Die Aktionäre von Julius Bär machten am Dienstag lange Gesichter. Der Geschäftsverlauf in den ersten vier Monaten des laufenden Jahres machte nämlich deutlich, dass die Zürcher Vermögensverwaltungsbank entgegen den Erwartungen vieler Anleger kaum oder gar nicht von der Credit-Suisse-Krise profitieren konnte. Julius Bär verzeichnete einen Zufluss bei den Kundeneinlagen von gerade einmal 3.5 Milliarden Franken gegenüber Ende 2022. Das ist ein Plus von nur 1 Prozent.
Dass die Investoren viel mehr erwartet hatten, zeigt der scharfe Einbruch des Aktienkurses. Die Titel von Julius Bär verloren am Dienstagmorgen in den ersten Handelsminuten an der Six Swiss Exchange bis zu 8 Prozent des Vortageswertes. An solch ernüchternde Erfahrungen werden sich die auf dem Schweizer Finanzplatz tätigen Banken schnell gewöhnen müssen.
Die Anfang Woche aktualisierte, monatliche Bankenstatistik der Schweizerischen Nationalbank lässt erste einigermassen verlässliche Hochrechnungen über den Schaden des Credit-Suisse-Versagens für den Schweizer Finanzplatz zu - und die Statistik zeigt: der Schaden bewegt sich in Richtung eines dreistelligen Milliardenbetrages.
Tatsächlich belegen die Zahlen, dass etwa die Hälfte der Kundeneinlagen, die der gescheiterten Grossbank zwischen Oktober 2022 und März 2023 abhandenkamen, in den Einflussbereich anderer Finanzplätze im Ausland gelangt sind. Die Schweizer Bankenstatistik erfasst die Einlagen von Kunden von Banken in der Schweiz mit Domizil Schweiz oder Domizil Ausland. Dabei werden auch die Kundeneinlagen von Filialen dieser Banken im Ausland erfasst.
Deutlich sichtbar wird in der vorliegenden Statistik zunächst, wie sich die Rückzüge der Kundengeldeinlagen bei Credit Suisse (die Statistik fasst Credit Suisse zusammen mit UBS als Gruppe der Grossbanken zusammen) im März noch einmal dramatisch beschleunigt hat.
Allein in jenem Monat, als das Endspiel der Credit Suisse mit der ersten Liquiditätsspritze der Notenbank am 15. März zu einem öffentlichen Schauspiel wurde, das sich nicht mehr verbergen geschweige denn beschönigen liess, gingen den beiden Grossbanken (bzw. der Credit Suisse) nochmals 69 Milliarden Franken verloren.
Ein Muster, das sofort nach Beginn der Eskalation der Credit-Suisse-Krise im Oktober 2022 offenkundig geworden war, war auch im März wieder eindeutig zu erkennen. Die Geldrückzüge von Credit-Suisse-Kunden mit Domizil Ausland übertrafen die Rückzüge von inländischen Kunden bei weitem.
Interessant ist nun die Frage, wohin die von der Credit Suisse abgezogenen Gelder geflossen sind. Auch dazu liefert die Nationalbank-Statistik aufschlussreiche Hinweise. So wird deutlich, dass die mit einer Staatsgarantie ausgestatteten Schweizer Kantonalbanken grosse Nutzniesser der Krise der Grossbank sind. Die 24 Staatsinstitute konnten zusammen zwischen Ende September 2022 und Ende März 2023 rund 24 Milliarden Franken an neuen Kundeneinlagen einbuchen. Das entspricht einem Wachstum von 5.5 Prozent, verglichen mit einem durchschnittlichen Rückgang der Kundeneinlagen aller in der Schweiz tätigen Banken um 11 Prozent.
Ausser den Kantonalbanken konnte keine andere Gruppe von Banken in der Schweiz seit Ende September 2022 eine nennenswerte Zunahme bei den Kundeneinlagen verbuchen - auch nicht die Regionalbanken und die im breiten Publikum gut verankerten Raiffeisenbanken. Auch bei den Schweizer Privatbanken, die in der Statistik in der Gruppe der Börsenbanken figurieren und zu der auch Julius Bär gehört, machte sich kein Credit-Suisse-Effekt bemerkbar.
Vielmehr sind die Kundeneinlagen dieser Börsenbanken im Beobachtungszeitraum seit Ende September um 22 Milliarden Franken auf 163 Milliarden Franken zurückgegangen, was allerdings auch viel mit einem veränderten Zinsumfeld und mit dem Wertverlust ausländischer Währungen gegenüber dem Schweizer Franken zu tun haben dürfte.
Tatsächlich haben die seit September 2022 gestiegenen Zinsen die Attraktivität festverzinslicher Investitionen erhöht und Umschichtungen von Kontoeinlagen in Wertpapieranlagen begünstigt. Sehr deutlich zu erkennen ist dies in der Statistik auch in der massiven Zunahme der Anlagen in Geldmarktfonds (siehe Grafik). Im Unterschied zu normalen Kontoeinlagen bilden Geldmarktanlagen das aktuelle Zinsniveau sofort ab.
Solche Geldmarktanlagen eignen sich deshalb auch besonders zur Zwischenlagerung von Geldmitteln, über deren längerfristige, weitere Verwendung ein Anleger noch nicht entschieden hat. In Schweizer Privatbankkreisen hört man denn auch Stimmen, wonach viele Credit-Suisse-Kunden die Mittel aus den geleerten Konti im Geldmarkt zwischenparkiert und so dem Risiko der CS-Bilanz entzogen hätten.
Tatsächlich zeigt die Nationalbank-Statistik, dass sich die Geldmarktanlagen der Kunden von Banken in der Schweiz in den Schweizer Wertschriftendepots seit Ende September von knapp 94 Milliarden Franken auf über 214 Milliarden Franken mehr als verdoppelt haben.
Die Privatbankiers gehen davon aus, dass der überwiegende Teil dieser Geldmarktanlagen bei ihnen bleiben wird. Aber selbst unter der Annahme, dass dies tatsächlich zutrifft, verbleibt nach dem Geldabfluss bei der Credit Suisse eine Differenz von 93 Milliarden Franken. Über deren geografischen Verbleib ist keine eindeutige Aussage möglich.
Die weit überproportionalen Geldrückzüge von Schweizer Grossbankkunden mit Wohnsitz im Ausland lässt indessen vermuten, dass diese Gelder bei ausländischen Banken auf Finanzplätzen ausserhalb der Schweiz gelandet sind. Klar ist, dass das Credit-Suisse-Debakel einen grossen Schaden auf dem Schweizer Finanzplatz angerichtet hat. Zu dem schwer bezifferbaren Imageverlust kommen jetzt um die 100 Milliarden Franken an verlorenen Kundenvermögen hinzu. (aargauerzeitung.ch)