Sie verlassen Ihr gekühltes Büro bei SRF, Ihren Job als «Tagesschau»-Moderator und wechseln in einen der gefährlichsten Orte der Welt, den Haushalt.
Franz Fischlin: (lacht) Ich habe mit allen Fragen gerechnet, aber damit nicht. Als so gefährlich erachte ich den Haushalt nun auch wieder nicht.
Weil Sie ihn nicht kennen? Laut Suva verunfallen die meisten Menschen nicht auf der Strasse, sondern bei Haushaltsarbeiten.
Ich kenne den Haushalt - sogar sehr gut. Ich putze, koche, bügle, kaufe ein, gehe mit den Kindern zum Arzt, bin bei Ballettvorführungen und Musikabenden dabei. Ich mache alles, das volle Programm.
«Jetzt muss ich mich etwas sammeln.» Der #Tagesschau-Moderator @FischlinFranz hat sich mit seiner letzten Moderation nach 21 Jahren von den Zuschauenden und vom #SRF verabschiedet. pic.twitter.com/agcpQtrvqQ
— SRF News (@srfnews) June 23, 2022
Sie sind Vater von fünf Kindern, mit Susanne Wille, Ihrer Ehefrau, haben Sie drei gemeinsame im Teenageralter. Zu welchen Prozentanteilen sind Sie Hausmann?
Es braucht für uns kein Abkommen, wir sind ein Team, wir packen beide an und funktionieren gut, schon seit vielen Jahren.
Darf ich nochmals insistieren? Nach einer Karriere im News-Journalismus und kurz vor Ihrem 60. Geburtstag entdecken Sie, dass Sie tief in Ihrem Herzen ein Familienmensch sind. Reichlich spät, nicht?
Ich bin seit je ein Familienmensch, da können Sie meine ältesten Töchter fragen. Ich habe immer wieder Teilzeit gearbeitet und mein Pensum in den letzten Jahren kontinuierlich reduziert. Das haben meine Frau und ich aufeinander abgestimmt. Ich denke, auch meine drei jüngeren Kinder aus zweiter Ehe würden bestätigen, dass sie mich als präsenten Vater erleben.
Erklären Sie einer Kinderlosen, was denn das Grossartige an einer Familie ist?
In dem Job, den ich hatte, ist das Schöne, geerdet zu werden, jeden Abend, wenn ich gearbeitet habe. Es spielt keine Rolle, was ich tagsüber gemacht und jobmässig erlebt habe, wir spielen, wir diskutieren und es können auch mal die Fetzen fliegen. Es wird einem nie langweilig und es ist eine riesige Bereicherung. Wenn ich nicht arbeite und den Kindern am Morgen helfe, sich bereitzumachen für den Tag, und sie dann in die Schule gehen, vermisse ich sie, kaum haben sie das Zuhause verlassen.
Das ist eine Liebeserklärung an Ihre Kinder. Was sind Ihre schönsten und vielleicht schwierigsten Erinnerungen an Ihre eigene Kindheit?
Meine Familie besass am Neuenburgersee ein ganz kleines Ferienhaus, auf Stelzen, mitten im Schilf. Manchmal fuhren wir zum Picknick mit unserem Ruderboot auf den See, assen draussen Kartoffelsalat und Wienerli. Diese Stimmung, der Nebel über dem Wasser, das sind schon sehr prägende und schöne Erinnerungen.
Eine Kindheit kann auch schwer sein?...
Ich war für meine Eltern in der Pubertät ein eher schwieriger Zeitgenosse, ich zog mich gerne zurück, las Bücher und hörte Musik. Ich war offenbar noch nicht bereit für die Welt.
Sie waren ein Träumer? Müssen Sie wohl gewesen sein, wenn Sie als Kind der Nebel über dem See nachhaltig beeindruckte.
Ein Träumer? Durchaus möglich. Ich lebte manchmal in meiner eigenen Welt.
Schluss mit Privatem, Homestorys verachten Sie bekanntlich. Nicht nur die Familie sei Grund Ihres Rücktritts, erklärten Sie in der offiziellen Version, sondern auch neue Projekte. Was heisst das?
Ich habe, seit ich bekannt gab, dass ich aufhöre, viele spannende und auch sehr reizvolle Angebote erhalten, was mich sehr freut. Das meiste habe ich abgelehnt, da ich künftig zeitlich unabhängiger arbeiten möchte als bisher. Möglichst auf Projektbasis. Eines meiner Herzensprojekte ist eine Plattform für Medienkompetenz für Jugendliche. Gemeinsam mit einem Partner möchte ich «You-News», die «Schweizer Jugendmedienwoche», die ich vor fünf Jahren mitinitiiert habe, ausbauen und professionalisieren.
Geplant sind auch noch zusätzliche Aktivitäten und Angebote in diesem Bereich. Grundsätzlich möchte ich den Jugendlichen mehr Aufmerksamkeit und Engagement schenken und so auch Wertschätzung entgegenbringen in dem, was sie machen. Medienkompetenz ist zentral für eine funktionierende Gesellschaft.
Ihre ausführliche Antwort zeigt den Begeisterten. Was können Jugendliche im Umgang mit Medien besser als wir?
Wir Erwachsene urteilen schnell in Qualitätskriterien. «Das ist seriös, das ist relevant, das ist substanziell.» Unterhaltung beispielsweise gilt schnell mal als seicht und oberflächlich. Für Jugendliche war das Medienangebot noch nie so gross, und ich meine, sie haben aufgrund dessen einen Instinkt entwickelt, um festzustellen, was funktioniert und was nicht.
Als wir mit «You-News» starteten, war es so, dass wir professionelle Journalistinnen und Journalisten den Jugendlichen erklärten, wie wir Medien machen. Inzwischen sind viele von ihnen auch handwerklich so fit und innovativ unterwegs, dass es ein Austausch auf Augenhöhe ist und sie uns sehr viele Sachen erklären. Das ist Inspiration pur.
Nun sind Sie aber der Mann, der für den Qualitätsjournalismus die Lanze brach?...
Das tue ich immer noch. Ich sage nur, dass wir in der Vergangenheit mit Blick auf Jugend und Medien vielleicht einen zu didaktischen und elitären Ansatz verfolgt haben. Wir waren sehr schnell im Urteil und meinten zu wissen, was gut ist und was nicht. Doch wir haben den Austausch mit den Jugendlichen zu wenig gesucht. Mein Ansatz liegt einerseits in der Wertschätzung dessen, was sie machen, andererseits auch in der Anerkennung ihrer Meinung über Medien. Und da können wir viel dazulernen.
Implizit ist das eine Kritik an Ihrem Arbeitgeber, SRF.
Nein, im Gegenteil. SRF macht genau das. Und zwar sehr gut. Ich bin überzeugt, SRF ist mit der Transformation auf dem richtigen Weg. Man ist vermehrt auch dort, wo junge Menschen sind, wo sie Medien konsumieren. Ich selber habe etwa in der Startphase des SRF-News-Kanals auf Tiktok mitgeholfen. Ich finde auch, es ist grundsätzlich möglich, zu mischen: humorvolle Inhalte, die relevant sind. Oder das neue Reportage-Format «Rec.» beispielsweise, das auf Youtube läuft, spricht ausserordentlich viele Jugendliche an, weil es mit Protagonistinnen und Protagonisten und Geschichten funktioniert, die mitten aus dem Leben der Jugendlichen sind.
Wie frei ist man eigentlich, SRF künftig zu kritisieren, wenn die eigene Frau die stellvertretende Direktorin und Leiterin der Abteilung Kultur ist?
Da bin ich absolut frei, kritisches Hinterfragen entspricht auch ihrem Wunsch.
Dem Wunsch von Susanne Wille?
Ja, und dem von SRF. Mir wurde signalisiert, dass ich künftig mit meiner Stimme von aussen SRF durchaus kritisieren solle und könne. Beispielsweise als neuer Co-Präsident des Vereins Qualität im Journalismus. Mit dem Verein wollen wir noch häufiger kritische und auch selbstkritische Debatten anstossen im Journalismus. Wichtig ist mir, und das betrifft nicht nur SRF, dass die Kritik konstruktiv ist.
Wer wiederum half Ihnen konstruktiv, als Moderator derart locker und entspannt zu wirken? Sie sind ein guter Tänzer, stimmt's?
(Lacht) Ich habe nie einen Tanzkurs besucht, aber ich bewege mich gerne, auch zur Musik.
Sie bewegen sich zur Musik, ohne zu tanzen?
Genau, das heisst, ich bin eher Solotänzer. Es ist schwierig, mir Schritte beizubringen, da bin ich nicht so talentiert. Das Freestylemässige gefällt mir besser, zum Amüsement meiner Familie übrigens, denn ich gebe immer wieder mal spontan Tanzeinlagen, wenn bestimmte Musik läuft.
Wie wird man eine Persönlichkeit, die keine Feinde hat und von den verschiedensten Menschen geliebt wird? Wie wird man Roger Federer vom Leutschenbach?
(Lacht) Liebe ist vielleicht ein etwas gar grosses Wort. Aber Wertschätzung habe ich schon immer wieder erfahren, wenn ich auf der Strasse oder in der Bäckerei «Tagesschau»-Zuschauerinnen und Zuschauern begegnet bin. Oft ging es dabei auch um Inhaltliches, um die Sendung. Dieser Austausch mit dem Publikum war wichtig und machte Spass. Und auch in jüngster Zeit, seit mein Rücktritt bekannt ist, gab es Menschen, die auf mich zukamen und ihr Bedauern ausdrückten, dass ich gehen würde, und sich bedankten. Das machte wiederum mich ausserordentlich dankbar, es ist wie ein Abschiedsgeschenk.
Wo werden Sie in Zukunft Ihr Quantum an Öffentlichkeit finden?
Eigentlich freue ich mich darauf, für die Öffentlichkeit etwas unsichtbarer zu werden. Der Abschied von der Kamera kann auch etwas Befreiendes haben. Und jeder, jede ist ersetzbar. Aber natürlich, ich gebe einen Traumjob auf. Das wird mir nach der letzten Sendung, am Freitagmorgen beim Aufwachen, sicher bewusst sein.
Zum Schluss die Frage: Sie haben 30 Jahre lang Kriege und Verheerungen moderiert. Was macht Sie glauben, dass die Welt gut sei? Als Vater müssen Sie das.
(Langes Schweigen) Wenn ich zurückschaue, hat mich das Negative nicht negativer gemacht. Das macht mir die Hoffnung, dass wir Menschen eine gewisse Resilienz haben. Und ich bin überzeugt, dass wir eben doch lernen aus der Geschichte. Die Reaktionen auf den Krieg in der Ukraine, die Solidarität mit den Kriegsvertriebenen sind für mich ein Beweis dafür: Sehr viele Menschen akzeptieren das Unrecht nicht, sie sagen Nein.