Mafia-Jagd spült 700 Millionen in die Bundeskasse: «Also müssen wir dem Geld folgen»
Im Bundesamt für Polizei Fedpol fehlen Ermittler. Das stellte jetzt auch die Eidgenössische Finanzkontrolle fest. Von bis zu 200 Stellen ist die Rede. Wie kam es eigentlich zu diesem Unterbestand?
Das hat neben der Lageentwicklung einen historischen Grund. Vor gut 20 Jahren war ein grosser Aufbau geplant, der dann aber gestoppt wurde. Jetzt sieht man den Unterschied zwischen der Bundesanwaltschaft, die diesen Aufbau machen konnte, und Fedpol, das diesen Aufbau nicht machen konnte.
Das war die Effizienzvorlage, kurz EffVor, die 2004 vom damaligen SVP-Justizminister Christoph Blocher gestoppt wurde?
Mit EffVor sollte die Effizienz der Strafverfolgung gegen organisierte Kriminalität, Geldwäsche und Terror gestärkt werden.
Waren Sie damals schon dabei?
Ja, ich kam 2002 zu Fedpol. Kurz darauf hiess es, jetzt ist fertig. Wir rekrutieren nicht mehr, aus Spargründen. Die Idee war schon damals, etwa 200 zusätzliche Ermittlungsstellen aufzubauen.
Jetzt ist das Problem wieder die Finanzlage. Laut dem Nationalrat sollen Sie während zehn Jahren 10 bis 20 neue Stellen erhalten, aber sicher ist das nicht. Widerstand kommt vor allem aus der SVP.
Ich frage mich manchmal, ob es ist wie im Kinderbuch mit dem Wolf. Man schreit: «Der Wolf kommt!», aber dann kommt er nicht. Noch nicht. Was dazu führen kann, dass man sich in falscher Sicherheit wiegt. Ich war eben wieder in Den Haag und konnte mit Polizeichefs sprechen, unter anderem dem schwedischen, und sie sagten alle: Es ist eine Frage der Zeit, handelt rechtzeitig.
Ist der Wolf schon da?
Vor Kurzem hat es der Bundesanwalt in einem Interview gesagt: Wir haben eben erst einen Terroranschlag vereitelt, eine islamistisch motivierte Messerattacke. Die Info kam von einem Partnerdienst zu uns. Wir handelten sofort, informierten die Bundesanwaltschaft und trafen Massnahmen. Wir sollten die Situation wirklich ernst nehmen und in verschiedensten Bereichen mehr tun: Cyberdelikte, Geldwäsche, organisierte Kriminalität, Terrorismus. Das brauchen wir die notwendigen Instrumente und Ressourcen.
Wo schaffen Sie neue Stellen?
In den Bereichen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Terrorismus, aber auch im Cyberbereich, bei der Bundeskriminalpolizei. Dort brauchen wir Mitarbeiterinnen, die polizeiliche Arbeiten wie Durchsuchungen und Befragungen machen und Berichte für die Staatsanwaltschaft erstellen. Aber wir brauchen auch dort Leute, die das zunehmend digitale Material in den Ermittlungen analysieren und auswerten. Wir brauchen neben Spezialistinnen und Spezialisten im Bereich Cyber dringend auch solche im Bereich Finanzen.
Um den Geldflüssen zu folgen?
Die organisierte Kriminalität packt man am wirksamsten beim Geld. In allen Deliktfeldern, in denen sie sich bewegt, geht es immer ums Geld. Also müssen wir dem Geld folgen: Woher kommt es? Wohin geht es? Wie wird es transferiert? Spielen Kryptowährungen eine Rolle? Hier müssen wir besser werden. Es muss uns gelingen, die Netzwerke und Zusammenhänge der organisierten Kriminalität noch besser und noch früher zu erkennen und wirksamer zu bekämpfen.
Das sind Netzwerke, die sich laufend ausbreiten?
Ja. Wir sehen heute häufig Einzelfälle, aber nicht die Details der Netzwerke. Zum Beispiel: Wir haben eine Serie von Delikten in verschiedenen Kantonen, die zusammenhängen könnten. Das können Einbrüche in Waffengeschäfte, Bancomaten-Sprengungen, Fälle von Menschenhandel und so weiter sein. Es fehlen uns heute die Ressourcen, um zu ermitteln, ob die Köpfe dahinter zu einer organisierten kriminellen Struktur gehören, gegen die wir ein Strafverfahren anregen könnten. Hier setzen wir auch mit der Strategie der Schweiz zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität an, an der wir zuhanden des Bundesrats und der Kantonsregierungen arbeiten. Sie soll bis Ende Jahr fertig sein und ab nächstem Jahr mit einem Nationalen Aktionsplan ergänzt und umgesetzt werden.
Was will diese Strategie?
Klare Ziele setzen und griffige Massnahmen. Es gibt drei Pfeiler: Erkennen, verhindern, bekämpfen der Organisierten Kriminalität. Der Strategie liegt ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz zugrunde. Wir brauchen beispielsweise ein umfassendes Lagebild, Sensibilisierung und eine noch engere nationale und internationale Zusammenarbeit. Und wir brauchen schärfere gesetzliche Grundlagen zur Bekämpfung der OK.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel im Bereich der Bekämpfung der Geldwäscherei. Wir werden heute geflutet von Verdachtsmeldungen der Finanzintermediäre. Diese Meldungen sind essenziell. Hier sollten wir die Möglichkeit erhalten, die Verfolgung und den Nachweis von Geldwäscherei zu erleichtern und Vermögenswerte einfacher und rascher einfrieren zu können, um deren vorzeitigen Abzug zu verhindern. Diskutieren sollten wir auch über eine wie auch immer ausgestaltete Kronzeugenregelung.
Die Forderung nach Kronzeugen hört man auch von vielen kantonalen Staatsanwälten.
Ein Problem sind auch Teilnahmerechte und Siegelungen, weil Verfahren dadurch stark verzögert werden können. Wir brauchen zusätzliche Instrumente und Nachschärfungen. Grundsätzlich plädiere ich dafür, dass wir auch schauen, welche Instrumente bei unseren Nachbarstaaten wirken. Die haben es mit denselben kriminellen Netzwerken zu tun. Wichtig ist, dass die Schweiz keine attraktive Insel für organisierte Kriminalität wird.
Das alles braucht mehr Personal und kostet somit zusätzlich.
Nicht unbedingt! Man darf das Geld nicht vergessen, das wir schon heute in all diesen Verfahren einziehen. Dieses Geld fliesst in die Staatskasse. 2021 wurden etwa 700 Millionen Franken eingezogen. Zum Vergleich: Das ist etwa das Doppelte des Fedpol-Budgets von rund 350 Millionen. Je effektiver wir im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität werden, desto mehr Vermögenswerte ziehen wir ein.
Ein grosses Thema ist der Menschenhandel. Derzeit laufen gesamtschweizerische Aktionswochen.
Menschenhandel ist ein zentrales Tätigkeitsfeld der organisierten Kriminalität. Sie erzielt damit schätzungsweise Profite von 236 Milliarden Dollar pro Jahr. Die Leidtragenden sind die Menschen, die als Ware behandelt werden. Da ist wichtig, dass wir hier entschieden durchgreifen.
Was ist Menschenhandel?
Sehr vereinfacht gesagt, ist Menschenhandel entweder die Ausbeutung der Arbeitskraft, wie etwa im Gastrogewerbe, in der Pflege, als Putzfrau, in den klassischen Nagelstudios oder im Baugewerbe. Oder es ist die sexuelle Ausbeutung, also in der Prostitution. Auch hier stehen Netzwerke dahinter, die Bekämpfung wird immer aufwändiger.
Warum?
Zunehmend wird Prostitution mit Menschenhandel-Opfern in Privatwohnungen oder in Airbnbs verlagert und ist dadurch weniger sichtbar. Die Prozesse werden digitaler, die Abwicklung von der Rekrutierung über die Verabredung bis zur Bezahlung läuft dabei oft über Messenger-Dienste.
Wer sind die Opfer und die Täter?
Die Opfer stammen aus dem asiatischen Raum, aus Osteuropa, dem Balkan, Südamerika oder Afrika. Die Täter sind kriminelle Organisationen, die vielfach auch im Geschäft mit Betäubungsmitteln, Waffen und Geldwäscherei tätig sind. Sie agieren skrupellos und machen alles, was Geld bringt.
In Italien sind kriminelle chinesische Geldwäsche-Akteure, die auch im Menschenhandel tätig sind, ein zunehmendes Problem. Und in der Schweiz?
Wir sehen gewisse Bezüge und Aktivitäten. So gab es kürzlich einen Fall mit Bezug zu Menschenhandel in Italien, in dem via Schweiz Geld gewaschen wurde und zurück nach China ging. Wir sehen, dass immer mehr Leute aus China bei uns leben und auch gewisse kriminelle Aktivitäten zunehmen. Wir stellen gleichzeitig eine Zunahme von Akteuren aus China fest, die Geldwäsche als Dienstleistung anbieten. Wir verfolgen das Thema genau. Letztes Jahr organisierten wir einen Runden Tisch mit nationalen und internationalen Partnern über chinesisches Underground-Banking.
Wie gehen Sie gegen diese Strukturen vor?
Wir setzen stark auf Informationsaustausch und die Sensibilisierung und Schulung von Finanzintermediären. Damit sie entsprechende Transaktionen genau prüfen und wo nötig melden.
Melden die Finanzintermediäre genug?
Generell, losgelöst vom Fall China: Die Finanzintermediäre sind sensibilisiert und das Bewusstsein für die Wichtigkeit einer effektiven Geldwäschereibekämpfung ist in den vergangenen Jahren zusätzlich gestiegen. In den letzten zwei Jahren haben sich die Meldungen verdoppelt. 2025 dürften sie nochmals um 40 Prozent zunehmen. Unser Problem auch hier: Wir haben immer noch dieselben Ressourcen wie vor Jahren, müssen aber immer mehr und immer komplexere Fälle verarbeiten.
Was unternehmen Sie hier?
Wir stehen in regelmässigem Austausch in Gesprächen mit den Finanzintermediären und setzen verschiedene Sensibilisierungsmassnahmen, wie Fachanlässe, Schulungen und Publikationen ein. Wir sind auf eine gute Daten- und Meldungsqualität angewiesen, denn diese Verdachtsmeldungen sind für uns eine sehr wichtige Informationsquelle, nicht nur, weil sie zu Strafverfahren führen. Sondern auch zu Geldflüssen, über die wir die Strukturen der organisierten Kriminalität erkennen können. Wir brauchen aber auch bei der Meldestelle mehr Ressourcen.
Wie wollen Sie die nötigen Ressourcen beschaffen?
Wir prüfen andere Finanzierungsmodelle. Damit hat uns der Bundesrat beauftragt. Denn, wie ich schon sagte, Fedpol kostet ja nicht nur. Wir bringen auch einen Mehrwert.
Die Idee: Finanzierung durch die Konfiszierung von kriminellen Geldern? Nach dem Verursacherprinzip?
Mit dem Auftrag des Bundesrates prüfen wir objektiv alle möglichen alternativen Finanzierungsvarianten.
Sie sind seit Februar Fedpol-Chefin und bauen um. Es gab bereits zwei Abgänge in der Geschäftsleitung.
Abgänge gibt es immer, das ist normal. Sie ermöglichen auch Neuanfänge. Aber ich habe in der Tat den Anspruch, uns so aufzustellen, dass wir möglichst effizient, effektiv und ressourcenschonend arbeiten können, ohne Reibungsverluste.
Die Finanzkontrolle kritisierte auch, dass die hierarchisch geprägte Führungskultur im Fedpol das Ressourcenproblem zusätzlich akzentuierte.
Auch deshalb sind wir daran, die Entscheidungsprozesse dort anzusiedeln, wo die fachliche Verantwortung und die Kompetenz liegen. Wir müssen zeigen, dass wir gut aufgestellt sind, um die dringend benötigten Ressourcen zu erhalten.
Wohin wollen Sie mit Fedpol?
(Lacht) Zum Erfolg natürlich. Konkret: Ich will eine möglichst schlanke Verwaltung und das Operative, wo nötig, stärken. Ich will klar priorisieren und noch enger mit unseren Partnerstellen im In- und Ausland zusammenzuarbeiten: mit den Kantonen, der Bundesanwaltschaft, dem Nachrichtendienst und den Partnerorganisationen im Ausland.
Das klappt?
Mit den Kantonen sind wir dabei, die Aufgaben und Kompetenzen zu schärfen. Die Priorisierung von Verfahren wollen wir noch enger mit der Bundesanwaltschaft abstimmen. Mit ihr wollen wir neu auch gemeinsame strategische Prioritäten setzen. Generell gilt: Mehr Zusammenarbeit, mehr Synergien, weniger Reibung und Doppelspurigkeiten. Nur so können wir die Leistung erbringen, die wir in der Kriminalitätsbekämpfung brauchen. (aargauerzeitung.ch)
