Die Verbrechen der Nationalsozialisten bezeichnete die deutsche Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann als «Vergangenheit, die nicht vergeht». Mit dieser Formel beschrieb sie die Einsicht, dass das Dritte Reich und der Holocaust nicht einfach zu «Geschichte» erstarren und ad acta gelegt werden können. Die Wunden dieser Vergangenheit sind so tief, dass sie bis heute nachwirken und stets eine «Restgrösse an Verstörung» hinterlassen.
Die Schweiz erkannte erst spät, dass sie sich diesem dunklen Schatten nicht entziehen kann. Bis in die 1980er-Jahre pflegte sie das Bild der «verschonten Insel» mitten im kriegsversehrten Europa. Ein Umdenken setzte nur zögerlich ein. Erst 1995, fünf Jahrzehnte nach Kriegsende, entschuldigte sich Bundespräsident Kaspar Villiger dafür, dass die Schweiz Jüdinnen und Juden an der Grenze abgewiesen hatte.
Ein Jahr später ging eine Historikerkommission ans Werk, die der Bund auf Druck der USA eingesetzt hatte. Diese arbeitete die Frage der nachrichtenlosen Vermögen, die antisemitisch fundierte Flüchtlingspolitik und die wirtschaftlichen Verstrickungen der Schweiz mit Hitlers Regime auf.
Nun, nochmals dreissig Jahre später, soll es schneller gehen. Bald entsteht in Bern an zentraler Lage ein Erinnerungsort für die Opfer des Nationalsozialismus. Der Bundesrat hat dazu 2,5 Millionen Franken bewilligt. In Diepoldsau SG ist zudem ein nationaler, grenzüberschreitender Vermittlungsort geplant. Als drittes Element dient ein virtuelles Vernetzungsprojekt, das zum Beispiel bestehende Erinnerungsorte miteinander verknüpft.
Das nationale Memorial ist für die Schweizer Erinnerungskultur ein Meilenstein. Bisher gibt es zwar rund sechzig lokale Denkmäler, aber keines von nationaler Tragweite. Der konkrete Zeitplan zum Erinnerungsort in Bern sowie der genaue Ort stehen noch aus. Den nächsten Schritt wird ein Gestaltungswettbewerb machen. Der Bund will in Kürze mehr Details kommunizieren.
Die neuen Erinnerungsorte sollen verschiedenen Opfergruppen gedenken: Schweizerinnen und Schweizer, die die Nazis verfolgten, entrechteten und ermordeten; Jüdinnen und Juden, die an der Grenze in den sicheren Tod geschickt wurden; Schweizerinnen und Schweizer, die sich für Verfolgte einsetzten oder gegen das Regime kämpften. Und schliesslich alle Opfer des Nationalsozialismus und des Holocaust.
Die Berücksichtigung der Schweizer Opfer zeigt, dass sich in den letzten Jahren ein neues Fenster der Erinnerung geöffnet hat. Dazu hat das Buch «Die Schweizer KZ-Häftlinge» von drei Journalisten entscheidend beigetragen. Es zeigte auf, dass die Nazis rund 400 Menschen mit Schweizer Pass in die Konzentrationslager deportierten. Die Schicksale dieser Menschen waren bis dahin kaum beachtet worden. Oft setzte sich die offizielle Schweiz nur halbherzig für diese Bürger in Not ein.
«Immer weniger Zeitzeugen können von ihren Erfahrungen erzählen. Deshalb ist es wichtig, ihre Geschichten und auch die Rolle der Schweiz in der NS-Zeit für kommende Generationen weiterzutragen», sagt Jonathan Kreutner, Generalsekretär beim Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund. Dass die Schweiz erstmals einen nationalen Erinnerungs- und Vermittlungsort erhalte, sei bemerkenswert. «Manche sagen, er komme zu spät. Man kann aber auch sagen: Besser spät als nie. Entscheidend ist, dass wir der Vergangenheit auf seriöse Weise begegnen.» Die laufenden Arbeiten seien auf gutem Weg, diesen Anspruch zu erfüllen, sagt Kreutner.