Anja Zeidler ist Unternehmerin, Fitnesscoach und vor allem als digitale Influencerin bekannt. Ihrem Profil auf dem Fotoblog Instagram folgen über 300 000 Leute. Ihren Traum von Hollywood bezahlte die 25-Jährige in einer schweren körperlichen und psychischen Krise.
Warum ging es Ihnen in Los Angeles so schlecht, und warum sind Sie nun in Luzern wieder glücklich, wie Sie in Ihrer neuen Autobiografie schreiben?
Anja Zeidler: L. A. war auch eine gute Erfahrung, aber der Druck ist wahnsinnig gross dort. Ich war damals der Meinung, dass du dich zum Glücklichsein stetig verbessern musst, immer etwas Neues und noch Tolleres brauchst. Aber ich merkte, dass diese Spirale nie aufhört. Ich habe in dieser ganzen Sucht nach Perfektion mich selbst verloren. Ich musste wieder zu meinen Wurzeln zurück, zu meiner Familie und meinen Freunden. Luzern ist unkompliziert und für mich die schönste Stadt der Welt. Ich fühle mich hier wohler als in L. A. oder Zürich mit all den perfekt gestylten Menschen.
Woher kamen Ihr übertriebener Ehrgeiz und das Gefühl, nicht zu genügen – was schliesslich in Suchtstörungen mündete?
Ich war eigentlich ein fröhliches und selbstbewusstes Kind. Als Jugendliche ging das plötzlich verloren. Die Selbstzweifel begannen vor allem mit dem Modeln. Du vergleichst dich immer mit den anderen Frauen auf den Covers. Fotografen sagen dir, noch ein, zwei Kilo weniger wären toll. Und es hatte, wie ich heute weiss, auch einen Zusammenhang mit Männern. Dass ich immer enttäuscht, verletzt, betrogen worden bin. Als ich mich in einen Fitnesstrainer verliebte, kam zum «ich bin nicht gut genug» noch das «ich bin nicht fit genug». Ab da trainierte ich mindestens einmal pro Tag. Ich ahnte irgendwann, dass ich ein Problem hatte, verdrängte es aber trotz Warnungen meiner Eltern und Kollegen.
Was brachte Sie zur Vernunft?
Ein Erlebnis mit einer meiner besten Freundinnen aus der Kindheit. Sie kam mich in L. A. besuchen und hatte mich lange nicht gesehen. Schockiert sagte sie, ich sehe brutal aus und sei nicht die Anja, die sie kenne. Von ihr konnte ich es annehmen, sie war weder zu weit weg noch zu nah.
An wen ist Ihr Buch «Sei glücklich, nicht perfekt» gerichtet? Dem Cover nach vor allem an Mädchen und junge Frauen.
Nicht nur, es hat viele universelle Themen drin: Liebesbeziehungen, Trennungen, Motivation, Zielsetzung, sicheres Auftreten, Mobbing. Gemeint sind alle, denen es schwerfällt, sich selbst zu lieben, oder die vielleicht noch nicht wissen, wer sie sind. Aber klar, in erster Linie schon junge Frauen. Sie machen auch den Hauptanteil meiner Follower aus.
Wie alt sind Ihre Followerinnen und Follower auf Instagram?
Die meisten sind zwischen 18 und 25 Jahre alt. Aber es sind auch Jüngere und Ältere dabei. Kürzlich hat mir eine zweifache Mutter gedankt, die das Buch gelesen hat: Sie sei neun Jahre älter als ich, und ich hätte schon ganz viele Sachen geschrieben und verstanden, mit denen sie heute noch kämpfe.
Woran liegt es, dass besonders Jugendliche Schönsein mit Glücklichsein verwechseln?
Gerade auf Instagram sind überall perfekte Körper und Gesichter zu sehen. Viele Junge sind unzufrieden mit ihren Haaren, Kurven oder was auch immer an ihrem Aussehen, weil sie sich an den Schönheitsidealen aus der Werbung orientieren. Diese Ideale hat es natürlich schon immer gegeben, heute hat man aber über das Smartphone permanent Zugang dazu. Das macht es schon krasser. So bin auch ich den falschen Vorbildern verfallen und war wiederum selbst eines für andere.
Können Models Ihrer Logik nach nicht glücklich sein, weil sie von Berufs wegen übers Aussehen definiert werden?
Was mich viele Leute fragen: Anja, du bist ja wunderschön, wenn ich so aussehen würde wie du, wäre ich auch glücklich. Dass ich mich eben wegen der Schönheit kaputtgemacht habe, beweist genau das Gegenteil. Aber natürlich können Models glücklich sein, weil das aus meiner Sicht primär mit der Einstellung zu sich selbst zu tun hat.
Sie verdienen immer noch einen Teil Ihres Einkommens mit Ihrem Aussehen, mit Fotos von sich. Wie passt das zu Ihrem neuen Lebensmotto «innere Werte zählen»?
Ich fragte mich, ob ich meine Profile auf Instagram und Youtube löschen sollte. Stattdessen habe ich eine Gegenbewegung gestartet und lasse die Leute an meinem Wandel teilhaben. Jetzt poste ich auch einmal Dehnungsstreifen, damit alle sehen, dass das normal ist. Zudem mache ich vermehrt auf andere Themen aufmerksam, die mir wichtig sind, zum Beispiel Tierrechte.
Oder Antibiotika. Jenen Beitrag illustrierten Sie allerdings mit einem Bild von sich in Unterwäsche. Finden Sie das glaubwürdig?
Das eine muss nichts mit dem anderen zu tun haben. Meine Kernbotschaft ist ja Selbstliebe. Zeig dich, wenn du dich wohlfühlst. Manchmal habe ich halt grad eine Jacke an, manchmal daheim nur Unterwäsche.
Sie finden es nicht komisch, eine politische Botschaft beinahe nackt zu vermitteln?
Nein, warum? Der Social-Media-Nutzer kann selbst entscheiden, was er damit anfängt. Wieso soll ich mich eingehüllt zeigen, um glaubwürdig zu sein?
Von eingehüllt redet niemand, man könnte ja einfach in einem T-Shirt dasitzen.
Könnte man. Für mich zählen aber der Mensch dahinter und die Botschaft. Ich finde den Körper etwas Schönes, und meiner Meinung nach kommt es darauf an, ob es ein sinnliches, ästhetisches Bild oder ein billiges ist.
Sie könnten Mädchen aber ein Frauenbild vermitteln, wonach es Anerkennung bringt, sich öffentlich sexy vor der Kamera zu räkeln.
Ich finde es wichtig, zu zeigen, dass man sich für seinen Körper nicht genieren sollte. Aber ich möchte kein bestimmtes Frauenbild vermitteln oder unterstützen. Und wenn jemand findet, ich sehe sexy aus, nehme ich das als Kompliment.
Wenn Sie sagen, es gibt Wichtigeres im Leben als das Aussehen, warum posten Sie denn fast nur Fotos von sich selbst?
Mein Account ist nun mal die Anja-Zeidler-Show, es geht um mich. Wenn ich einen Baum poste, denken die Leute, schade, ich würde lieber Anja sehen. Und ich habe einen zweiten Account, wo ich Sprüche oder Memes veröffentliche, die mir gefallen.
Influencerinnen und Influencer wie Sie machen Werbung für Produkte in den sozialen Medien. Wie gehen Sie vor, wenn Sie zum Beispiel ein Müesli verkaufen müssen?
Grundsätzlich: Anja Zeidler ist keine Verkäuferin. Ich bekomme zwar unzählige Anfragen, aber 99 Prozent lehne ich ab. Ich kooperiere mit Firmen, die die gleiche Philosophie haben wie ich. Vegan und ohne Tierversuche bei Schminke etwa. Mich stört an der Influencer-Welt, dass viele ein Produkt in die Kamera halten, zu dem sie keinen Bezug haben.
Wie viel verdienen Sie mit Ihrer Firma Anja Zeidler GmbH?
Das möchte ich privat halten.
Auf einer Skala von 1 bis 10, wie gut läuft das Geschäft?
10.
Ist Anja geschäftlich respektive öffentlich dieselbe wie Anja privat? Sind Sie anders, wenn Ihnen niemand zuschaut?
(lacht) Nein, mir sagen alle, die mich auf Social Media verfolgen und dann in echt kennen lernen, ich sei wirklich genau so.
Sie meinen also alles ehrlich und ernst, das Sie posten?
Ja. Ich möchte keine Schauspielerin sein, die ein Image verkauft, sondern mache aus meiner Persönlichkeit eine Marke. Das hat natürlich auch den Nachteil, dass ich als Privatperson total greifbar bin. Es gibt nur wenige Sachen, die ich nicht teilen möchte. Das ist etwas, das vielleicht nicht jeder verstehen kann.
Was behalten Sie für sich neben den Finanzen?
Nach Erfahrungen habe ich mich entschieden, dass ich aktuelle oder künftige Liebesbeziehungen privat halte. Für den Moment zumindest.
Ihre Mutter macht viele der Fotos von Ihnen. Wie ist Sie zu Ihrer Privatfotografin avanciert?
Mein Mami hat schon immer gerne hobbymässig fotografiert, in den Ferien und so. Einmal kam sie zu mir und sagte, sie möchte Menschen fotografieren, ich solle mal posieren. Ich sagte: «Mama, echt?», aber tat ihr den Gefallen – und war beeindruckt, wie Hammer die Fotos wurden. Mittlerweile ist das Fotografieren ein Nebenjob von ihr geworden. Meine Bekanntheit hat dabei geholfen, was mich freut.
Lassen Sie ab und zu Ihr Handy zu Hause, wie Sie es Ihren Lesern und Followern empfehlen?
Ja, ich mache viele Sachen offline. Ich liebe Yoga, Wandern, Snowboarden und Malen. Es gibt Tage, an denen ich es geniesse, nicht erreichbar zu sein.
Wirklich?
Ja, ist das so verwunderlich?
Weil Sie jeden Tag etwas posten, auch über Ihre Hobbys! Und weil Sie eine Tendenz zur Sucht haben. Beim Handy haben Sie diese also im Griff?
Manchmal bereite ich Beiträge vor für die nächsten Tage. Klar, ich bin sehr viel am Handy, es ist mein wichtigstes Arbeitsinstrument. Aber süchtig bin ich zum Glück nicht, sonst wäre ich in diesem Job verloren.
Erst modeln, dann Fitness, dann Hollywood und immer schön die Kamera dabei. Geiles Leben, geile Zeit, geiler Porsche...
Dann die grosse Einsicht, dass das alles nix war und einen Lebensratgeber rausgeben (mit 25)...und natürlich ist wieder die Kamera dabei, weil so ganz ohne influencing gehts dann doch nicht.