Vor rund einem Jahr machte der Begriff «Quiet Quitting» Schlagzeilen. Dabei handelt es sich um eine Variante des Dienstes nach Vorschrift: Mitarbeitende leisten nur das geforderte Minimum. Keine Überstunden. Keine Extraschicht. Das Privatleben steht an erster Stelle.
Doch nun wird in den sozialen Medien «Quite Quitting» von «Loud Quitting» übertönt.
Bei «Loud Quitting» geht es darum, mittels lautstarker Ankündigungen, das Unternehmen verlassen zu wollen, den Arbeitgeber an den Verhandlungstisch zu zwingen. Mehr Lohn. Mehr Ferien. Eine Beförderung. Der Hintergedanke dabei: Mit Blick auf den Fachkräftemangel kann es sich die Firma nicht leisten, Arbeitskräfte zu verlieren.
Der kräftige wirtschaftliche Aufschwung nach der Aufhebung der Corona-Massnahmen hat die Anzahl der Stellenausschreibungen im Eiltempo auf neue Rekordhöhen getrieben. Man spricht von einem Arbeitnehmermarkt. Das heisst: Es sind aktuell mehr Stellen offen als qualifiziertes Personal vorhanden. Für unglückliche Angestellte oder Stellensuchende eine formidable Ausgangslage.
Auf sozialen Medien wie TikTok und YouTube diskutieren Nutzerinnen und Nutzer, wie diese Taktik am erfolgreichsten angewendet werden kann. Sie geben sich gegenseitig Tipps und erzählen von ihrem Erfolg.
Wer hat diesen Trend gestartet? Natürlich die Amerikanerinnen und Amerikaner.
Auslöser des Trends waren Angestellte von US-Techfirmen. «Loud Quitting» ist die Antwort auf den Sparwahn von grossen Unternehmen wie Amazon, Facebook, Google oder Twitter. Aus Spargründen wollten diese massenhaft Personal entlassen.
Hoch qualifizierte Programmiererinnen und Programmierer, Ingenieure und Ingenieurinnen sahen ihre Chance, um ihren Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen lauthals klarzumachen, dass ohne ihr Fachwissen nichts im Unternehmen läuft.
Ein Beispiel: Twitter. Elon Musk wollte sparen und entliess mehrere Spitzenleute. Diesen Menschen musste er reumütig wieder ein Jobangebot machen. Denn ohne sie läuft der Laden eben doch nicht.
Die Verhandlungstaktik ist jedoch umstritten. Denn wer seine Verhandlungsposition überschätzt, kann schnell auf dem Boden der Tatsachen landen.
Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber können das krawallartige Auftreten auch als Verstoss gegen die Treuepflicht verstehen. Und ist das Vertrauen dahin, dann nützt auch die härteste Drohung nichts mehr: «Wenn man wegen jeder Kleinigkeit Lärm macht, stumpft dieses Instrument irgendwann ab und bewirkt nicht mehr viel», sagt Arbeitsmarktexperte Mattias Mölleney gegenüber dem Tagesanzeiger.
Mölleney empfiehlt unzufriedenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, das Gespräch mit dem Arbeitgeber und der Arbeitgeberin zu suchen. Ist der Lohn das Thema, müsse ein Mitarbeiter überzeugend für eine Erhöhung argumentieren können. «Bei bilateralen Lohnverhandlungen kommt es darauf an, dass ich sehr klar erklären und begründen kann, welchen Mehrwert ich für das Unternehmen bringe und warum ich einen höheren Lohn verdient habe», so Mölleney.
In der Schweiz ist der Trend noch nicht wirklich angekommen. Erst recht nicht bei Frauen. «Frauen wird ‹Loud Quitting› weniger verziehen als Männern, bei denen das eher als initiativ ausgelegt wird», sagt Gleichstellungsexpertin und Führungskräftecoach Zita Küng gegenüber der annabelle.
Laut Küng liegt das daran, dass mehr Geld zu verlangen immer noch als ungeheuerlich angesehen wird und als eine nicht typisch weibliche Eigenschaft. «Stehen Frauen für ihr Recht auf angemessene Bezahlung ein, stossen sie auf Widerstand. Die Geschlechterstereotype müssten sich öffnen», so Küng.