Kürzlich musste ich staunen, als ich meinen Stamm-Supermarkt in Kiew verliess. So sah ich beim Blick auf meinen Plastiksack plötzlich das orange «M» der Migros – und darunter sogar den ganzen Schriftzug mit dem ganzen Namen.
Ich war ziemlich baff. Seit drei Jahren reise ich regelmässig in die Ukraine – zuvor hatte ich orangefarbene «M» hier noch nie gesehen. Unter dem Namen steht ein kurzer Text auf Ukrainisch, den man sinngemäss mit «Importiert von Fora» übersetzen könnte.
Soweit ich weiss, beschränkt sich die Auslandstätigkeit von Migros auf die benachbarten Länder Frankreich und Deutschland. Und in Zeiten der Sparmassnahmen scheint die Vorstellung, dass Migros ausgerechnet in der Ukraine expandiert, ziemlich unwahrscheinlich. Fora hingegen kenne ich: Hierbei handelt es sich um eine Supermarktkette in der Region Kiew, die ein breites Sortiment anbietet – vor allem Lebensmittel.
Ein Detail sticht allerdings ins Auge: Das «i» im Logo ist, im Gegensatz zu demjenigen unserer Migros, klein geschrieben. Könnte es sich etwa um eine lokale Marke handeln, die sich vom Schweizer Original hat inspirieren lassen – oder gar um eine plumpe Kopie? Oder etwa ein Hilfsprogramm der Migros, das – wie zu Beginn des Krieges – Produkte liefert, um die ukrainische Bevölkerung zu unterstützen?
In der Schweiz bekomme ich schnell eine Erklärung.
Der Name des Unternehmens: «Migros Ticaret». Das Unternehmen wurde in den 1950er-Jahren vom Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler selbst ins Leben gerufen. Ursprünglich handelte es sich eher um ein Entwicklungsprojekt. Die legendären Migros-Lieferwagen wurden in die Türkei geschickt, um der Bevölkerung qualitativ gute Produkte zu erschwinglichen Preisen anzubieten. Das Konzept schlug ein – und nach der Trennung der beiden Unternehmen im Jahr 1975 ging Migros Ticaret eigene Wege. Heute betreibt der Konzern rund 3600 Filialen in der Türkei und ist seit 2009 an der Börse in Istanbul kotiert.
In den 2000er-Jahren wagte Migros Türkei den Schritt ins Ausland und eröffnete Filialen in Ländern wie Russland, Nordmazedonien oder Aserbaidschan. Allerdings trugen diese Läden den Namen Ramstore – eine Migros in Baku sucht man also vergeblich. Wie auch bei Migros Schweiz war das internationale Abenteuer der türkischen Cousine nur von begrenzter Dauer. Nach und nach verkaufte Migros Ticaret bis 2011 all ihre Auslandsaktivitäten – und nahm dabei ein paar Milliarden Dollar ein.
Das in Istanbul ansässige Unternehmen, das sich zu seinen Aktivitäten ausserhalb der Türkei eher wortkarg zeigt, dementiert zunächst jeglichen Handel in der Ukraine. «Wir sind nicht mit Fora verbunden und betreiben keine Aktivitäten ausserhalb der Türkei», heisst es von Unternehmensseite. Nachdem ich etwas nachhake, wird der Pressesprecher konkreter:
Fora importiert Produkte also direkt aus dem Ausland. In den Supermärkten findet man daher Artikel mit Aufschriften auf Englisch, Italienisch – und eben auch auf Türkisch. Die Migros-Produkte tragen meist ein schlichtes «M», in Weiss oder farbig, aber nicht in Orange. Zum Sortiment gehören etwa Waschmittel, Reinigungsmittel oder auch Damenbinden aus Bambus.
Die einzige Erwähnung der Zusammenarbeit zwischen Fora und Migros, die ich finden konnte, stammt aus Beiträgen in den sozialen Netzwerken – veröffentlicht im September 2024:
Der ukrainische Markt könnte – insbesondere nach dem Krieg – auch für Schweizer Unternehmen zunehmend interessant werden. Mit Blick auf den Wiederaufbau des Landes hat das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) Anfang April einen Aufruf gestartet, der sich an Firmen richtet, die bereit sind, in der Ukraine Fuss zu fassen. Insgesamt stellt der Bund Fördermittel in Höhe von 100 Millionen Franken zur Verfügung.
Migros selbst scheint derzeit keine kommerziellen Pläne in der Ukraine zu verfolgen. Auch bei der Beschaffung ukrainischer Rohstoffe – etwa Getreide – spielt das Land bislang nur eine untergeordnete Rolle. «Wir importieren zum Beispiel Tomatenkonzentrat, aber Getreide stammt nicht aus der Ukraine», erklärt die Migros.
Für die Herstellung ihrer Produkte bleibt die Migros Schweiz jedoch offen für ukrainische Produkte. Sarah Reusser erklärt:
Das «M» ist übrigens nicht das einzige Schweizer Symbol in den Strassen Kiews. So findet man etwa auch den Namen der Bank Raiffeisen. Auch hier handelt es sich nicht um das exakt gleiche Unternehmen wie in der Schweiz, basiert aber ebenfalls auf den genossenschaftlichen Gedanken von Friedrich Wilhelm Raiffeisen Ende des 19. Jahrhunderts.
Während sich die 1899 in der Schweiz gegründete Raiffeisenbank unabhängig weiterentwickelt hat, ist die gleichnamige österreichische Bank zu einem Konzern geworden, der sich in ganz Osteuropa ausgebreitet hat.
Ein weiterer kurioser Zufall: In der Nähe des berühmten Maidan-Platzes – dem Herzen der ukrainischen Hauptstadt und Schauplatz der Revolution von 2014 – prangt das Coop-Logo an einer Fassade. Doch dabei handelt es sich nicht um einen Supermarkt, sondern um eine Konsumentenschutzorganisation, die direkt neben dem Einkaufszentrum Globus liegt. Für Migros wie auch für ihren grossen Schweizer Konkurrenten sind die Namen in der Ukraine also leider bereits vergeben.