Herr Wermuth, haben sich Herr Dettling und Herr Pfister schon bei Ihnen gemeldet?
Wermuth: Ich habe sie am Sonntag in den Elefantenrunden getroffen. Weshalb?
Vielleicht möchten die beiden wissen, weshalb Sie mit Ihrer linken Politik bei Mitte- und SVP-Wähler derart gut punkten. Weshalb haben ein Drittel der SVP-Wähler und 40 Prozent der Mitte-Wähler Nein zum Autobahnausbau gesagt?
Meyer: Weil der Ausbau von Autobahnen zu deutlich mehr Verkehr führt. Es kommt zu mehr Verkehr in den Städten, Gemeinden und auch in den Dörfern. Der Autobahnausbau betraf auch die Leute auf dem Land. In der SVP gab es zudem kritische Stimmen, weil Kulturland betroffen gewesen wäre. Grundsätzlich reiht sich dieses Nein ein in eine Reihe von Abstimmungserfolgen beim Klimaschutz. Die Bevölkerung will, dass die Schweiz ihre Klimaziele erreicht.
Wermuth: Zudem ist es relativ schwierig, den Menschen zu erklären, es sei kein Geld da für mehr Renten oder der Rettung von Stahl Gerlafingen, wenn gleichzeitig 5 Milliarden Franken für Strassen ausgegeben werden sollen. Die Bevölkerung unterstützt uns, weil in Bundesbern nur Lobby-Politik für die Konzerne oder Immobilien-Haie gemacht wird. Für Bundesrat Albert Rösti ist dieses Nein ein Desaster. Er bekam die Quittung für seine Tricksereien.
Das ist ein happiger Vorwurf. Das müssen Sie erklären.
Meyer: Es gab im Abstimmungskampf diverse Medienberichte darüber, wie Albert Rösti als Departementschef versucht hat, Berichte zu beschönigen oder zurückzuhalten. Zum Beispiel zu den Kosten, welche der motorisierte Individualverkehr verursacht. Sie sind ein Vielfaches höher, als bislang bekannt war. Rösti hat keine Vertrauensbasis geschaffen. Doch die Stimmberechtigten lassen sich nicht für dumm verkaufen.
Wermuth: Schon bei der Biodiversitätsinitiative hatten wir die gleichen Debatten. Und auch bei Wolf, Biber und den Nachtzügen. Rösti versucht, Politik durch die Hintertüre zu machen. Das schadet der Glaubwürdigkeit und den Institutionen.
Im Umkehrschluss heisst, die einstige SP-Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga, welche die Vorlage zum Autobahnausbau aufgegleist hat, hätte diese Abstimmung gewonnen.
Wermuth: (Lacht.) Das ist eine hypothetische Frage.
Meyer: Rösti hat gesagt, es brauche unbedingt einen Ausbau der Autobahnen, gleichzeitig hat er den Ausbau der Nachtzüge gestoppt. Es ging zwar nur um 30 Millionen Franken, doch dieser Entscheid hatte Symbolcharakter. Er hat damit gesagt, dass er den öffentlichen Verkehr nicht ausbauen will. Die Menschen goutieren das nicht. Ihre Verkehrsprobleme liegen vor der Haustüre, wir müssen den ÖV in den Agglomerationen ausbauen und den Langsamverkehr fördern.
Die Schweiz investiert in den nächsten Jahren 27 Milliarden Franken in die Bahn. Und sie wollen uns jetzt weismachen, die Menschen haben den Autobahnausbau abgelehnt wegen dem Stop beim Nachtzugausbau.
Wermuth: Rösti hatte ein Glaubwürdigkeitsproblem im Abstimmungskampf. Er sagte, er wolle keinen Verkehrsträger vernachlässigen. De facto hat genau dieser Nachtzug-Entscheid die Vermutung bestätigt, dass es um einen Grundsatzentscheid geht. Rösti steht für Autobahn first. Das will die Bevölkerung nicht.
Der Aargauer SVP-Nationalrat Benjamin Giezendanner war an 32 Podien zum Autobahnausbau und wurde jedes Mal auf die Zuwanderung angesprochen. Und sie erklären uns jetzt: Ein Drittel der SVP Wähler sagte Nein wegen der Nachtzüge.
Meyer: Auch die SVP-Politiker wissen, dass niemand extra in die Schweiz kommt, weil wir hier die Autobahnen ausbauen. Die Menschen kommen, weil Firmen händeringend nach Arbeitskräften suchen. Es ist doch absurd, dass die SVP ihre Niederlage in einen Sieg gegen die Zuwanderung umdeutet.
Wermuth: Nehmen Sie den Kanton Schwyz, der zu den Autobahnen wuchtig Ja gesagt hat: Die SVP hat dort einen Wähleranteil von 45 Prozent. Das Zuwanderungsargument steht auf hölzernen Beinen. Sonst dürften wir ja die Infrastruktur überhaupt nicht mehr ausbauen
Es geht um etwas anderes: Wertkonservative Menschen auf dem Land stören sich daran, dass alles zubetoniert wird. Nicht nur mit Strassen, sondern auch mit Häusern. Politologe Michael Hermann spricht von Wachstumsschmerzen.
Wermuth: Diese Skepsis gegenüber einem reinen Wachstumszwang kann ich nachvollziehen. Die Ungleichheit hat zugenommen, Konzerne haben ihre Gewinne in den letzten Jahren vervielfacht, doch die Löhne und Renten sind nicht in diesem Umfang gestiegen. Dazu kommt ein massiver Umbau in den Innenstädten: Business-Apartments verdrängen Wohnungen. Ich teile die Kritik an der überhitzten Standortpolitik. Das Wirtschaftsmodell, bei dem Profit über allem steht, kommt an seine ökologischen und sozialen Grenzen. Doch zu sagen, das Nein zu den Autobahnen richte sich gegen die Menschen, welche unsere Spitäler oder Baustellen am Laufen lassen, ist falsch.
Wo verläuft der Grat zwischen Wachstums- und Zuwanderungskritik?
Meyer: Bei den Mietrechtsvorlagen ging es ja auch um solche Fragen. Bei der Untermiete haben die Bürgerlichen versucht, Airbnb vorzuschieben. Doch die Menschen haben Nein gesagt, weil sie gemerkt haben, dass es um die Gewinne von Immobilienkonzernen geht. Die Mehrheit will keine Politik gegen ihr eigenes Portemonnaie.
Wermuth: Die Politik unternimmt nichts gegen die hohen Mieten, die Wohnungsknappheit, die steigenden Krankenkassenprämien. Ein Teil der Nein-Stimmen aus dem SVP-Lager zu den Autobahnen waren sicher Proteststimmen. Doch es sind Proteststimmen gegen die SVP-Parteileitung, die nicht das Gemeinwohl ins Zentrum stellt, sondern die Interessen der Immobilien-, Versicherungs- oder Rüstungslobby.
Die Stimmbevölkerung hat drei von vier Behördenvorlagen abgelehnt. Haben wir eine Vertrauenskrise?
Meyer: Ich weiss nicht, ob das der richtige Ausdruck ist. Aber ich kann nachvollziehen, dass sich viele Menschen nicht mehr ernst genommen fühlen. Die SVP- und FDP-Mehrheit im Bundesrat macht nichts für die Anliegen der Bevölkerung: Mieten, Kitakosten, Prämien. Die Bevölkerung will eine sozialere und ökologischere Schweiz. Das hat sie in Abstimmungen gezeigt. Doch nichts davon nimmt der Bundesrat auf.
Die SP hat in diesem Jahr grosse Erfolge gefeiert. Doch ausgerechnet die Initiative zur Entlastung bei den Krankenkassenprämien ist gescheitert, obschon es die Sorge Nummer 1 der Bevölkerung ist.
Wermuth: Die Initiative scheiterte relativ knapp. Kritisiert wurde unser Lösungsvorschlag. Doch von bürgerlicher Seite kommt ja nie ein Vorschlag. Sie wollen lieber den Leistungskatalog einschränken und die Franchise erhöhen.
Am Sonntag wurde auch über die Einheitliche Finanzierung der Gesundheitsleistungen abgestimmt. Ziel ist die Förderung der Ambulantisierung und die Entlastung der Prämienzahler. Ausgerechnet die SP lehnte die Vorlage ab.
Wermuth: Es behauptet niemand, dass die Einheitliche Finanzierung morgen das Problem der steigenden Prämien löst. Doch wir brauchen jetzt Lösungen und nicht erst in ein paar Jahren. Die Menschen können nicht warten.
Was schlagen Sie vor?
Meyer: Wir brauchen eine solidarische Finanzierung. Es ist weder erklärbar noch gerecht, dass ein Rechtsprofessor die gleiche Krankenkassenprämie bezahlt wie eine Verkäuferin. In der Schweiz berappen die Menschen 60 Prozent der Gesundheitsleistungen aus der eigenen Tasche, unabhängig vom Einkommen! Bei den Kosten bin ich sehr froh, dass wir in der Dezembersession eine Lösung finden werden, um Mengenrabatte bei umsatzstarken Medikamenten durchzusetzen. Das ist ein guter Schritt. Doch um eine solidarischere Finanzierung kommen wir nicht herum.
Sie monieren, dass FDP und SVP den Bundesrat dominieren. Sowohl Alain Berset wie auch Simonetta Sommaruga waren starke Figuren in der Regierung. Hat die SP heute die falschen Leute im Bundesrat?
Wermuth: Elisabeth Baume-Schneider hat in diesem Jahr mit Tardoc und der Einheitlichen Finanzierung die grössten Reformen im Gesundheitswesen seit Einführung des Krankenversicherungsgesetzes durchgebracht. Das Problem ist simple Mathematik: Selbst als Superwoman und Superman kann man mit zwei Sitzen im Bundesrat keine Mehrheiten finden.
Meyer: Ich bin unglaublich froh um die Arbeit von Elisabeth Baume-Schneider und Beat Jans. Gerade auch, was sie im Bereich der Gleichstellung machen, zum Beispiel gegen häusliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen. Angesichts der grossen Betroffenheit wäre das so wichtig. Doch die rechte Mehrheit im Bundesrat bindet die beiden mit ihrer Abbaupolitik zurück.
Mit der 13. AHV-Rente, dem Nein zur Pensionskassenreform und dem Nein zu den Autobahnen haben Sie drei grosse Siege gegen die Bürgerlichen eingefahren. Wie können Sie daraus politisches Kapital schlagen?
Meyer: Ich hoffe, dass die Mitte-Partei und die vernünftigen Kräfte aus der FDP endlich wieder auf den Weg des Kompromisses zurückkommen. Wir versuchen in vielen Fragen, Hand zu bieten, weil wir darauf angewiesen sind. Doch ich stelle bei den Bürgerlichen eine starke Kompromisslosigkeit fest. Sie sagen immer, es gebe kein Geld. Doch es ist eine Frage der Prioritäten. Sie geben es einfach lieber für Panzer aus statt für Kitas.
Wermuth: Bei der Budgetberatung haben wir gesehen, dass es unmöglich für uns ist, mit der FDP und der Mitte einen Kompromiss zu machen. Sie scheinen im bürgerlichen Block gefangen. Doch viele Wähler und Wählerinnen der bürgerlichen Parteien tragen die ideologische Abbaupolitik nicht mit. Deshalb werden die Fehlentscheide der bürgerlichen Parteileitungen an der Urne korrigiert. (aargauerzeitung.ch)
Ähm, Cedric, dann bringt doch eine griffige Initiative. Wir werden sofort zustimmen.
DAS kann dazu führen, dass bürgerliche Anliegen in Zukunft komplett durchfallen.
Entweder ihr lässt uns wieder partizipieren oder wir sagen zu allen euren Anliegen Nein.