Was bedeutet die eigene Hautfarbe im politischen Alltag? Solche Fragen wurden bislang hauptsächlich im wissenschaftlichen Alltag diskutiert. Im Nachgang zu den «Black Lives Matter»-Debatten erreicht diese Frage auch die breiten Massen. Unter dem Hashtag #kritischesweisssein berichteten in den letzten Tagen Hunderte, welche Privilegien weisse Personen im Alltag haben.
Dabei kamen immer wieder die Begriffe «White Privilege» oder «Critical Whiteness» auf. Was bedeuten diese Worte? Ein Blick in die akademische Auseinandersetzung dazu.
Die Überlegung hinter diesen Begriffen ist, den Fokus auf ein bestimmtes Thema zu werfen. Die Erforschung des Rassismus stellte traditionell «Betroffenen» ins Zentrum: Wie werden sie unterdrückt? Warum werden sie ausgegrenzt? Die Forschungsrichtung Critical Whiteness untersucht hingegen die Verantwortung von Weissen. Die Debatte wird dominiert durch englische Begriffe, die im deutschsprachigen Raum oft mit «weissen Privilegien» und «kritischer Weissheit» übersetzt werden.
Die heute 85-jährige Aktivistin und Wissenschaftlerin Peggy McIntosh befasst sich seit Jahrzehnten mit weissen Privilegien. In ihrem Essay «White Privilege: Unpacking the Invisible Knapsack» schreibt sie:
Es sind (systematische und rechtliche) Vorteile, Ansprüche oder Wahlmöglichkeiten, die Menschen allein deshalb haben, weil sie weiss sind. Im Allgemeinen sind sie sich diesen nicht bewusst – deshalb auch das Bild vom «unsichtbaren, schwerelosen Rucksack».
Diese Privilegien werden oft auch als «Vermächtnis» und eine «Ursache» von Rassismus genannt. So schrieb die Autorin Francis E. Kendall, dass weisse Privilegien auch bedeuten würden, dass Weisse einen besseren Zugang zu Macht und Ressourcen haben als schwarze Menschen.
Aus diesem Konzept ist auch eine eigene Forschungsrichtung entstanden. Critical Whiteness (kritische Weissseinsforschung) versucht, den Rassismus und die Diskriminierung zu erforschen, indem Perspektiven gewechselt werden. Während zuvor bei der Rassismusforschung der Fokus auf die «Betroffenen» gelegt wurde, stehen bei der kritischen Weissseinsforschung die gewollt oder ungewollt Rassismus-Ausübenden im Zentrum. Untersucht werden dabei Strukturen und Mechanismen, die zu den Privilegien geführt haben.
Bei Critical Whiteness geht es auch um die Annahme von weissen Personen, dass ihr «Weisssein» Norm und Massstab ist. Nicht-Weisssein sei hingegen eine «Abweichung» oder «Abstufung» dieser Norm.
Die Forschung geht davon aus, dass weisse Personen bewusst oder unbewusst in allen gesellschaftlichen Bereichen gewisse Privilegien haben. So etwa im Bildungswesen, in der Politik und Rechtsprechung oder im Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Das würde sich auch darauf auswirken, wie weisse oder schwarze Personen in Medien, in der Werbung oder im Film und Theater dargestellt werden.
Im Rahmen der weltweiten «Black Lives Matter»-Demonstrationen wurden verschiedene Vorschläge geteilt, wie sich weisse Personen ihrer Privilegien bewusst werden können. Peggy McIntosh veröffentlichte mit ihrer «White Privilege Checklist» 50 Punkte, die als «Behauptungen» gelesen werden können, um sich den eigenen Privilegien bewusst zu werden. Eine Auswahl auf Deutsch übersetzt:
Derzeit befassen sich auch auf den Social-Media-Plattformen Menschen mit ihren weissen Privilegien. Die Debatte im deutschsprachigen Raum wurde Anfang Juni vom deutschen Journalisten Malcolm Ohanwe auf Twitter initiiert. Er rief unter dem Hashtag #KritischesWeisssein dazu auf, das eigene Weisssein kritisch zu reflektieren.
Los geht’s. Lasst uns starten mit Beiträgen zu #KritischesWeißsein. Lest den Thread durch, macht euch Gedanken & teilt ehrliche, reflektierende Impulse über weiße Privilegien + weiße Zerbrechlichkeit unter den Hashtag #KritischesWeißsein & #KritischeWeißheiten. Gerne retweeten! https://t.co/bi6I0wBriV
— Malcolm Ohanwe (@MalcolmOhanwe) June 8, 2020
Zahlreiche Personen berichteten daraufhin von Erfahrungen im Alltag. Eine Auswahl:
Ich bin nicht in Deutschland geboren und hatte enorme Sprachbarrieren als ich ins Land kam. Meine Identität wurde aber noch nie in Frage gestellt. Kein einziges Mal hat jemand aufgrund meines Aussehens gefragt, wo ich herkomme oder mich als Migranten behandelt #KritischesWeißsein
— RubinNischara (@RubinNischara) June 8, 2020
#KritischesWeißsein
— Mona Ruzicka (@mona_ruzi) June 8, 2020
Bei einer Straßenumfrage fürs Fernsehen fiel mir auf, dass ich nicht-weiße Menschen unterbewusst vermieden habe, weil ich zB dachte, dass sie kein Deutsch sprechen. Dann habe ich diese Menschen aktiv angesprochen und die allermeisten sprachen gutes Deutsch.
Dass ich als Kind mit einem "hautfarbenen" Stift gemalt habe, ohne es auch retroperspektiv zu hinterfragen, warum der eigentlich beige ist, erschüttert mich. #Antirassismus - work in progress. #kritischesweisssein
— Lennart Nickel (@nickellenn) June 8, 2020
Auch auf Instagram hinterfragen Weisse ihre Privilegien. Die Autorin und Mitgründerin des Instituts für diskriminierungsfreie Bildung hat eine Instagram-Challenge gestartet. Sie postet jeden Tag eine neue Frage, die andere Userinnen und User in einem Bild zur Selbstreflexion beantworten sollen.
Die deutsche Journalistin und Autorin Alice Hasters sagt zu «Deutschlandfunk Nova», dass bei der Diskussion mit solchen Begriffen weisse Menschen Zusammenhänge des rassistischen Systems verstehen und damit erkennen würden, dass sie «eindeutige Privilegien» hätten. Denn: «Das Privileg von weissen Menschen ist: Sie können Rassismus einfach ignorieren, wenn es ihnen zu anstrengend wird.» Dabei müssten sie aktiv dranbleiben.
Ähnlich formuliert es die Autorin Millary Hyatt: Durch die kritische Weissseinsforschung würde man weisse Menschen darauf aufmerksam machen, dass sie nicht «einfach Menschen» sind, sondern «weisse Menschen». Sie seien nicht ausgenommen von der gesellschaftlichen Bestimmung durch ethnische Merkmale. Diese Bestimmung verschaffe ihnen eine Sonderrolle. Es gehe darum, sich dessen bewusst zu werden, was man vorher gar nicht als Struktur des Denkens wahrgenommen hat.
"Warum liegt der Fokus von allen auf der Hautfarbe, und nicht auf der Person?"
Ich spiele viel mit Leuten Online Games, international, und neulich hat der eine ein Bild von sich gepostet, er ist schwarz, das wusste in der Gruppe niemand, hat es jemand angesprochen? Nein, weil es niemanden interessierte oder störte.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich nicht nach Hautfarbe/Herkunft bewerte, sondern nach Verhalten. Bist du ein Ars**, bist DU halt ein Ars**, egal wie du aussiehst.
- Silence is violence = wenn du nichts sagst, bist du ein Rassist weil du diese angeblich unsägliche Situation stillschweigend akzeptierst
- Wenn du etwas sagst, dass sich nicht zu 100% mit der Meinung der Moralisten deckt, bist du tief in dir drinn, wenn auch nur versteckt, ein Rassist
Und die Medien machen fleissig mit, es wird durch mediale Hinrichtung ausgeschaltet wer nicht mitspielt. Es geht längst nicht mehr um Mohrenköpfe oder Migrossäcke etc.. Langsam zeigt dies totalitäre Tendenzen und irgendwie schwant mir böses.
Ich finde es in Ordnung, dass in der Schweiz „Weisse“ die Norm sind, während ich z.B. in Japan sehr erstaunt wäre, wären im TV, in der Politik usw. viele „Weisse“ vertreten.
Wieso bezieht sich diese „Forschung“ nur auf die Herkunftsländer vorwiegend weisser Bevölkerung?
Warum muss ich meine Existenz in meinem Daheim „kritisch hinterfragen“?
Das Getue geht mir langsam gegen den Strich.
(FYI bin Ausländer in der CH)