Die Verhandlungen der Schweiz mit der EU stehen offenbar kurz vor dem Abschluss: Am kommenden Mittwoch wird Aussenminister Ignazio Cassis in Bern den Vizepräsidenten der EU-Kommission, Maros Sefcovic, treffen. Die Gespräche sollten gemäss der gemeinsamen Verständigung noch dieses Jahr zu Ende geführt werden.
Die Verhandlungen kommen in einem intensiven Tempo voran, wie das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) am Freitag auf X mitteilte. In den vergangenen Tagen war in verschiedenen Medien über das Treffen spekuliert worden.
🇨🇭-🇪🇺: Die Paket-Verhandlungen schreiten zügig voran.
— EDA - DFAE (@EDA_DFAE) November 22, 2024
Bundesrat @ignaziocassis wird am kommenden Mittwoch, 27. November, in Bern mit dem Vizepräsidenten der @EU_Kommission @MarosSefcovic Bilanz ziehen.#SwissEUrelations #Europapolitik pic.twitter.com/V57lNSNSoN
Eigentlich hätte das Treffen bereits im Sommer stattfinden sollen. Es wurde dann aber kurzfristig abgesagt, weil die Verhandlungspositionen offenbar noch zu weit auseinander lagen.
Am kommenden Mittwoch dürfte es in den Gesprächen zwischen Cassis und Sefcovic insbesondere um die Höhe des Kohäsionsbeitrags gehen. Diese Diskussion müsse auf politischer Ebene geführt werden, hiess es zuletzt von einer mit dem Dossier vertrauten Person. Der Beitrag zahlt die Schweiz der EU für ihren teilweisen Zugang zum europäischen Binnenmarkt.
Das Arbeitstreffen wird auf dem Landsitz Lohn bei Bern stattfinden, wie das EDA auf Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA mitteilte. Im Anschluss ist ein gemeinsames Abendessen vorgesehen. Aussenminister Ignazio Cassis wird begleitet von Chefunterhändler Patric Franzen sowie von den Staatssekretären Alexandre Fasel, Helene Budliger und Christine Schraner Burgener.
Seit dem Sommer kam es zu konkreten Fortschritten im Bereich der EU-Programmen, namentlich bei Horizon Europe. Die Kommission erlaubte Forschenden aus der Schweiz sich auf gewisse Zuschüsse des Forschungsprogramms zu bewerben. Dabei hielt die Kommission stets fest, dass diese Schritte auf ihren «guten Willen» beruhten.
Für schwierigere Diskussionen sorgte das Thema der Personenfreizügigkeit. Der Bundesrat wollte die in einem Abkommen bereits existierende Schutzklausel präziser definiert haben. Die heutige Formulierung gilt als «Gummiparagraf». Die EU lehnte im Oktober eine unilaterale Schutzklausel, die der Schweiz ermöglicht hätte die Migration aus EU-Staaten zu regulieren, entschieden ab.
Frühere Verhandlungen zwischen den zwei Partnern scheiterten an der Regelung der institutionellen Elementen. Diese wurden nun neu verhandelt. Dabei sind zwei Aspekte zu berücksichtigen: die dynamische Rechtsübernahme und ein Streitbeilegungsverfahren. Bei beiden Elementen sei es rasch zu Fortschritte gekommen.
Ebenfalls im Bereich der gegenseitigen Anerkennung von Konformitätsbewertungen (MRA) hätten sich die Positionen angenähert. So war vergangene Woche eine Einigung in Griffnähe, wie es in Brüssel von zwei unabhängigen Quellen hiess. Mit der MRA können Handelsschranken beseitigt werden. Dies ist insbesondere für die exportorientierte Industrie von Bedeutung.
Den Startschuss für die Verhandlungen gaben im März in Brüssel Bundespräsidentin Viola Amherd und Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen. Zuvor hatten sich beide Partner auf eine gemeinsame Verständigung, die den Rahmen der Verhandlungen definierte, geeinigt. Darauf gestützt verabschiedeten beide Seiten ihr Mandat.
Grundsätzlich sollen die bestehenden Verträge aktualisiert und erweitert werden. Konkret geht es etwa um Abkommen im Bereich des Landverkehrs, des Stroms, der Gesundheit, der staatlichen Beihilfen oder der Personenfreizügigkeit. Für Sefcovic gehören die Verhandlungen zu den «intensivsten seiner Karriere», wie er kürzlich sagte.
Nebst den Verhandlungen zwischen Bern und Brüssel werden auch innenpolitische Gespräche geführt, die die Umsetzung der möglichen neuen Verträge regeln sollen. Beispielsweise sprechen die Sozialpartner über flankierende Massnahmen, um den Lohnschutz zu gewähren. Weiter würden rund nötige 30 Gesetzesänderungen und 40 Verordnungen vorbereitet werden.
Darüber tauschte sich die aussenpolitische Kommission des Ständerats (APK-S) am Freitag mit Cassis aus, wie die Kommission mitteilte. Mit grosser Mehrheit habe sie den Bundesrat darauf hingewiesen, dass die neuen Abkommen in den Bereichen Strom, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit im Parlament gesondert beraten werden müssten.
Sobald die Verhandlungen zwischen der EU und der Schweiz paraphiert sind, wird der Bundesrat das Geschäft an das Parlament weiterleiten. Wenn dieses dem Abkommen zustimmt, kommt das Dossier vors Volk. Eine Volksabstimmung wird frühestens im Herbst 2026 erwartet. (sda)