«‹Scheiss Schwuchtle› soll nie wieder einen Jugendlichen in den Selbstmord treiben dürfen»
Regelmässig machen Meldungen die Runde von schwulen oder lesbischen Jugendlichen, die Opfer von massivem Cybermobbing oder anderen Beschimpfungen werden. Die schlimmsten Fälle enden mit einem Suizid. Von Gesetzes wegen sind Homosexuelle im Vergleich mit anderen Minderheiten vielerorts aber schlecht geschützt.
Die «europäische Regenbogenkarte» zeigt jedes Jahr die juristische Situation lesbischer, schwuler, bi-, trans- und intersexueller Menschen (LGBTI) auf. Der Schutz vor Diskriminierung nimmt einen wichtigen Teil ein in der Bewertung der rechtlichen Situation. Die Schweiz ist dabei mit 29 Punkten schlechter rangiert als Serbien, Bulgarien, Albanien oder Portugal.
Auch deswegen stimmt der Nationalrat heute über zwei Vorstösse ab, die den rechtlichen Schutz von Schwulen und Lesben verbessern soll. Die parlamentarische Initiative des Walliser Nationalrats Mathias Reynard und eine Standesinitiative des Kanton Genf wollen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung unter Strafe stellen, so wie es heute bereits mit Diskriminierung aufgrund von Religion, Rasse und Ethnie der Fall ist.
Bisheriges Anti-Diskriminierungsgesetz wirkt nicht
Die hiesigen Organisationen stossen sich an der schlechten Platzierung. Eveline Mugier von der schweizerischen Lesbenorganisation (LOS) nennt deshalb den Kampf für den Schutz vor Diskriminierung als einen der wichtigsten Schwerpunkte ihrer Arbeit: «Wir haben keinerlei rechtliche Grundlage, um uns gegen Diskriminierung zu wehren», sagte sie 2011 gegenüber dem «Tages-Anzeiger».
Die ständerätliche Kommission, die sich in ihrer Vorberatung gegen Strafen wegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung aussprach, widerspricht dieser Ansicht: «In Lehre und Rechtssprechung gilt es als gesichert, dass Diskriminierung von homosexuellen und bisexuellen Personen unter das [bisherige] Diskriminierungsverbot fallen.» Ähnlich argumentieren bürgerliche Nationalräte, die den Antrag auf Ablehnung stellten.
Ganz so klar ist die Rechtssprechung aber nicht, denn in letzter Instanz entschied das Bundesgericht das Gegenteil. 2010 entschieden die Lausanner Richter, dass das bisherige Anti-Rassismusgesetz nur für Diskriminierung wegen Rasse, Hautfarbe oder nationaler Herkunft gilt und nicht wie gefordert auch für jene wegen der sexuellen Identität. Sie wiesen damit eine Klage von rund 40 Mitgliedern von Schwulen- und Lesbenorganisationen gegen den Walliser SVP-Politiker Grégory Logean ab, der im Internet Homosexualität als «abnormales Verhalten» bezeichnet hatte.
Psychische Gewalt als latentes Problem
Wie die «Neue Zürcher Zeitung» schreibt, geschieht die Hälfte aller Selbstmordversuche noch vor dem 20. Lebensjahr. Die Suizidgefahr ist unter jungen homosexuellen Männern bis zu fünfmal höher als unter gleichaltrigen Heterosexuellen. Für junge Lesben ist das Risiko viermal grösser.
Ein junges, lesbisches Paar schrieb watson vor einigen Tagen eine E-Mail, in der es von einer homophoben Erfahrung berichtete. «Wir wollten feiern und an ein Konzert gehen und wurden von einer älteren Frau beschimpft, ausgelacht und gedemütigt», schrieb die Rheintalerin Nina H. in ihrem Text. «Der ganze Abend war ruiniert. Es macht uns wütend und traurig. Sie beleidigt uns, weil wir uns lieben», sagt sie verzweifelt.
Gegenüber watson sagt sie deshalb: «Ich hoffe, dass das Verbot im Parlament angenommen wird. Es gibt einem ein wichtiges, beruhigendes Gefühl, wenn man weiss: Ich kann gegen diese Entwürdigungen vorgehen.» Die Meldungen von Krisen, Suiziden und Depressionen von jungen Homosexuellen würden sie schwer treffen. «Solche extremen Situationen erfordern klare Massnahmen. ‹Scheiss Schwuchtle› soll nie wieder einen Jugendlichen in den Selbstmord treiben dürfen.»


