Schweiz
Interview

Thomas Aeschi fordert, dass der Bundesrat EU-Verhandlungen abbricht

Thomas Aeschi, SVP-ZG, stellt in der Fragestunde eine Frage, waehrend der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete, am Montag, 4. Maerz 2024, im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
«Dieser Mix wird das Abkommen abstürzen lassen», sagt Thomas Aeschi, Präsident der Wirtschaftskommission (WAK) und SVP-Fraktionschef.Bild: keystone
Interview

Thomas Aeschi fordert: Der Bundesrat soll die Verhandlungen mit der EU abbrechen

Am Freitag entscheidet der Bundesrat über das Verhandlungsmandat für ein EU-Abkommen. Er schicke damit seinen Chefunterhändler auf «Mission Impossible», sagt Thomas Aeschi (SVP), Präsident der Wirtschaftskommission.
06.03.2024, 12:0506.03.2024, 12:05
Othmar von Matt / ch media
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Die Wirtschaftskommission (WAK) stimmte vor zwei Wochen grundsätzlich dem Verhandlungsmandat des Bundesrats über ein Abkommen mit der EU zu – mit 16:8 Stimmen und einer Enthaltung. Die acht Stimmen dürften von der SVP stammen. Die WAK sagte aber überraschend eine geplante Medienkonferenz ab.

Weshalb fand die Medienkonferenz nicht statt?
Thomas Aeschi:
Eine Mehrheit der Wirtschaftskommission entschied, auf eine Medienkonferenz zu verzichten und die doch sehr kritischen Stellungnahmen nur per Medienmitteilung zu verbreiten. Vermutlich wollte man dem Thema öffentlich nicht zu viel Aufmerksamkeit geben – weil es politisch brisant ist.​

Hat man Ihnen in der Kommission nicht vertraut, dass Sie neutral kommunizieren?
An einer solchen Medienkonferenz nehmen immer je ein Vertreter der Mehrheit und der Minderheit teil. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Befürchtungen gab, es werde nicht neutral kommuniziert.​

Dürfen Sie als WAK-Präsident ein Interview geben zur Situation um das Verhandlungsmandat?
Selbstverständlich ist das erlaubt. Die Skepsis in der Wirtschaftskommission war sehr gross – wie übrigens auch in anderen Kommissionen. Das Ja zum Verhandlungsmandat kam vermutlich zustande, weil die Kommissionsmitglieder dem Bundesrat eine Chance geben wollen, ein besseres Abkommen auszuhandeln. Wer die EU-Kommission kennt, weiss allerdings, dass von der EU kein Entgegenkommen zu erwarten ist.​

Welches sind die heiklen Punkte des Mandats?
Von den Experten her werden vor allem vier Bereiche kritisiert: die dynamische Rechtsübernahme und die Rolle des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das Landverkehrs- und das Stromabkommen und die Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie.​

Was wird an der dynamischen Rechtsübernahme und an der Rolle des EuGH kritisiert?
Kritisch äussert sich vor allem der ehemalige Staatssekretär Michael Ambühl. Er hat die Bilateralen II verhandelt. Auch Carl Baudenbacher, ehemaliger Präsident des EFTA-Gerichtshofs, moniert, der Vertragsentwurf sei im Vergleich zum institutionellen Rahmenabkommen neuer Wein in alten Schläuchen. Und Historiker Oliver Zimmer sagt, das Volk habe seine Macht dem Parlament nur geliehen. Deshalb dürfe dieses seine Macht nicht an die Organe der EU abtreten.​

Thomas Aeschi, SVP-ZG, schaut auf sein Handy waehrend der Fruehlingssession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 5. Maerz 2024 im Nationalrat in Bern. (KEYSTONE/Anthony Anex)
Das Parlament habe seine Macht vom Volk geliehen und dürfe sie nicht an die Organe der EU abtreten: Thomas Aeschi erklärt, wie Historiker Oliver Zimmer argumentiert.Bild: keystone

Ambühl, Baudenbacher und Zimmer sind bekannte Kritiker. In der Kommission sprachen auch Experten für das Abkommen. Was sagten sie?
Professorin Astrid Epiney unterstützt die Anbindung der Schweiz an die EU.​

Wo gibt es Vorbehalte gegenüber dem Landverkehrsabkommen?
Die EU will die Marktöffnung des Schweizer Schienenverkehrs für EU-Anbieter erzwingen. Die SBB müssten also ihre Schienentrassees teilweise an ausländische Konkurrenten abtreten. Damit wäre der Schweizer Taktfahrplan akut gefährdet, weil das Schienennetz noch stärker ausgelastet würde und die chronisch verspäteten ausländischen Züge die pünktlichen inländischen Züge ausbremsen würden. Zu diesem Abkommen gibt es sehr grosse Vorbehalte von den SBB und vom Verband für öffentlichen Verkehr.​

Weshalb stösst das Stromabkommen auf Widerstand?
Die EU will den Strommarkt liberalisieren. Das stellt alles infrage. Die geschützte Grundversorgung der Schweizer Kunden, die kantonalen und kommunalen Elektrizitätswerke und die Bergkantone haben realisiert, dass sie mit einem Stromabkommen in ihren energiepolitischen Bestrebungen durch die EU stark beschnitten würden. Auch hat die EU der Schweiz keine Zusicherung abgegeben, dass die Wasserzinsen nicht gegen das EU-Beihilferecht verstossen würden.​

Vierter Kritikpunkt ist die Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie.
Insbesondere die SVP kritisiert, dass damit die Regeln für die Zuwanderung in die Schweiz und den Zugang zu unseren Sozialwerken noch weiter gelockert würden. Zwar hat der Bundesrat kleinere Ausnahmen ausgehandelt, wie beispielsweise die Zusicherung der EU, dass gewisse kriminelle EU-Staatsbürger weiterhin die Schweiz verlassen müssen. Würde aber die Schweiz die Zuwanderung beschränken wollen, so dürfte die EU gemäss Verhandlungsmandat die Schweiz sanktionieren. Die SVP kritisiert dies scharf.​

Ist der Widerstand gewachsen?
Es war die Strategie von Bundesrat und Parteien, vor den Wahlen 2023 nicht über das Verhandlungsmandat zu sprechen. Auch jetzt will man das Thema unter dem Deckel halten. Diese Strategie geht aber nicht auf. Die Kritik kommt von unterschiedlichen Seiten: von den Gewerkschaften, von den Bauern, von Vertretern des öffentlichen Verkehrs, von der gesamten SVP, von Teilen der Mitte-, SP- und sogar der FDP-Basis. Selbst in der Wirtschaft gibt es Widerstand. Dieser Mix wird das Abkommen abstürzen lassen.​

Nationalrat Thomas Aeschi (ZG), Fraktionspraesident SVP, spricht an einem Point de Presse der SVP kurz nach einer Medienkonferenz im Rahmen der Konsultation der APK-N zum Entwurf des Mandats fuer die  ...
«Man will das Thema unter dem Deckel halten. Diese Strategie geht aber nicht auf», sagt Thomas Aeschi.Bild: keystone

Der Bauer Marcel Dettling, designierter SVP-Präsident, kündigt frontalen Widerstand an.
Die Schweizer Bauern würden unter umfangreichen Deklarationspflichten im Lebensmittelbereich und Einschränkungen – etwa bei Zucker- und Fettkonsum – leiden. Zudem müsste die Schweiz die europäischen Umweltziele übernehmen. Sie beinhalten eine CO₂-Reduktion um 90 Prozent bis 2040. Das bedingt Milliardeninvestitionen und verteuert die Produktion der Bauern massiv. Zudem lässt das Mandat offen, ob die Schweizer Landwirtschaftspolitik unter das EU-Beihilferecht fällt oder nicht. Hier wird die EU die Schweiz weiter unter Druck setzen.​

Inwiefern?
Schon am Tag nach einer Unterzeichnung des Abkommens wird die EU mit neuen Forderungen an die Schweiz herantreten. Sie will auch dann die Schweiz noch enger an sich binden. Deshalb ist dieses Abkommen kein Befreiungsschlag für ein stabiles Verhältnis mit der EU.​

Welche weitergehenden Forderungen würde die EU stellen?
Etwa beim Freihandelsabkommen von 1972. Die EU möchte das über 50 Jahre alte Freihandelsabkommen «modernisieren» und auch die Schweizer Landwirtschaft EU-Recht unterstellen. Gerade die Bauern tun gut daran, sich nicht von der Argumentation von Economiesuisse blenden zu lassen.​

Gegen das Abkommen sind auch die Gewerkschaften.
Ihr Widerstand ist ungebrochen. Sie sind nicht zufrieden mit dem Lohnschutz. Die Gewerkschaften haben aber vor allem realisiert, was der institutionelle Ansatz für die Schweiz bedeutet: Die EU entscheidet und die Schweiz muss in zentralen Bereichen EU-Recht übernehmen – etwa beim Lohnschutz.​

Nur: Die Schweiz droht schleichend Wohlstand zu verlieren, klärt sie das Verhältnis mit der EU nicht endlich.
Das Gegenteil ist der Fall: Eine noch engere Anbindung an die EU bedeutet, dass auch unsere Bevölkerung ärmer wird und sich dem tieferen EU-Wohlstandsniveau angleicht. Die EU-Staaten sind hoch verschuldet, Deutschland steckt in der Krise. Die Bevölkerung wird das Abkommen in einer Abstimmung mit Sicherheit ablehnen. Dann stünde die Schweiz vor einem Scherbenhaufen. Deshalb muss der Bundesrat jetzt den Mut haben, der EU mitzuteilen, dass das Abkommen für die Schweiz der falsche Weg ist. Es basiert noch auf den «Schlussfolgerungen der EU zu den Beziehungen zur Schweiz» aus dem Jahr 2008. Die Schweiz will auch noch in hundert Jahren eine eigenständige Nation mit eigenständiger Gesetzgebung sein. Machen wir einen Schritt zurück und verlangen von der EU ein Verhandlungsmandat, das diese Prämissen respektiert.​

Das ist Wunschdenken.
Die EU ist sehr wohl bereit, Kooperationsabkommen mit souveränen Staaten abzuschliessen, etwa bei Bildung und Forschung. Das zeigen Abkommen mit Grossbritannien, Israel, Kanada und weiteren Staaten. Die Schweiz übernimmt mit dem aktuellen Abkommen den Entwurf der Assoziierungsabkommen. Die EU hat ähnliche Abkommen der Ukraine, Moldawien, Georgien und anderen Staaten am Rande Europas angeboten. Die Schweiz ist aber nicht die Ukraine. Wir sind die Nummer 20 aller Volkswirtschaften der Welt, haben sehr gute Handelsbeziehungen mit den USA und mit vielen asiatischen Ländern. Der Preis einer noch engeren Integration ist für uns schlicht zu hoch.​

Der bisherige Zuger SVP Nationalrat Thomas Aeschi posiert dem Fotografen, anlaesslich eines Parteitages der SVP Zug vom Samstag, 9. September 2023 im Stierenmarktsareal in Zug. (KEYSTONE/Urs Flueeler)
«Die Schweiz ist aber nicht die Ukraine. Wir sind die Nummer 20 aller Volkswirtschaften der Welt», sagt Thomas Aeschi.Bild: KEYSTONE

Hinter den Kulissen gibt es prominente politische Stimmen, die sagen: Der Bundesrat soll das Abkommen verhandeln – und das Nein dem Volk überlassen.
Ich werfe dem Bundesrat eine fast präzedenzlose Führungsschwäche vor. Dieses Mandat ist derart schädlich für unser Land, dass er es zurücknehmen müsste. Wir haben noch nicht einmal über die Milliarden an Kohäsionszahlungen gesprochen, die jährlich auf uns zukämen. Damit bezahlen wir den Marktzugang zur EU, obwohl auch die EU Zugang zum attraktiven Schweizer Markt erhält. Der Bundesrat darf die Verantwortung nicht auf das Volk abschieben. Das wäre feige.​

Nach dem Nein zum Rahmenabkommen wäre aber ein weiteres Nein des Bundesrats ein veritabler Affront der EU gegenüber.
Der Bundesrat muss der EU jetzt endlich die roten Linien klarmachen: Die Schweizer Bevölkerung wird sich nicht unterordnen, weder unter das EU-Recht noch den Europäischen Gerichtshof. Das wäre sonst das Ende unserer Selbstbestimmung und das Ende unserer direkten Demokratie. Das hat sich nicht verändert und das zeigen auch die Reaktionen auf das neue Verhandlungsmandat. Der Bundesrat schickt seinen neuen Chefunterhändler Patric Franzen auf eine «Mission Impossible». Diese Verhandlungen können gar nicht zu einem positiven Ergebnis führen.​

Sie prophezeien einen Scherbenhaufen?
Wir steuern auf einen Scherbenhaufen zu. Die Parteien werden sich nach einem Scheitern hinter dem Bundesrat verstecken. Doch dieser wird die Verantwortung auch nicht tragen, denn vier der sieben Bundesratsmitglieder dürften nach Ende 2027 nicht mehr im Amt sein: Ignazio Cassis, Guy Parmelin, Viola Amherd und Elisabeth Baume-Schneider. Ich hoffe, dass der Bundesrat den Mut hat, der EU klaren Wein einzuschenken und er das Verhandlungsmandat zurückweist.​

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225 Kommentare
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Massalia
06.03.2024 12:13registriert Juni 2021
Wahlkampf, Wahlkampf, Wahlkampf. Etwas anderes kann dieser Klotz am Bein der Schweiz nicht.
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Heimscheisser
06.03.2024 12:13registriert April 2021
Ja, 'Mission Impossible' dank seiner Partei und deren Gebaren. Dies nun als Begründung anzuführen, weshalb das Ganze aussichtslos sei, ist an Dreistigkeit ja kaum zu überbieten.
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Okay, Boomer
06.03.2024 12:22registriert Juli 2022
Immer zu allem Nein sagen und dann von Mission Impossible reden. Genau mein Humor.
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