Frau Di Benedetto, Sie sind Mitglied im Verein Gewaltfreie Geburtshilfe. Wie viele Frauen in der Schweiz sind von dieser Problematik betroffen?
Monika Di Benedetto: Laut einer Studie der Berner Fachhochschule haben 25 Prozent der Frauen während der Geburt eine Form von Gewalt erlebt. Es ist nicht so, dass es immer massive Gewaltanwendungen sind, es gibt auch viel subtilere Gewaltanwendungen.
Ab wann ist ein Eingriff während einer Geburt gewaltvoll?
Es gibt keine offizielle Definition davon, wann ein Erlebnis als gewaltvoll wahrgenommen wird. Aber wenn eine Frau einen Akt als Übergriff wahrnimmt, dann sollte man das respektieren. Oft ist es auch eine psychische Form von Gewalt. Beispielsweise wird den Frauen gedroht, man macht ihnen Angst oder übt Zwang aus auf sie.
Sind es nicht medizinisch relevante Eingriffe, die schnell vorgenommen werden müssen, bei denen das Spitalpersonal schlicht keine Zeit für längere Diskussionen hat?
Man kann die Frau trotzdem darüber aufklären, was passiert. Es geht bei diesen ungefragten Eingriffen oft nicht um Leben und Tod. In den meisten Fällen kann der gebärenden Frau oder einer Begleitperson erklärt werden, weshalb der Eingriff wichtig ist. Das heisst, man kann auch eine Einwilligung einholen.
Und wenn es doch um Leben und Tod geht?
Wenn man zwingend eingreifen muss, weil die Situation so gefährlich ist, dann sollte man zumindest nachher die Frau darüber aufklären, was im Gebärsaal genau passiert ist. Der Frau muss die Gelegenheit gegeben werden, den Vorgang zu verstehen – dies passiert oft nicht ausreichend.
Welche Erfahrungen schildern betroffene Frauen?
Gewisse Frauen sind beispielsweise drei Tage in den Wehen. Das ist problematisch, weil der Gebärsaal auch wieder freigegeben werden muss. Dann gibt man dieser Frau Wehenmittel, damit der Prozess schneller geht. Das kann dann aber dazu führen, dass man noch weiter Interventionen durchführen muss, beispielsweise wird eine Periduralanästhesie (PDA) verabreicht. Diese erhöht dann das Risiko für einen Kaiserschnitt. Einen operativen Eingriff möchte die Frau eigentlich nicht unbedingt, aber sie muss ihn durchführen, weil man ihr nicht genug Zeit für eine natürliche Geburt zur Verfügung gestellt hatte.
Die Frauen schildern also, dass sie nicht gefragt werden, ob sie dieses Wehenmittel wollen?
Manchmal werden sie gefragt und manchmal nicht. Es gibt immer wieder Fälle, bei denen das Wehenmittel einfach erhöht wurde. So wird das Kind eventuell zu stark gestresst und man muss einen Kaiserschnitt durchführen. Das ist dann nicht zwingend gewaltvoll, aber es gibt viele Frauen, die beispielsweise nach einem Kaiserschnitt unter Versagensgefühlen leiden.
Sie selbst hatten auch eine unschöne Erfahrung gemacht im Spital. Erzählen Sie.
Als ich in das Spital eingeliefert wurde, hatte ich schon Wehen. Die Geburt wurde eingeleitet und die Abgabe des zu hoch dosierten Wehenmittels intensivierte meine Schmerzen – ich lag 30 Stunden in den Wehen. Doch es hiess immer: «Wir haben keine Zeit für Sie.» Auch sonst wurde sehr grob mit mir umgegangen. Schlussendlich hatte ich einen Kaiserschnitt.
Können Sie dieses Erlebnis mit anderen Spitalaufenthalten vergleichen?
Ich wurde schon wegen anderen Problemen in den Spital eingeliefert – ich bin eine «gute» Patientin. Aber ich wurde noch nie so respektlos behandelt wie während des Aufenthalts wegen dieser Geburt.
War das Ihre erste Geburt?
Ja. Bei meiner zweiten Geburt war ich in demselben Spital, ich hatte wieder einen Kaiserschnitt und das Kind kam zu früh. Die Ausgangslage war also überhaupt nicht gut. Doch ich wurde ganz anders behandelt, denn aufgrund meiner Vorgeschichte wusste ich genau, was ich möchte und was nicht. So konnte ich mehr mitbestimmen und man nahm mich ernst – ich machte eine völlig andere Erfahrung.
Warum denken Sie, dass es im Gebärsaal immer wieder zu solchen Situationen kommt?
Gewalt ist ein starker Begriff – ich bin mir sicher, dass der Grossteil dieser Übergriffe nicht vorsätzlich passiert. Ich anerkenne selbstverständlich auch, dass das Personal einem grossen Druck ausgesetzt ist. Aber es entsteht sicher eine gewisse Abstumpfung, weil man viele Frauen begleitet. Das heisst, man geht nicht so individuell auf die Frauen ein, obwohl dies sehr wichtig wäre bei einer Geburt. Oft wird die Frau auch nicht richtig ernst genommen oder man denkt, man weiss, was gut ist für sie.
Wollen die Frauen dann überhaupt noch in einem «normalen» Spital gebären oder ist die Tendenz eher, dass man ein spezielles Geburtshaus aufsucht?
Nein. Das wäre auch nicht die Lösung. Jede Frau ist individuell und beispielsweise eine Hausgeburt ist auch nicht für alle das Richtige. Für die Frauen ist es wichtig, dass man ihnen auf Augenhöhe und mit Respekt begegnet. Beispielsweise kann man darauf achten, dass sie bedeckt ist, wenn jemand den Raum betritt und nicht direkt ihren Schambereich sieht. Und wie gesagt: Man sollte sie mehr in den Geburtsprozess miteinbeziehen.
Der Druck im Spital besteht weiterhin, der Personalmangel ist ein riesiges Problem und ebenso bleibt die Anzahl der Gebärsaale beschränkt. Was ist Ihr Ansatz, dieser Problematik entgegenzuwirken?
Das Problem ist komplex. Die Politik ist gefragt, um die allgemeine Situation in den Spitälern zu verbessern. Die Ärzte und Hebammen leisten in den meisten Fällen sehr gute Arbeit. Es ist wichtig, sensibel mit den Frauen umzugehen und das eigene Handeln immer wieder zu reflektieren. Ebenso müssen die Frauen besser aufgeklärt werden, und zwar schon früh. Beispielsweise im Teenageralter. So können die Frauen lernen, wie eine Geburt abläuft und Vertrauen finden in ihren Körper. Danach müssen sie aber auch für sich einstehen.
Die Kräfte welche sie freigesetzt hat unsere Kinder zu gebären waren immens.
Ich habe das Gefühl, die Geburt wird krass verklärt und verzerrt dargestellt. Auf Insta haben alle Babyglow, die beste Zeit des Lebens und sind soooo happy.
Das crasht dann heftigst im Gebärsaal mit den heftigsten Schmerzen ever, Geschrei, hektik wenns Komplikationen gibt und das Blut über den Boden fliesst. Meine Frau bekam Blut, weil sie über 2Liter verlor. Es wird einem bewusst, warum früher Frauen einfach dabei gestorben sind.