Welche drei Sugus-Häuser der Erbin Regina Bachmann gehören und welche sechs ihren Geschwistern, sieht man schon von Weitem. In den Sugus-Häusern in der Neugasse 87 bis 97 in der Stadt Zürich lebt es. Die Veloständer quellen von Fahrrädern über. Von den Balkonen hängen Lämpchen, Fähnchen, Windspiele, Pflanzen. Dort brennt eine Lampe, da hört man einen Dampfabzug, Musik, Gespräche. Menschen gehen ein und aus. Selbst zur ruhigen Mittagszeit unter der Woche.
Ganz anders sieht es nur wenige Schritte weiter aus. Bei den Hausnummern 81, 83 und 85. Die Rollläden der meisten Wohnungen sind heruntergelassen. Die Balkone wie leergefegt. Nur da und dort sieht man noch einen Grill, einen Tisch, einen Stuhl, ein Bäumchen. Vom Widerstand, der sich noch vor wenigen Monaten gegen die Besitzerin gebildet hatte, ist augenscheinlich nichts mehr übrig. Obwohl Bachmann allen ihren 200 Mieterinnen und Mietern gemäss ihrem letzten Schreiben erst auf Ende September 2025 kündigte.
Nur ein einziges, buntes Plakat hängt noch. Angemacht an der Innenseite der Balkontür. Weil Bachmann es ihren Mieterinnen und Mietern im Januar verboten hat, Protest-Schilder an der Hausfassade zu befestigen.
«Sugus bliibt Heimat», steht auf dem Plakat geschrieben. Die Stimmung im Quartier hingegen sagt: «Sugus liegt im Sterben.»
In den Briefkästen von Bachmanns Sugus-Häusern klaffen mindestens 15 Löcher. Da, wo die Namensschilder hingehören würden.
«Ausgezogen sind schon viel mehr Leute. Ihre Namen hängen aber noch an den Briefkästen», sagt ein Mann, der gerade mit seinem Hund um die Ecke biegt. Der Pensionär ist der Einzige, den man um diese Zeit hier vorfindet. Seinen Namen will er nicht in den Medien lesen. Wir nennen ihn Ruedi.
Ruedi wohnt seit 25 Jahren hier. «Seit es die Sugus-Häuser gibt.» Seine Augen werden wässrig, als er das sagt. Über Emotionen will er aber lieber nicht reden. Nur so viel:
Der Kampfgeist im Quartier sei mit den Mieterinnen und Mietern ausgezogen. «Selbst eine Nachbarin, die immer am lautesten war, eine, die Demonstrationen organisiert und ins Megafon gerufen hat, zieht aus», sagt Ruedi und zuckt die Schultern. Klar fühle er sich da hintergangen. Aber übel könne er es ihr trotzdem nicht nehmen.
Sie habe ihm erzählt, wie ihr Vater einst auf der Baustelle der Sugus-Häuser gearbeitet habe. Ihre Schwester und Eltern wohnten in den anderen Blöcken, denen keine Kündigung drohe. Nun habe sich für sie die Gelegenheit ergeben, in eine Wohnung in den anderen Sugus-Häusern zu ziehen. «Natürlich packt sie diese Chance. So wie es eben alle tun, wenn sich eine auftut.»
Allein auf seinem Stockwerk stünden schon drei Wohnungen leer. Von sechs weiteren Nachbarinnen und Nachbarn weiss Ruedi, dass sie demnächst ausziehen werden.
Dabei ist noch gar nicht geklärt, ob Regina Bachmanns Massenleerkündigung rechtens ist. Zahlreiche Mieterinnen und Mieter haben ihre Kündigung angefochten. Erst in diesem Monat verhandelt die Schlichtungsbehörde die ersten Fälle, die richtungsweisend sein werden.
Die Schlichtungsbehörde wird gemäss der «Limmattaler Zeitung» zunächst versuchen, eine Einigung zwischen den Parteien zu erzielen. Gelingt das nicht, entscheidet ein Gericht. Besitzerin Bachmann könnte das Urteil allerdings noch über mehrere Instanzen weiterziehen. Das heisst: Die Unsicherheit, in der sich die Mieterinnen und Mieter befinden, wird so bald kein Ende finden. Wer das nicht aushält, sucht nach einer neuen Wohnung. Und zieht aus.
Auch Ruedi hat bei einer Online-Plattform ein Abonnement eingerichtet, um über Wohnungsinserate in der Stadt Zürich informiert zu werden. Aktiv sucht er aber nicht. «Ich warte ab, was bei der Schlichtung passiert.»
Sein eigener Termin vor der Schlichtungsbehörde ist erst im Juli. Bis dahin sind seine drei erwachsenen Söhne, mit denen er zusammenwohnt, womöglich schon ausgezogen. Sie sind auf Wohnungssuche. Planen, WGs mit Freunden zu gründen.
Ruedi will so lange in seiner Wohnung bleiben, wie er eben kann. Oder bis er etwas Vergleichbares in der Stadt Zürich gefunden hat, «was – sind wir ehrlich – sehr schwierig ist», sagt Ruedi.
Er versucht sich deshalb mit einem anderen Gedanken anzufreunden: Auswandern. Nach Brasilien, wo er Freunde hat.
Mit einem müden Lächeln sagt Ruedi: «Ich mag den Winter in der Schweiz sowieso nicht.» Und günstiger sei das Leben in Brasilien allemal für jemanden mit seiner Rente.
Dann blickt Ruedi auf sein weisses Hündchen, das sich in seinen Schatten gestellt hat und hechelt. Eine rosa Schleife auf seinem Köpfchen hält die wuschigen Haare aus dem Gesicht.
Ob Ruedi sein Hündli mit nach Brasilien nehmen kann? Ob er es übers Herz bringen wird, seine Söhne nur noch wenige Male im Jahr zu sehen? Ob Ruedi sich diese Fragen täglich stellt, seitdem im Dezember 2024 die Kündigung hereingeflattert ist?
Ruedi will nichts dergleichen preisgeben. Stattdessen verabschiedet er sich und läuft mit schweren Schritten auf den gelben Block mit der Hausnummer 83 zu. Ein Block, den er schon bald allein bewohnen könnte. Ein Block, der sich nach 25 Jahren nicht mehr nach einem Zuhause anfühlt. Obwohl Ruedi noch darin leben darf.
Wer sich nicht an die erlaubten Renditen haltet soll entschädigungslos enteignet werden und der Wohnraum an nicht-gewinnorientierte Genossenschaften abgegeben werden!