Übersetzung
Dieser Text wurde von unseren Kolleginnen und Kollegen aus der Romandie geschrieben, wir haben ihn für euch übersetzt.
Die Global Sumud Flotilla («Sumud» bedeutet auf Arabisch «Standhaftigkeit») besteht aus mehreren Dutzend Booten. Ihr Ziel: die israelische Seeblockade des Gazastreifens zu durchbrechen und humanitäre Hilfe zu bringen. Der Walliser Arzt Hicham El Ghaoui ist Leiter der Schweizer Delegation.
Dieser Text wurde von unseren Kolleginnen und Kollegen aus der Romandie geschrieben, wir haben ihn für euch übersetzt.
Eine erste Flottille ist am 31. August von Barcelona aus gestartet. Sie selbst legen in ein paar Tagen in Italien ab – mit welchem Gefühl gehen Sie an die Sache?
Hicham El Ghaoui: Mir geht es gut. Wir stecken mitten im Sicherheitstraining – sprich: Wir bereiten uns auf verschiedene Szenarien vor, die uns auf See begegnen können, etwa darauf, dass uns die israelische Armee in internationalen Gewässern stoppt.
Das ist eine Mission mit gewissen Risiken, denn wir wissen, dass wir sehr wahrscheinlich mit solchen Situationen konfrontiert werden. Deshalb müssen alle ihre Grenzen kennen und nicht auf Provokationen eingehen.
Glauben Sie wirklich, dass Israel das Risiko eingehen würde, einen ausländischen Helfer wie Sie, der humanitäre Hilfe bringt, zu verletzen oder gar zu töten?
Glauben Sie wirklich, dass Israel auch nur den geringsten Skrupel hat, wenn es in Gaza humanitäre Helferinnen und Helfer tötet?
Zum Beispiel hat Israel zahlreiche Helferinnen und Helfer der Organisation World Central Kitchen in Gaza getötet, deren Ziel es war, der Bevölkerung warme Mahlzeiten bereitzustellen. Auf humanitäre Helfer, Frauen und Kinder zu schiessen, gehört zum Alltag der israelischen Armee – deshalb müssen wir uns darauf vorbereiten, nicht auf Provokationen zu reagieren. Zur Erinnerung: 2010 versuchte eine Flottille mit Hunderten von Menschen, per Schiff den Gazastreifen zu erreichen, um die Blockade zu durchbrechen. Sie wurde vom israelischen Militär gestoppt; dabei wurden mehrere Menschen getötet und Dutzende weitere verletzt.
Ihr Recht auf Selbstverteidigung ist zu einem Recht zu töten geworden – deshalb trainieren wir, im Falle eines Angriffs nicht zu reagieren.
Sie haben bereits am Marsch nach Gaza von Ägypten aus teilgenommen, doch das lief nicht wie erhofft – Sie wurden aus dem Land ausgewiesen. Was lässt Sie glauben, dass Sie es diesmal bis nach Gaza schaffen?
Zuerst einmal ist die aktuelle Flottille grösser als alle bisherigen. Ausserdem hat unsere Bewegung internationale Dimensionen angenommen, und wir spüren die Unterstützung von Hunderttausenden. Ein Beispiel: Eine Hafenarbeitergewerkschaft in Genua hat am Dienstag angekündigt, den Warenumschlag zu blockieren, falls die Flottille angegriffen würde oder nicht sicher ankäme. Man sollte die Kraft der Zivilgesellschaft nicht unterschätzen.
Kürzlich haben Sie gesagt, Ihre Bewegung versuche «immerhin etwas». Sind Sie verzweifelt?
Nein, eben nicht, ich habe Hoffnung. Wir können nicht zulassen, dass sich vor unseren Augen ein Genozid abspielt. Wir haben die moralische Pflicht zu handeln – oder es wenigstens zu versuchen.
Ich denke allerdings, dass es in unserem Rahmen möglich ist, per Schiff nach Gaza zu gelangen und unsere Hilfe zu bringen. Ich habe die Hoffnung, dass das, was wir aufgebaut haben, Wirkung zeigt und eine internationale Bewegung auslöst.
Das EDA rät Schweizerinnen und Schweizern von einer Teilnahme an dieser Flottille nach Gaza ab – ist Ihnen bewusst, dass Sie nicht auf die Hilfe unserer Regierung zählen können?
Wir haben Kontakt mit dem EDA aufgenommen, um es über unsere Absicht zu informieren, nach Gaza zu gelangen, aber ausser uns von der Reise abzuraten, haben wir nichts Weiteres gehört. Letztlich erwarten wir nichts von der Regierung.
Trotzdem haben in Ägypten einige Teilnehmende des Marsches, die von den Behörden festgehalten wurden, Unterstützung durch das EDA erhalten – rechnen Sie damit, dass es genauso sein wird, falls die Flottille von Israel gestoppt wird und Sie im Gefängnis landen?
Haft ist das Hauptrisiko für die Teilnehmenden der Flottille. Vor einigen Tagen hat ein israelischer Minister angekündigt, die Besatzungen der Flottille sollten als Terroristen eingestuft und in Hochsicherheitsgefängnissen festgehalten werden – sehen Sie, wie absurd das ist? Menschen zu inhaftieren, die mit humanitärer Hilfe kommen? Wenn das auf uns zukommt, stellen wir uns dem.
Sollte uns das passieren, muss das EDA auf das Vorgehen Israels reagieren. Der Marsch nach Gaza ist ein gutes Beispiel: Französische, italienische und auch schweizerische Konsulate haben am Ende ihre Aufgabe erfüllt, indem sie die Freilassung ihrer Bürgerinnen und Bürger in Ägypten erleichtert haben.
Sie sind Arzt und haben in den letzten zwei Jahren humanitäre Einsätze in Gaza geleistet – gibt es Bilder, die Sie im Alltag noch verfolgen?
Natürlich, sehr viele. Ich habe das Bild einer Mutter vor Augen, die in die Notaufnahme kam – mit den in Plastiksäcken verpackten Körperresten ihrer Kinder. Und die Bilder eines wenige Monate alten Kindes, dem der Kopf abgetrennt wurde und dessen restlicher Körper sich noch bewegte.
Ich denke an die kleine Hind, fünf Jahre alt, die mit 300 Schüssen getötet wurde, während sie die Rettungskräfte am Telefon anflehte, ihr zu helfen. Ich sehe den Vater vor mir, der mit den blutverschmierten Inlineskates seines Kindes zurückkommt. Ich höre noch die Geräusche, die Schreie der Kinder, und die Gerüche kommen wieder. Ich habe den Geruch eines verbrannten Babys noch in der Nase – ein ganz eigener Geruch. Auch den von Blut. In Gaza verbrachte ich meine Zeit damit, kleinen Kindern beim Sterben beizustehen. Es war mir nicht mehr möglich, sie zu retten. Diese Bilder werden nie verschwinden.
Erlauben Sie mir eine persönliche Frage – leiden Sie nicht an einer posttraumatischen Belastungsstörung?
Nein, das glaube ich nicht. Ich bin Arzt und war darauf vorbereitet, aber heute muss ich aktiv bleiben, um dem Ganzen einen Sinn zu geben. Ich habe Kolleginnen und Kollegen, die nach einem Einsatz in Gaza jede humanitäre Tätigkeit eingestellt haben. Bei mir ist es so: Ich verheimliche nicht, dass mein Leben seit zwei Jahren auf Pause steht, mein Kopf ist anderswo und ich bin müde.
Was soll ich meinen Kindern sagen, während Tausende andere ungestraft getötet werden? Ich finde, ein Kinderleben zu retten, ist das Heiligste, was man tun kann.
Sie sprechen von Sicherheitstraining, aber sind Sie auch auf Kritik vorbereitet – insbesondere von Unterstützerinnen und Unterstützern Israels?
Also, ich sage es mal so: Es gibt den gesunden Menschenverstand, und Israels Versuche, unsere Bewegung zu diskreditieren, sind nicht mehr glaubwürdig.
Mein Engagement hat nichts Politisches, nichts mit der Existenz des jüdischen Volkes oder des Staates Israel zu tun. Mir geht es darum, dass das palästinensische Volk aufhört zu leiden und zu sterben. Ich werde zudem manchmal gefragt, ob unsere Bewegung legal ist. Ich antworte: Selbstverständlich. Wir bringen einem Volk humanitäre Hilfe, das ausgehungert und getötet wird. Die eigentliche Frage ist: «Verstossen die Regierungen unserer Länder nicht gegen das Völkerrecht?»
Und wenn Sie Ihr Ziel nicht erreichen und noch vor Gaza festgenommen werden – was machen Sie dann?
Wir kommen das nächste Mal wieder – noch zahlreicher. Den Menschen, die unsere Reise auf den Nachrichtensendern sehen, möchte ich sagen, dass unser Engagement die Menschheit angeht und dass das, was in Gaza passiert, eine absolute Schande ist. In naher Zukunft werden uns unsere Kinder zur Rechenschaft ziehen, und wir werden ihnen nicht sagen können, wir seien untätig geblieben und Komplizen dieser Verbrechen gewesen.
Wie schon bei den Besetzung der Unis ist es eine sehr kleine Minderheit, die hinter der Hamas steht.
Um die Vuelta zu stören wurden Berufsaktivisten aus ganz Israel hingekarrt.
Vielen Dank euch, dass in ganz Europa die Rechtsextremen über einen Drittel der Stimmen bekommen.