Der Schweizer Nationalfonds (SNF) steckt jedes Jahr rund eine Milliarde Franken in die Forschung. Doch gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit sehen Sie sich mit massiven Sparplänen konfrontiert – ein Minus von 400 Millionen Franken droht. Bei welchen Projekten würden Sie den Rotstift am ehesten ansetzen?
Torsten Schwede: Es ist zu früh, das im Detail zu sagen. Wir überlegen derzeit noch, nach welchen Kriterien wir vorgehen würden. Aber ich bin weiterhin optimistisch, dass wir die Kürzungen im politischen Prozess noch abwenden können. Die Folgen wären katastrophal für die Innovationslandschaft der Schweiz.
Welche Akzente möchten Sie als neuer Präsident des SNF-Forschungsrats setzen?
Ein Anliegen ist es mir insbesondere, interdisziplinäre Forschung stärker zu fördern und Kooperationen zu erleichtern. Grosse Hausforderungen wie Klimawandel oder die Folgen der KI lassen sich nur im Zusammenspiel verschiedener Forschungsbereiche angehen. Das ist eine Herausforderung, wenn die Fachbereiche nicht dieselbe Sprache sprechen. Ab dem 1. April werden Forschungsanträge nicht mehr in festen Fachbereichen begutachtet. Wir setzten Experten ein, die in der Lage sind, die Brücke zu schlagen und den Mehrwert von interdisziplinärer Forschung zu beurteilen.
Welches Forschungsgebiet liegt Ihnen besonders am Herzen?
Das ist die künstliche Intelligenz. Da sollten wir uns einen Ruck geben und mehr investieren – nicht weniger. Denn dort passiert gerade unglaublich viel.
Gerade das Beispiel KI zeigt doch, dass Innovation nicht nur eine Frage eines grossen Budgets ist. Das chinesische Start-up Deepseek hat ein Sprachmodell entwickelt, das mit ChatGPT zu einem Bruchteil der Kosten mithalten kann.
Entscheidend für Innovation sind kluge Köpfe. China hat das erkannt und massiv in «Brainware» investiert. Trotz des US-Exportverbots für Hochleistungschips konnte Deepseek daher auf seine cleveren Leute setzen, die neue, innovative Algorithmen entwickeln konnten. Genau das ist auch unser Ansatz: Wir müssen in Talente investieren.
Kann die Schweiz im KI-Wettbewerb mithalten?
Unsere Ausgangsposition ist dank der beiden ETHs hervorragend, wir können mit der Weltspitze mithalten. Auch im Tessin gibt es ein innovatives KI-Institut. Der ALPS-Supercomputer am Swiss National Supercomputing Centre CSCS gehört ausserdem zu den leistungsfähigsten öffentlichen KI-Rechnern in Europa.
Ihr eigenes Forschungsfeld, die Proteinmodellierung, wurde von KI revolutioniert: Für diese gab es letztes Jahr quasi den Nobelpreis, weil ein auf KI beruhendes Computermodell die Proteinfaltung unglaublich viel besser vorhersagen kann, als dies ein Mensch jemals könnte.
Ja, mein Forschungsgebiet wurde vor fünf Jahren durch KI ersetzt. Die anderen Forschungsgebiete haben das noch vor sich. (Lacht.)
Nun ja, als neuer SNF-Präsident hätten Sie wohl sowieso keine Zeit mehr für eigene Forschung?
Doch doch, laut Vertrag darf ich immer noch 40 Prozent meiner Zeit der Forschung widmen. Zum Glück. Denn KI hat uns nicht arbeitslos gemacht, im Gegenteil. Dank ihr ist unser Forschungsgebiet spannender als je zuvor.
Haben Sie ein Beispiel?
In Basel gibt es ein Spin-off namens T3. Es hat ein Bakterium genetisch so modifiziert, dass es mit einer Art Nadel gezielt Proteine in Krebszellen einspritzen kann. Wir entwickeln nun gemeinsam mit T3 Proteine, die die Krebszellen bekämpfen können.
Aus der Forschungsförderung des SNF entstanden in den letzten 8 Jahren rund 150 Start-ups. Die besten solcher Firmen entstehen allerdings in den USA. Und vor allem sind viele privat finanziert. Sollten sich nicht auch Schweizer Forscherinnen und Forscher mehr um Drittmittel bemühen?
Zwei Drittel der Forschung in der Schweiz werden bereits privat finanziert, ein Drittel vom Staat. Diese Balance ist wichtig. Private Gelder fliessen oft in Bereiche, die Partikularinteressen dienen. Öffentliche Mittel hingegen werden für Grundlagenforschung genutzt, die allen dient.
Gerade in den USA steht die Wissenschaft derzeit unter Druck. Nie hat es mehr Dekrete gegen sie gegeben als unter Donald Trump. Beunruhigt Sie das?
Ja. Die USA sind einer der grössten Forschungsförderer. Wir arbeiten eng mit der NSF, der amerikanischen National Science Foundation, zusammen. Daher beunruhigt es uns sehr, dass in den USA die Forschungsfreiheit gerade aus ideologischen Gründen eingeschränkt wird.
Für Patrick Cramer, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft, stellt Trump jedoch auch eine Chance für Europa dar, weil man Top-Forscher aus den USA abwerben könnte.
Aus meiner Sicht tut es dem Gesamtwissenschaftssystem nicht gut, wenn ein starker Partner ausfällt. Am Ende lebt Wissenschaft von der internationalen Zusammenarbeit. Aber tatsächlich könnte es ein guter Moment für die Schweiz und Europa sein, den Forschungsplatz so attraktiv wie möglich zu gestalten und damit Talente anzuziehen.
Inwiefern sollte sich Politik denn überhaupt in die Wissenschaft einmischen?
In der Schweiz schafft die Politik Rahmenbedingungen für exzellente Forschung, hält sich aber aus den inhaltlichen Entscheidungen heraus. Das hat sich bewährt, und ich hoffe, dass es so bleibt.
Und umgekehrt? Darf die Wissenschaftswelt die Politik beeinflussen?
Wissenschaft soll faktenbasierte Entscheidungsgrundlagen liefern und diese verständlich kommunizieren, damit sie in den politischen Prozess einfliessen können. Entscheiden muss am Ende aber die Politik.
Es ist doch aber so, dass wissenschaftliche Erkenntnisse von immer mehr Menschen abgelehnt werden, wenn sie nicht ins eigene Weltbild passen. Wie gehen Sie damit um?
Das ist ein besorgniserregender Trend, den wir weltweit beobachten. Dabei kann man mit der Natur nicht verhandeln. Beobachtungen, Messungen lassen sich nicht mit Ideologie wegdiskutieren. In einer Demokratie müssen wir uns auf eine gemeinsame Basis an gesicherten Erkenntnissen einigen, um faktenbasierte Diskussionen führen zu können.
Nicht nur in der Wissenschaft, auch im Wissenschaftsjournalismus wird gekürzt. So will das SRF das «Wissenschaftsmagazin» streichen.
Das ist nicht gut. In einer Welt, die immer technologischer und komplexer wird, sollte der Wissenschaftsjournalismus gestärkt und nicht geschwächt werden. Für eine funktionierende Demokratie braucht es jemanden, der die Übersetzungsarbeit leisten kann.
Die Petition gegen den SRF-Entscheid haben zu diesem Zeitpunkt bereits über 2500 Personen unterzeichnet. Sie noch nicht. Werden Sie das noch tun?
Aber selbstverständlich!
Der Bankplatz Schweiz hat fast ausgedient. Womit sollen wir denn sonst international bestehen? Mit Käse Export?