, welche den gesamten Aushub fassen soll. Läuft alles nach Plan, wird der Stollen 2027 fertiggestellt.
Laut Geologe Thöny handelt es sich beim Grossprojekt in Brienz um ein «in dieser Komplexität weltweit einzigartiges Unterfangen». Es hätten sich denn auch bereits mehrere Delegationen ausländischer Experten angemeldet, um das Projekt zu besichtigen. Wie Gemeindepräsident Albertin zeigt sich auch Thöny zuversichtlich: Die Resultate aus den Messungen im Sondierstollen würden zeigen, dass man mit dieser Methode das Dorf «aufhalten» könne, ja sogar müsse. Denn, so Thöny: «Ohne Stollen wäre das Dorf langfristig nicht mehr bewohnbar.»
Ebendies wollen die Verantwortlichen unter allen Umständen verhindern, wie Christian Gartmann, der Kommunikationsverantwortliche der Gemeinde, bekräftigt: «Brienz soll auch in fünf oder zehn Generationen noch bewohnbar sein.» In seiner Aussage schwingt Entschlossenheit mit. Die Botschaft: Wir tun alles, um Brienz am Leben zu erhalten. (aargauerzeitung.ch)
Das ist einfach zu viel Geld für ein Experiment. Wir können das anderswo einsetzen. Für ein Naturschutz Projekt oder so was.
Ich meine, mit ner knappen halben Million pro Nase könnte man wohl ne dauerhafte Lösung finden, die wohl zu 100% "verhebt".
Ist in meinen Augen sehr viel Aufwand und Geld für ein paar Nasen.