Schweiz
International

SRF-«Arena»: SVP-Martullo-Blocher ärgert sich über EU-Deal

Review

Martullo-Blocher tobt in der «Arena»: «Was wir hier sehen, ist ein Desaster, eine Misere»

Das Schweizer Politjahr endet mit zwei Paukenschlägen. Am Freitag präsentierten der Bundesrat das EU-Vertragspaket und die PUK ihren Bericht zum CS-Niedergang. Viel Arbeit für die versammelte Runde in der letzten «Arena» des Jahres.
21.12.2024, 07:1321.12.2024, 12:38
Ralph Steiner
Mehr «Schweiz»

Grosskampftag in der Schweizer Politik. Der Bundesrat und die CS-PUK haben nach monatelanger Arbeit doch tatsächlich am selben Tag ihre Ergebnisse präsentiert.

Das musste entsprechend gross diskutiert werden, weswegen das Schweizer Fernsehen höchstrangig zur «Arena» geladen hat.

Mit Ausnahme von GLP-Ständerätin Tiana Moser – auch ohne präsidiales Amt eine gewichtige Stimme in Bundesbern – waren ausschliesslich Parteispitzen zur letzten Debatte vor der grossen Weihnachtsbescherung zugegen. Nachfolgend die Gästeliste:

  • Magdalena Martullo-Blocher, Vizepräsidentin SVP
  • Thierry Burkart, Präsident FDP
  • Gerhard Pfister, Präsident Mitte
  • Tiana Moser, Ständerätin GLP/ZH
  • Lisa Mazzone, Präsidentin Grüne
  • Mattea Meyer, Co-Präsidentin SP

Nun galt es also, das Beschlossene und Geschehene zu reflektieren. Welche Lehren sind aus dem CS-Debakel zu ziehen? Welchen Institutionen muss man genauer auf die Finger schauen? Hat der Bundesrat mit der EU einen guten Deal aufgegleist? Was bedeutet das ausgearbeitete Vertragswerk für die Zuwanderung? Die Meinungen waren natürlich gegensätzlicher Natur. Quod erat expectandum. Und damit ab in den Ring.

Auf die Plätze, fertig, los

Ob Magdalena Martullo-Blocher den Weg ins «Arena»-Studio joggend hinter sich brachte, ist nicht überliefert. Die Aufwärmphase hatte sie auf jeden Fall bereits hinter sich. Die Sendung war kaum angebrochen, da tat die SVP-Nationalrätin ihren Unmut über die Verträge mit der EU kund:

«Was wir hier sehen, ist ein Desaster, eine Misere.»

Martullo-Blocher warnte davor, dass sich die Schweiz mit dem Deal der EU unterwerfe, EU-Recht übernehme und das gute eigene System gegen das viel schlechtere der EU eintausche.

Später in der Sendung holte die SVP-Nationalrätin punkto EU-Recht zum verbalen Rundumschlag aus: «Die EU macht Gesetze, wir müssen sie übernehmen. Wenn nicht, werden wird abgestraft.» Sichtlich enerviert ergänzte sie:

«Wie dumm sind wir denn, dass wir Zehntausende von Seiten an nachteiligen Regelungen übernehmen wollen? Die Bürokraten von Brüssel diktieren unser Recht.»

Magdalena Martullo-Blocher (SVP): «Die EU entscheidet über die Strafmassnahmen»

Video: srf/arena

Sie habe gehofft, dass der Bundesrat das Rückgrat habe, dies nochmals zu verhindern. Nun liege es am Parlament und vielleicht am Stimmvolk, über das Abkommen mit der EU zu befinden, so Martullo-Blocher.

Ein wichtiger Punkt. Denn in Stein gemeisselt ist der Deal mit der EU noch lange nicht.

Die Vernehmlassung soll vor der Sommerpause 2025 losgehen, Anfang 2026 kommt das Vertragspaket ins Parlament. Noch offen ist, ob in einem weiteren Schritt nur das Volk oder auch die Kantone zustimmen müssen. Eine Abstimmung wird nicht vor 2028 erwartet.

Anders als Martullo-Blocher ist Thierry Burkart dem Unterfangen mit der EU gut gesinnt. Der FDP-Präsident lobte dabei seinen Bundesrat und Aussenminister. Unter anderem dank Ignazio Cassis liege nun ein im Interesse der Schweiz bedeutend besseres Ergebnis vor als das 2021 beerdigte Rahmenabkommen.

Thierry Burkart (FDP): «Mit dem neuen Vertragstext wurden Verbesserungen erzielt»

Video: srf/arena

Burkart plädierte für ein nun pragmatisches Vorgehen, das Abwägen von Vor- und Nachteilen. Euphorie sei fehl am Platz. Dies könnte den Auftritt der Bundesräte Cassis, Jans und Parmelin an der Medienkonferenz erklären, die trotz des Deals allesamt auch nicht gerade in Jubelstürme ausgebrochen waren.

Zu den bisherigen fünf Abkommen sollen sich drei weitere dazugesellen.
Zu den bisherigen fünf Abkommen sollen sich drei weitere dazugesellen.bild: screenshot srf

Auch SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer kann dem Abkommen viel Positives abgewinnen:

«Gute Beziehungen zur EU sind entscheidend für unseren Wohlstand, eine funktionierende Schweiz, für unsere Arbeitsplätze, für uns alle.»

Die Verbindung mit der EU sei eng, jede 15. arbeitstätige Person in der Schweiz ein Grenzgänger oder eine Grenzgängerin. Sorgen macht Meyer lediglich der Lohnschutz, da könne der Bundesrat noch nicht aufzeigen, wie er die gemachten Versprechen zu erfüllen gedenke.

Die Schweiz muss zahlen

In einem nächsten Schritt kamen in der «Arena» die Kosten zur Sprache. Damit die Schweiz Zugang zum EU-Binnenmarkt erhält, muss sie ab 2030 bis 2036 jährlich 350 Millionen Franken auf den Tisch legen. Bislang waren es 130 Millionen Franken pro Jahr.

Das Geld – es kommt ärmeren EU-Mitgliedstaaten zugute – ist SVP-Nationalrätin Martullo-Blocher ein Dorn im Auge. Die Schweiz habe 33 Freihandelsabkommen mit 44 Partnern, etwas bezahlen müsse sie nirgends. Zudem: «350 Millionen sind nur ein Teil, es wird noch mehr dazukommen.»

Swiss Federal councillor Guy Parmelin, center, speaks next to Swiss Federal councillor Beat Jans, left, and Swiss Federal councillor Ignazio Cassis, right, during a press conference on the conclusion  ...
Die Bundesräte Beat Jans, Guy Parmelin und Ignazio Cassis geben den Medien Auskunft.Bild: keystone

Hier kam Gerhard Pfister ins Spiel. Der Mitte-Präsident verwies darauf, dass auch die Schweiz Ausgleichszahlungen kenne. Wichtig ist für Pfister, dass die Schweiz mitbestimmen könne, wohin ihr Geld fliesse:

«In den letzten Jahren erreichten wir immer mehr, dass die EU unser Geld vor allem dort einsetzt, wo es für die Migration entscheidend ist. Etwa bei Staaten mit Aussengrenzen.»

Doch weder diese Argumentation noch die von Mattea Meyer, wonach die Teilnahme der Schweiz am EU-Binnenmarkt ein Geben und Nehmen sei, konnten Martullo-Blocher überzeugen.

Sie verwies darauf, dass selbst die reichen Länder der EU deutlich schlechter dran seien als die Schweiz. «Die Schweizer Wirtschaftsleistung pro Person ist doppelt so hoch, das Einkommen um 50 Prozent höher, die Erwerbslosigkeit ein Drittel von derjenigen der EU. Wir wollen uns doch nicht nach unten nivellieren.»

Damit konnte wiederum Grünen-Präsidentin Lisa Mazzone nichts anfangen. Es sei eine Arroganz, zu glauben, die Schweiz komme alleine klar. Allen Unkenrufen von rechter Seite zum Trotz – die EU existiere immer noch und schaffe es, die grössten Herausforderungen, etwa Klimaschutz oder Digitalisierung, zu meistern. Da sei die Schweiz nirgends.

Schutzklausel

Es ist eine grundlegende Änderung gegenüber dem jetzigen Vertragswerk: die ausgehandelte Schutzklausel zur Begrenzung der Zuwanderung. Anders als beim alten Abkommen kann die Schweiz bei der Personenfreizügigkeit eigenständig Massnahmen ergreifen. Allerdings darf die EU im Gegenzug Ausgleichsmassnahmen beschliessen, die über die Personenfreizügigkeit hinausgehen.

Die SVP kann auch der neu verhandelten Schutzklausel nichts Positives abgewinnen. SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer hingegen verwies auf die Schweizer Abhängigkeit von ausländischen Arbeitskräften. «Jede dritte Person, die in einem Spital tätig ist, kommt aus dem Ausland. Wenn man keine Zuwanderung will, macht man den Wohlstand in der Schweiz kaputt.»

epa11787125 European Commission President Ursula von der Leyen (L) and Swiss Federal President Viola Amherd (R) speak during a press conference in Bern, Switzerland, 20 December 2024. The president of ...
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundespräsidentin Viola Amherd.Bild: keystone

Für Mitte-Präsident Gerhard Pfister ist es wichtig, dass die Schweiz nun innenpolitisch ausarbeitet, wann die Schutzklausel aktiviert werden sollte. «Die Schweiz sollte die Kompetenz haben, eine überdurchschnittliche Migration in bestimmten Branchen oder Regionen begrenzen zu können.»

Als Replik auf Meyers Votum betonte Pfister die hohen Löhne, die gewisse ausländische Fachkräfte bezögen:

«Dadurch erzeugt die Zuwanderung gerade in den Städten einen enormen Druck auf Mietkosten und Infrastruktur. Auf das muss man eine Antwort haben, sonst leidet der soziale Frieden.»

Gerhard Pfister (Mitte): «Wir müssen darüber reden, wie viel Wachstum sinnvoll ist»

Video: srf/arena

Dass diese Antwort bislang ausblieb, verortet Thierry Burkart unter anderem bei der SP. Burkart spielte dabei unter anderem auf den vor Monatsfrist abgelehnten Autobahnausbau an.

PUK zum CS-Niedergang

Nach einer Stunde des Debattierens über das abgeschlossene EU-Vertragspaket durfte die versammelte Politrunde dann auch noch über den PUK-Bericht zum CS-Niedergang urteilen.

SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer nutzte die Gunst der Stunde und fuhr den bürgerlichen Politikerinnen und Politikern an den Karren. 10 von 14 Mitgliedern der PUK kämen von Parteien, die Geld von der CS erhalten hätten und heute von der UBS finanziell unterstützt würden. Und weiter:

«Da war das Interesse sicher gross, den PUK-Bericht am letzten Tag vor den Weihnachtsferien zu veröffentlichen, wenn auch gerade der EU-Deal verkündet wird. Sodass möglichst wenig über diesen Bericht geredet wird.»

Mattea Meyer (SP): «Die CS wusste, dass die Politik nicht genau hinschaut»

Video: srf/arena

Der mit der Bankenspitze «derart eng» verbandelte politische Filz habe mitverursacht, dass die CS in einem Zeitraum mit 30 Milliarden Franken Verlust gleichzeitig 30 Milliarden an Boni auszahlen konnte. «Die CS wusste, dass die Politik nicht genau hinschaut und auch noch die Finanzmarktaufsicht schwächt.»

FDP-Präsident Thierry Burkart liess diesen Angriff nicht auf sich sitzen:

«Bei allen Regulierungen, die machbar sind: Wenn so hantiert wird, wie bei der CS hantiert wurde, lässt sich der Untergang eines Unternehmens nicht verhindern.»

Auch Mitte-Präsident Gerhard Pfister konnte mit Meyers PUK-Generalkritik nichts anfangen: «Jetzt schon zu sagen, das sei ein Bericht von mehrheitlich Lobbyisten, finde ich grob fahrlässig und auch respektlos gegenüber den Mitgliedern der PUK, die sich grosse Mühe gegeben haben.»

GLP-Ständerätin Tiana Moser bestärkte Pfisters Ansichten, indem sie darauf verwies, dass der PUK-Bericht von den Mitgliedern der nach Parteistärke zusammengestellten PUK einstimmig verabschiedet wurde. Eine Einigkeit, welche nicht zwingend sei.

Letztlich waren die Meinungen zum PUK-Bericht schnell gemacht. Für Links-Grün ist die «Kuschel-Politik» der Bürgerlichen schuld, sie habe den Niedergang der Grossbank ermöglicht. Die Bürgerlichen wiederum sehen den Fehler grossmehrheitlich beim Missmanagement der Credit Suisse.

Nach rekordverdächtigen 90 Minuten waren die EU- und PUK-«Arena» und damit ein langer, ereignisreicher Tag zu Ende. Ab dem 10. Januar 2025 werden im Leutschenbach dann wieder die politischen Klingen gekreuzt.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Hier werden die Spiele der EM der Frauen 2025 ausgetragen
1 / 10
Hier werden die Spiele der EM der Frauen 2025 ausgetragen
Basel, St. Jakob-Park, 38'512 Plätze.
quelle: shutterstock
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Einmaliger Gebrauch: 241220 BR EU
Video: ch media
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
394 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Oliver01
21.12.2024 05:23registriert Februar 2023
Wir benötigen diesen Markt und müssen die bilateralen Verträge abschliessen.
Wir haben gut verhandelt. Sehr gut sogar.

Denken wir daran, dass Frau Martullo nur für ihr eigenes Vermögen spricht, nicht für das Schweizer Volk.
486101
Melden
Zum Kommentar
avatar
LordGreystoke
21.12.2024 06:16registriert Februar 2024
Also wenn Martullo-Blocher und Lakaien sagen, dass es nicht gut ist, dann sind die Verträge hervorragend ausgehandelt worden.
Ein guter Vertrag oder Abkommen ist wenn keine Partei zufrieden ist aber alle können damit gut Leben.
33986
Melden
Zum Kommentar
avatar
Spama Lotto
21.12.2024 04:32registriert August 2019
Jetzt mal die genau Prüfung der Verträge abwarten.
Grundsätzlich finde ich eine gute und stabile Beziehung sehr wichtig. Verunsichert werde ich davon, dass der Arbeitgeberverband und die Gewerbelobby die Verträge begrüssen. Jene Gruppen, die vor Gericht Volksentscheide bekämpfen, damit sie weiterhin Hungerlöhne bezahlen können.
Wenn die die Verträge mit der EU begrüssen, werde ich sehr vorsichtig...
18625
Melden
Zum Kommentar
394
    Jennifer Garner: US-Star verliert Freundin in den Flammen von Los Angeles
    Durch die verheerenden Brände in Kalifornien verloren zahlreiche Menschen ihr Zuhause. Sogar noch schlimmer traf es Schauspielerin Jennifer Garner.

    Die Zustände in und um Los Angeles spitzen sich zu. Seit Dienstag wüten unkontrollierbare Feuer und hinterlassen eine Spur der Verwüstung. Zehntausende Häuser wurden zerstört, einige Menschen kosteten die Flammen das Leben. Medien berichten von mindestens elf Todesopfern. Auch jemand aus dem Bekanntenkreis von US-Schauspielerin Jennifer Garner ist wohl ums Leben gekommen.

    Zur Story