Frau Funiciello, rechte Influencer wie Andrew Tate propagieren Frauenhass, in den USA greift Präsident Trump das Abtreibungsrecht an, Gewaltdelikte gegen Frauen nehmen zu: Welche Entwicklung bereitet Ihnen als Feministin derzeit am meisten Sorgen?
Tamara Funiciello: Frauenhass ist wieder salonfähig – nicht versteckt, sondern online, zu Hause, auf der Strasse, in den höchsten Ämtern der Politik. Wir müssen erkennen, dass das alles zusammenhängt. Antifeminismus ist kein Randphänomen, sondern eine Strategie der Rechten. Sie dient dazu, ein breites Bündnis zu schaffen – aus Konservativen, Verschwörungstheoretikern und Männern, die sich gesellschaftlich abgehängt fühlen. Genau darum ist der Feminismus Feind Nummer eins: Weil er Gleichheit und Freiheit für alle will. Und damit das Gegenteil ist von rechten, patriarchalen Herrschaftsfantasien.
Eine These lautet: Je lauter und erfolgreicher die feministische Bewegung, desto stärker schlägt das Pendel jetzt zurück. Waren Feministinnen wie Sie also zu radikal – und das rächt sich nun?
Zu sagen, dass die Forderungen nach gleichen Rechten, finanzieller Unabhängigkeit und Sicherheit zu radikal und schuld am Backlash sind, ist genau die Strategie der Rechten. Ja, es gibt das Paradox, dass gerade in Ländern, in denen die Gleichstellung am weitesten ist, die geschlechtsspezifische Gewalt besonders hoch ist. Doch die Antwort darauf kann nicht sein, dass wir schweigen. Denn Gleichstellung ist die Bedingung für eine Gesellschaft frei von geschlechterspezifischer Gewalt.
Fürchten Sie auch in der Schweiz einen feministischen Backlash?
Der ist längst da. Wir sehen es bei den Witwenrenten, beim Mutterschutz oder der Zunahme von Femiziden. Der Anteil Frauen im Parlament ist wieder gesunken. Und Figuren wie Andrew Tate beeinflussen auch hier junge Männer stark. Was in den USA passiert, kann auch hier passieren. Auch in der Schweiz wird das Selbstbestimmungsrecht von Frauen eingeschränkt – man denke nur ans Burkaverbot.
Gleichzeitig sind zwei Anti-Abtreibungs-Initiativen schon im Sammelstadium gescheitert, das Parlament hat höhere Kita-Beiträge beschlossen, und Sie selbst feierten mit dem neuen Sexualstrafrecht einen Erfolg. Es geht in der Schweiz vorwärts, nicht rückwärts.
Ja, es gibt Fortschritte, das stimmt. Aber man muss genau hinschauen: Das Kita-Gesetz ist noch nicht in trockenen Tüchern und ein Tropfen auf den heissen Stein. Das neue Sexualstrafrecht ist ein Meilenstein, doch bei der Umsetzung in den Kantonen hapert es massiv. Ich will die Erfolge nicht kleinreden, doch all diese Anstösse kamen in der letzten Legislatur.
Die SP-Frauen haben kürzlich ein neues Strategiepapier verabschiedet. Darin fordern Sie «feministische Verfassungsrevision». Was stellen Sie sich darunter vor?
Wir wollen, dass die elementaren Grundrechte von Frauen explizit in der Verfassung verankert werden – als Bastion gegen den Antifeminismus. Erstens soll das Grundrecht auf finanzielle Autonomie festgeschrieben werden, also beispielsweise die Lohngleichheit und dass Kinderbetreuung und unbezahlte Care-Arbeit nicht zu Armut führen dürfen. Zweitens fordern wir ein Grundrecht auf körperliche Selbstbestimmung. Und drittens ein Recht auf Schutz vor patriarchaler Gewalt.
Die Lohngleichheit ist doch schon lang in der Bundesverfassung verankert.
Die Schweiz gehört immer noch zu den Schlusslichtern, wenn es um die Lohngleichheit geht. Fakt ist: Rund 40 Prozent der Mütter in diesem Land sind von ihrem Partner abhängig. Kommt es zu Problemen in der Beziehung, ja sogar zu Gewalt, fehlt vielen Frauen die ökonomische Unabhängigkeit, um sich zu trennen. Das ist eine politische Realität, der wir uns stellen müssen – und die wir verändern wollen.
Mit einem neuen Verfassungsartikel haben diese Frauen aber nicht plötzlich mehr Geld auf dem Konto.
Natürlich nicht. Aber die Verfassung ist das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Grundrechte gehören dort verankert.
Warum kämpfen Sie nicht für möglichst greifbare und realistische Massnahmen – statt abstrakte Verfassungsartikel zu formulieren, die keine unmittelbare Konsequenz haben?
Wir tun beides. Verfassungsbestimmungen schaffen einen Schutzwall, sie sichern wichtige Errungenschaften ab und zwingen die Politik, Massnahmen umzusetzen. In unserer Gesellschaft haben wir die Illusion, dass Fortschritte unumkehrbar sind. Doch ein Blick in die USA zeigt uns gerade exemplarisch, wie schnell Rechte wieder abgeschafft werden können.
Die SP-Frauen fordern zudem ein Investitionspaket für die Gleichstellung. Wofür muss der Bund aus Ihrer Sicht mehr Geld in die Hand nehmen?
Bei der Kinderbetreuung muss mehr passieren. Es ist absurd, wie teuer es hier ist, Erwerbsarbeit und Familie zu vereinbaren. Ausserdem braucht es weitere Mittel zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt. Alle – von links bis rechts – sagen, man müsse handeln. Doch sobald es ums Geld geht, ducken sich alle weg.
Woher soll denn das Geld für all diese Massnahmen kommen?
Wenn es um Frauen geht, hört man immer gleich die Frage: Woher soll das Geld kommen? Aber wenn für Artillerie-Munition eine zusätzliche Milliarde Franken gebraucht wird, wird das einfach so durchgewunken – ohne eine klare Finanzierung. Auch das ist Teil rechter Strategien.
Was passiert nun mit all diesen Forderungen?
Wir werden unsere Forderungen als parlamentarische Initiativen einbringen. Dabei hoffen wir auf die Unterstützung von Frauen aus allen politischen Lagern. Gleichzeitig braucht es Druck von der Strasse: Der feministische Streik am 14. Juni steht bevor.
Zu reden gibt im Parlament gerade der Mutterschutz. Bürgerliche Nationalräte wollen Mutter- und Vaterschaftsurlaub «flexibilisieren», das heisst: an den 14 Wochen Mutterschaftsurlaub rütteln.
Das ist einfach unfassbar und macht mich wütend. Schauen wir die Statistik an: Nur etwa 18 Prozent der Frauen kommen nach den 14 Wochen Mutterschaftsurlaub zurück an den Arbeitsplatz. Wer es sich leisten kann, verlängert. Wenn die 14 Wochen infrage gestellt werden, trifft das vor allem Frauen, die es sich nicht leisten können, länger zu Hause zu bleiben.
Glauben Sie wirklich, die Forderung ist mehrheitsfähig? Meine Sorge ist, dass das Parlament als Gegenvorschlag zur Familienzeit-Initiative einen Kompromiss schmiedet. Einer, der für viele Frauen letztlich eine Verschlechterung der Situation bedeutet.
Die Initiative fordert je 18 Wochen für Mütter und Väter – da bleibt viel Spielraum für einen Kompromiss, der über das bisherige Minimum hinausgeht.
Schon garantieren Gesamtarbeitsverträge in einigen Branchen 18 Wochen Mutterschaftsurlaub – etwa im Detailhandel. Sollte ein Gegenvorschlag zustandekommen, der Frauen zurückwirft, werden die SP-Frauen ihn mit aller Kraft bekämpfen – notfalls auch mit einem Referendum. (nib/aargauerzeitung.ch)