Sag das doch deinen Freunden!
Natascha Kampusch kommt nicht zur Ruhe. Sie wird es wohl nie kommen. Einmal mehr wird die Akte ihres Falles, der voller Widersprüche und unbeantworteter Fragen ist, geöffnet. Im Zentrum steht jetzt die Frage: Hat sich Kampusch-Entführer Wolfgang Priklopil wirklich das Leben genommen? Dem nimmt sich nun wohl die Oberstaatsanwaltschaft Wien an. Dort ist jetzt eine Strafanzeige gegen Unbekannt wegen des Verdachts des Mordes an Priklopil eingegangen.
Hinweis: Weiter unten im Artikel befindet sich ein Bild der intakten Leiche von Wolfgang Priklopil. Wer sich den Anblick ersparen möchte, sollte hier mit der Lektüre aufhören.
Erstattet hat die Anzeige Karl Kröll. Er ist der Bruder von Franz Kröll, dem damaligen Chefermittler der SOKO Kampusch. Franz Kröll äusserte in seiner Funktion als Sonderermittler grösste Zweifel an der Version, dass Priklopil alleine die Tat begangen haben könnte. Kurz nachdem er erklärte, im Fall Kampusch vor dem Durchbruch zu stehen und damit das grösste politische Beben in Österreich seit dem Fall Lucona auszulösen, wurde der Sonderermittler tot aufgefunden. Erschossen. Offizielle Todesursache: Selbstmord.
Wer im Fall Kampusch heute noch Fragen stellt, wird rasch in die Ecke der Verschwörungstheoretiker gestellt. Allerdings ist die schiere Menge der Ungereimtheiten erschlagend. Allein zur aufgefundenen Leiche des Kampusch-Entführers Wolfgang Priklopil sind viele Fragen offen geblieben. Falls sich jetzt der Verdacht erhärtet, dass Priklopil sich nicht selbst umgebracht hat, wäre die Einzel-Täter-Theorie vom Tisch und der gesamte Fall müsste erneut aufgerollt werden. Hier die fünf grössten Widersprüche zur Selbstmord-Version des Wolfgang Priklopil:
Priklopil soll nach der Flucht von Kampusch am 23. August 2006 Suizid begangen haben, er soll sich vor einen Zug geworfen haben. So die offizielle und bis heute gültige Version. Gegen diese spricht die Art und Weise, wie die Leiche auf den Schienen lag. Das bemerkte der damalige SOKO-Leiter Franz Kröll bei seinen Ermittlungen. 2009 stellte er fest: «Der Tatort sah inszeniert aus.» Der Körper lag auf der einen, der abgetrennte Kopf auf der anderen Seite der Schienen.
watson ist im Besitze des Bildes, das bisher nicht veröffentlicht wurde. Dieses zeigt Priklopils beinahe intakten Kopf – abgetrennt von seinem Körper, der nur wenig verletzt ist. Jemand, der vor einen Zug springt, sieht nicht so aus. Bei Zug-Suiziden sind Leichenteile meistens jeweils über einen Kilometer verstreut. Selbstmörder suchen meistens den direkten Aufprall mit der Lok. (Anmerkung der Redaktion: Wir würden normalerweise nie ein solch explizites Bild zeigen. Da es aber hier gerade ausdrücklich um einen Teil der Beweisführung geht, muten wir den Lesern dieses Bild zu.)
Ein österreichisches Bahnspezialisten-Team ging dem angeblichen Suizid nach. Das Team kam zum Schluss, dass es unmöglich ist, dass eine Person, die von einem damals eingesetzten Zugtyp überfahren wurde, aussieht wie die Leiche von Priklopil. Die Spezialisten fanden heraus, dass die damals eingesetzten Lokomotiven an der Front Rechen hatten, die einen Maximalabstand von 13 Zentimetern zu den Geleisen aufwiesen. Deshalb wären der Kopf oder der Körper oder beides – je nachdem wie die Person auf den Schienen lag – zerfetzt worden.
Priklopil soll einen Abschiedsbrief geschrieben haben. Darauf stand lediglich das Wort «Mama». Das österreichische Bundeskriminalamt liess 2009 ein graphologisches Gutachten erstellen. Darin heisst es, es gebe erhebliche Zweifel, dass Priklopil seinen letzten Brief, auf dem nur das Wort «Mama» stand, selber geschrieben hat. Allerdings machten die Experten markante Ähnlichkeiten mit der Schrift Ernst H.s** aus. H. war der beste und eigentlich einzige Freund Priklopils. Er verbrachte die letzten fünf Stunden zwischen Kampuschs Flucht und seinem Tod zusammen mit H. in dessen Auto. Für Ernst H. gilt die Unschuldsvermutung. H. war der einzige, der Priklopil zusammen mit Kampusch gesehen hat. H.s Frau backte auf Bitte von Priklopil zum achtzehnten Geburtstag von Natascha Kampusch einen Kuchen. Unmittelbar nach der Flucht von Natascha Kampusch telefonierten Priklopil und H. diverse Male. H. behauptet aber, Priklopil habe ihm in den letzten fünf gemeinsam verbrachten Stunden nur etwas von einem Verkehrsunfall erzählt.
Ernst H. geriet immer wieder ins Visier der Ermittler. Angeklagt wurde er aber nie. Dies, obwohl er sich laut Polizeiprotokollen, die watson vorliegen, laufend und zahlreich in Widersprüche verstrickte. Unter anderem erzählte er zwei komplett verschiedene Versionen zu den letzten Stunden, die er mit Priklopil verbracht haben soll. Version 1: Zuerst erzählte Ernst H., Priklopil habe ihn nach dem Mittag angerufen, in Panik, weil er wegen eines Verkehrsdelikts vor der Polizei auf der Flucht war. H. habe aber nichts von Priklopil und Kampusch gewusst. Auch in den fünf letzten Stunden in seinem Auto habe ihm Priklopil, der sich wenig später umbrachte, nichts von Natascha Kampusch erzählt. Version 2: 2009, drei Jahre nach der Flucht, wechselte Ernst H. den Anwalt und erzählt eine neue Variante. Er habe von Priklopil und Kampusch gewusst, weil Priklopil ihm im Auto eine Art Lebensbeichte abgelegt und von der Entführung Kampuschs sowie der langen Gefangenschaft erzählt habe.
Der Verdacht: Karl Kröll, der Bruder des SOKO-Leiters, sprach schon 2012 eine Vermutung aus: «Priklopil wurde dort hingelegt. Ich glaube, dass Ernst H. den zweiten Täter beseitigen musste, denn Priklopil hätte vielleicht etwas erzählt.»
**Name der Redaktion bekannt