«[...] Die grosse Schlacht um das Vertragswerk beginnt erst jetzt – mit der alles entscheidenden Debatte im Inland. Dafür ist der Bundesrat nicht schlecht gewappnet. [...] Entsprechend sind von den meisten Parteien vorsichtig-optimistische Voten zu hören [...] Für die richtig heissen Eisen hat der Bundesrat noch keine Lösungen präsentiert. So weiss er noch nicht, wann und wie die Schutzklausel gegen zu hohe Zuwanderung zur Anwendung kommen soll. Zudem hat er noch nicht entschieden, ob die vier Abstimmungsvorlagen dem Ständemehr unterstellt werden sollen oder nicht. Ob sie mehrheitsfähig sind, ist daher zum heutigen Zeitpunkt unklar. Im Vorteil sind aktuell die Gegner. Sie dominieren die öffentliche Debatte mit ihrer wuchtig vorgetragenen Kritik am »Kolonialvertrag«. Dass der Bundesrat und die Befürworter in der Defensive sind, ist selbst verschuldet. Aussenminister Ignazio Cassis, der oberste Botschafter dieses Vertragswerks, ist während der Verhandlungen abgetaucht [...]» (sda)
«[...] Spätestens seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine ist klar, wo die Schweiz steht: auf der Seite der EU. Wir teilen Werte wie Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Wir sind keine Insel der Glückseligen, sondern mitten in Europa – hochgradig vernetzt. [...] Vor dem Hintergrund der unsicheren geopolitischen Lage verstand auch die EU, dass die Schweiz eine verlässliche Partnerin ist und gute Beziehungen auch in ihrem Interesse sind. Ja, der Bundesrat respektive seine Unterhändler haben hervorragend verhandelt. In wesentlichen Punkten sind die neuen Abkommen besser als der gescheiterte Rahmenvertrag. Massgeschneidert umschreibt dies am besten. [...] Diese Abkommen verdienen mehr als Schlagworte – sie verdienen eine echte Diskussion.»
Die «Neue Zürcher Zeitung» schreibt, dass dem Vorsteher des Departements für Auswärtige Angelegenheiten, Ignazio Cassis, das Kommunizieren «etwas verleidet» sei: «Beim Besuch der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, sagte er guten Tag und auf Wiedersehen. Später, bei der Medienkonferenz, die er gemeinsam mit Justizminister Beat Jans und Wirtschaftsminister Guy Parmelin bestritt, betonte er, wie wichtig stabile und geregelte Beziehungen mit der EU seien. Die Welt sei instabil genug.» Der fehlende Enthusiasmus sei so auffällig gewesen, dass Cassis von Journalisten darauf angesprochen worden sei, schrieb die Zeitung. «Es handle sich um ein sensibles Thema, aber er könne der allgemeinen Zufriedenheit des Bundesrats über das Ergebnis Ausdruck verleihen», sei die Antwort des Bundesrates gewesen.
«Dieser 20. Dezember ist ein Tag zum Feiern, egal was man über dieses Abkommen sagen mag», schreibt «Le Temps». «Die Schlacht wird später geschlagen», so die Zeitung, die an die «tiefe» Verflechtung der Schweiz mit Europa und den «grundlegenden» Zugang zum Schweizer Markt erinnert. Die Tageszeitung ist auch der Meinung, dass die Aufteilung des ausgehandelten Pakets «geschickt» sei, um die Chancen zu erhöhen, dass das Ganze eines Tages ratifiziert wird. «Diese Debatte hat gerade erst begonnen».
Auch La Liberté betont, wie sehr die Schweiz Europa brauche. Als Beispiel nennt die Freiburger Tageszeitung das Prinzip der Personenfreizügigkeit, «das auf die Schweiz zugeschnitten» sei und der Schweiz «unverzichtbare» Arbeitskräfte sichere.
Auch der Zugang zu den europäischen Bildungs-, Forschungs- und Innovationsprogrammen sei für die Schweizer Universitäten «lebenswichtig». Die Zeitung zeigt sich stolz auf die Bedeutung der Schweiz für Brüssel: «Die EU, so gross sie auch sein mag, kann auf uns nicht verzichten», heisst es in dem Artikel.
In der «Tribune de Genève» und in «24 Heures» weicht die Euphorie der Skepsis. «Natürlich ist es wichtig, unsere Beziehungen zu Brüssel zu festigen und zu stabilisieren (...). Aber das Argument wird schon so lange wiederholt, dass es an Gewicht verliert», schreiben die beiden Genfer Titel.
Um die Schweizer zu überzeugen, brauche es «engagierte und selbstbewusste» Personen, die aber «durch Abwesenheit und Schweigen glänzen». Man suche also nach dem Funken, der «die europhilen Flammen neu entfachen kann, um dieses Paket zu retten», hiess es. Diejenigen, die es in die Luft sprengen wollen, würden seit Jahren Kampagnen führen.
(lak/sda)