Sie tragen beiden schwarze Anzüge und blaue Krawatten. Und sie mögen sich gut: Der österreichische ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher und der Schweizer Thomas Zurbuchen, der als Forschungsdirektor die NASA geführt hat. Eine weitere Gemeinsamkeit: Sie haben beide übervolle Terminkalender. Deshalb haben sie nur selten Zeit für einen kurzen Schwatz miteinander. Wir haben beide getroffen, um mit ihnen über die Zukunft der europäischen Raumfahrt zu sprechen.
Herr Aschbacher, die ESA feiert ihr 50-jähriges Bestehen. Auf welche Highlights blicken Sie zurück?
Aschbacher: Da gibt es viele. Wir sind mit der Huygens-Sonde über eine Milliarde Kilometer weit ins Weltall geflogen, um auf dem Saturnmond Titan zu landen und seine Oberfläche zu untersuchen. Das war die erste geglückte Landung im äusseren Sonnensystem überhaupt. Mit der Sonde Rosetta sind wir über sieben Milliarden Kilometer durch den Weltraum gereist, um auf einem Kometen zu landen und ihn zu vermessen.
Das ist alles ganz schön weit weg von uns.
Aschbacher: Unsere grössten Projekte liegen tatsächlich näher: in der Erdbeobachtung. Niemand sonst auf der Welt vermisst den Puls der Erde so genau wie wir. Täglich generieren wir 25 Terabyte an Daten, die wir der Öffentlichkeit gratis zur Verfügung stellen. Diese Daten helfen in der Landwirtschaft, beim Katastrophenschutz oder der Wettervorhersage.
Bevor Sie ESA-Generaldirektor wurden, waren Sie für die Erdbeobachtung zuständig und arbeiteten in dieser Funktion mit Thomas Zurbuchen zusammen. Er war damals Forschungschef der NASA.
Aschbacher: Unsere Zusammenarbeit verlief sehr gut. Globale Kooperation ist das, was die ESA auszeichnet – auch mit der NASA.
Zurbuchen: In der Tat haben wir fantastisch zusammengearbeitet und viele gemeinsame Missionen geplant und durchgeführt.
Die Honeymoon-Phase zwischen Europa und den USA im Weltall scheint nun aber vorbei …
Zurbuchen: Wir haben es mit einem neuen US-Präsidenten zu tun, der auf nationale Stärke setzt. Viele seiner Botschaften machen den Anschein, dass sie unserer Überzeugung einer transatlantischen Kooperation im All widersprechen. Wir werden sehen, welche Taten diesen Aussagen tatsächlich folgen. Unter den Mitarbeitern werden aber die Freundschaften weiterhin erhalten bleiben.
Der von Donald Trump vorgelegte Budget-Entwurf für die NASA sieht ein baldiges Ende der Mondmissionen vor, was auch für Europa ein herber Schlag wäre, da es am Programm massgeblich beteiligt ist. Das Geld soll stattdessen in Marsmissionen fliessen. Trägt der neue Kurs die Handschrift von Elon Musk?
Zurbuchen: Elon Musk ist zweifellos einer der innovativsten Menschen, die ich kenne. Aber der Wunsch, direkt zum Mars zu fliegen, ist nicht neu. Als ich unter Donald Trump NASA-Forschungschef war, sagte der Präsident im ersten Meeting: «Warum zum Mond? Da waren wir schon. Geht gleich zum Mars.» Solche Ideen hört man oft, auch an Stammtischen. Und selbst viele Astronauten würden vermutlich lieber zum Mars als zum Mond, wenn die Risiken vergleichbar wären.
Und Sie?
Zurbuchen: Der Mars ist wissenschaftlich extrem spannend: Es gibt Hinweise auf fossiles Leben, auf Wasser unter der Oberfläche. Vielleicht gibt es dort sogar noch aktives Leben. Aber die Herausforderung ist riesig. Wir brauchen dafür neue Technologien. Und die entwickeln wir zuerst auf dem Mond. Deshalb brauchen wir beides: Mars als Ziel, Mond als Testfeld.
Herr Aschbacher, werten Sie das Budget als ein Signal an Europa, dass die USA an weniger Zusammenarbeit interessiert sind?
Aschbacher: Zunächst muss man sagen: Der Budgetvorschlag ist ein erster Entwurf – er muss nun im Kongress verhandelt werden. Aber klar: Es ist ein Weckruf für Europa. Mehrere Mitgliedsländer sagten mir bereits: Wir müssen technologisch stärker und unabhängiger werden. Deshalb sehe ich darin auch eine Chance: Die strategische Bedeutung des Weltraums für die europäische Sicherheit und Verteidigung wird endlich anerkannt.
Was tut Europa nun dafür?
Aschbacher: Ein Beispiel ist ein geplantes europäisches Erdbeobachtungssystem mit hochauflösenden Satelliten, das Daten im 20- bis 30-Minuten-Takt liefern soll – mithilfe künstlicher Intelligenz und Rechenleistung direkt im Orbit. Die Technologie dafür ist vorhanden, nun braucht es den politischen Willen, um dies umzusetzen. Es geht aber nicht darum, dass sich Europa abkoppelt vom Rest der Welt, sondern ein starker, verlässlicher Partner ist – auch für die USA.
Zurbuchen: Ich glaube auch, dass Europa gestärkt aus dieser Situation hervorgehen wird. Und noch was: Ich weiss, dass Donald Trump mit seinem Budgetvorschlag im Kongress scheitern wird. Wieso ich das weiss? Noch nie in der Geschichte über mehrere Jahrzehnte sah das finale Budget aus wie sein erster Entwurf. Die Frage ist also, wie sehr das finale Budget vom Vorschlag abweicht.
In der Weltraumforschung führen die USA klar. Was kann Europa als Partner derzeit überhaupt bieten?
Zurbuchen: Wenn man sich die fünf besten Robotikfirmen der Welt anschaut, liegen zwei davon in Europa – eine in der Schweiz, eine in Deutschland. Europa kann bei Robotern, die andere Himmelskörper erforschen sollen, also ganz vorne mitspielen.
Gibt es andere Beispiele?
Zurbuchen: Das europäische Erdbeobachtungsprogramm Copernicus ist weltweit führend – da ist selbst die NASA neidisch. Amerika ist grossartig darin, schnell neue Satelliten zu starten. Aber um den langfristigen Wandel unseres Planeten zu verstehen, braucht es Stabilität und Kontinuität, was Europa verspricht. Beides zusammen ist der Schlüssel.
Roboter und Satelliten in Ehren. Doch Europa fehlt ein verlässlicher Zugang ins All. Die Ariane-6-Rakete wirkt veraltet, Menschen kann sie auch keine transportieren.
Aschbacher: Ich selbst habe im Juli 2023 von einer «Launcher-Krise» gesprochen. Doch mittlerweile sind wir sehr erfolgreich aus der Krise herausgekommen. Wir haben wieder funktionierende Systeme wie die Vega-C-Rakete und die Ariane 6. Aber es stimmt: Wir dürfen nun nicht einfach eine neue Ariane-Rakete nach dem alten Modell entwickeln. Es braucht einen Paradigmenwechsel in Europa.
Was schwebt Ihnen vor?
Aschbacher: Thomas (zeigt zu Zurbuchen) hat in den USA die Zusammenarbeit zwischen der staatlichen NASA und den privaten Unternehmen intensiviert. Daran orientieren wir uns. Mit der «European Launcher Challenge» suchen wir gerade die nächste Generation von Raketen. Zwölf Firmen haben Vorschläge eingereicht.
Sie suchen also das europäische SpaceX?
Aschbacher: Unser Ziel ist es, eine wettbewerbsfähige Rakete mit hoher Startfrequenz und robuster Technologie zu etablieren. Das wird dauern, aber wir sind auf dem richtigen Weg.
Und sollen diese Launcher auch Menschen ins All bringen?
Aschbacher: Das ist langfristig natürlich das Ziel. Dafür sind neue Entscheidungen notwendig.
Herr Zurbuchen, freut es Sie, dass die ESA Ihr Modell kopiert?
Zurbuchen: Ich finde es sehr klug, dass Europa diesen Weg geht. Bei staatlichen Missionen verhandelt man klassisch auf Regierungsebene – das ist oft schwerfällig. Bei privaten Anbietern geht es pragmatischer. Wenn ein Unternehmen eine Mondlandung anbieten kann, kann Europa sagen: Kommt doch nach Europa, baut das hier – wir kaufen das erste Exemplar. Diese Marktlogik öffnet neue Türen.
Braucht es in Zukunft überhaupt noch staatliche Raumfahrtagenturen?
Aschbacher: Unsere Rolle ist es, die Grundlagen zu legen, auf denen die kommerzielle Raumfahrt aufbauen kann. Das Ziel ist, in Europa eine selbstständige, florierende Raumfahrtwirtschaft aufzubauen. Wenn Technologien noch nicht existieren, helfen wir mit öffentlichen Geldern bei der Entwicklung. Der Markt wird dadurch reifer.
Zurbuchen: Das sehe ich genauso. Solche Missionen tun das Unmögliche – und genau daraus entsteht Technologie, die sonst nie entwickelt worden wäre.
Herr Zurbuchen, nächstes Jahr endet Ihr Engagement an der ETH. Wissen Sie schon, wie es weitergeht?
Zurbuchen: Wir haben in kurzer Zeit viel erreicht, worauf ich stolz bin. Das neue Masterprogramm in Weltraumwissenschaften und -technologie lief schneller an als erwartet, wir haben ein starkes Zentrum an der ETH aufgebaut, das eng mit der ESA und privaten Partnern arbeitet. Als Nächstes werde ich dorthingehen, wo ich den grössten Beitrag leisten kann – menschlich und für die Sache. Noch ist aber nichts entschieden.
Aschbacher: Es ist ein riesiger Gewinn für Europa, dass jemand wie Thomas hier ist. Wenn er bleibt, statt zurück in die USA zu gehen, ist das ein echtes Geschenk. Solche Persönlichkeiten mit diesem «Can do»-Geist brauchen wir.
Sie hätten also auch einen Job für ihn bei der ESA?
Aschbacher: Oh, ganz bestimmt.
(nib/aargauerzeitung.ch)
R&D darf als der Steuerzahler finanzieren, Gewinne wandern dann in private Taschen. Sorry, aber ich kann das neoliberale 90er-Jahre-Geschwätz von derlei Herren nicht mehr hören. Es ist schön, wenn Private sich beteiligen, dagegen habe ich nichts. Aber dann sollten sie bereit sein, die reellen Summen zu zahlen und das volle Risiko zu tragen.
Dort, wo Raumfahrt nationale (Sicherheits-)Interessen tangiert, müssen staatliche Akteure die Oberhand behalten.