Willy Schaffner ist ein Hüne von einem Mann. Man kann ihn sich gut vorstellen an der Spitze eines Polizeitrupps, das Megafon in der Hand Order bellend, immer Herr der Lage, immer die Ruhe selbst.
Im Gespräch mit Journalisten aber wird aus dem vierschrötigen Vorzeigepolizisten ein Häufchen Elend. Gern macht er das nicht, der Willy Schaffner, jetzt 66 Jahre alt, seit einem Jahr pensioniert, zuvor 40 Jahre lang Polizist bei der Stapo. Zuerst bei der Streife, dann beim Geheimdienst, dem legendären Kriminalkommissariat III und dann als Spitzel bei der Bewegung, den Zürcher Jugendlichen, die die 80er-Jahre zur Hölle machten für alle jene, die Freiheit als 9-to-5-Bürojob verstanden und beim Anblick von Männern mit langen Haaren schon einmal «Moskau einfach!» schrien.
Als Willi Schaller begleitete Schaffner die Leute in der Bewegung auf Schritt und Tritt, verschaffte sich Zugang zu den Vollversammlungen und den Strategiesitzungen, marschierte mit bei den Demonstrationen und schrie Parolen gegen den Staat, der ihm den Sold zahlte. Er merkte sich die Namen der Bewegten – Fischer, Strehle, Frei, Scherr, «400 bis 500 insgesamt» –, sammelte Transparente ein, die zu gewaltsamem Protest aufriefen, kiffte, wenn die anderen kifften, war immer dabei und hielt sich doch im Hintergrund.
Nur einmal, da wollte er vielleicht ein wenig Action, da hatte er genug vom Beobachten und Archivieren, vom zermürbenden Fichieren, von den Grundsatzdiskussionen und den Grabenkämpfen zwischen den Gemässigten und denjenigen, die nicht nur metaphorisch aus dem Staat Gurkensalat machen wollten:
Ob sich Schaffner damals tatsächlich als Agent Provocateur betätigte, ist bis heute unklar. Schaffner selber sagt, es könne sein, dass er sich so geäussert habe.
1985 stieg Schaffner aus, er hatte genug von der Agententätigkeit, wollte wieder ein normales Leben führen, mit geregelten Arbeitszeiten und ohne die ständige Angst, eines Tages aufzufliegen. Er wandere aus, verkündete er seinen Kollegen in der «Bewegig». Dann ging er für längere Zeit ins Ausland. Ein Jahr später enttarnte ihn die WoZ in einem Artikel: «Staatsschutz offerierte Sprengstoff für Anschlag auf die BBC» (heute: ABB). Der Skandal war perfekt.
Anfang der 90er-Jahre wurde aus den Rissen im Beton des Überwachungsstaats ein Dammbruch: Parlamentarische Untersuchungskommissionen in den Kantonen und beim Bund deckten auf, dass der Staat rund 900'000 Personen mit subversiver Gesinnung überwachen liess, dass eine Geheimarmee bereit stand, falls die rote Gefahr die Landesgrenzen erreichen sollte. Die Linke und die Zivilgesellschaft tobten, Bundesanwaltschaft, Bundespolizei und kantonale Korps wurden reorganisiert, hohe Tiere nahmen ihren Hut. Und mittendrin Willy Schaffner.
Nach seiner Aufdeckung arbeitet Schaffner weiter bei der Polizei. Er wandelte sich vom V-Mann zum anerkannten und weitherum geschätzten Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung, war als Brandtouroffizier bei allen grösseren Demos der letzten Jahre dabei. Schaffner galt auch bei der Gegenseite als einer, mit dem man reden konnte. Trotz seiner belasteten Vergangenheit.
Die riesigen Pranken des pensionierten Polizisten wandern unruhig umher, der Blick schweift hilfesuchend nach draussen, in den heckengeschützten Vorgarten eines zweigeschossigen Betonbaus am Nordhang des Zürcher Adlisbergs. Schaffner will das alles eigentlich hinter sich lassen, aber jetzt sitzt er trotzdem hier und beantwortet die Fragen mit der wachsamen Trägheit eines verletzten Tiers.
Schaffner weicht aus, wenn die Fragen kritisch sind, erzählt von Belanglosigkeiten und windet sich, wenn Themen gestreift werden, die die Arbeit der Polizei als Ganzes in ein schlechtes Licht rücken könnten. Seine Sätze tönen manchmal vorgestanzt, als hätte er sie sich in langen Nächten immer wieder selber aufgesagt. Ja nichts Falsches sagen, ja niemanden vor den Kopf stossen. Und wenn er dann doch einmal ins Reden kommt, dann lässt er seine Sätze mit einem «so ist das» vorzeitig absterben.
Herr Schaffner, wieso haben Sie, der Urner Bub, der «Wildfang» aus Amsteg, damals zugesagt, in Zürich die «Bewegig» zu infiltrieren?
Willy Schaffner: Ich war bereits vier Jahre bei
der Stadtpolizei, zuerst auf der Streife, dann im
Kriminalkommissariat III, dem legendären KK III, als im April 80 die
Jugendunruhen ausbrachen. Dann hat man uns gefragt, wer möchte in
diese Szene, «mal go luege was so lauft»? Es herrschte
Informationsmangel, deshalb schaffte man dieses Instrument des «Insiders». Dann bin ich halt gegangen.
Ganz so einfach stelle ich mir das
nicht vor. Immerhin war Ihnen bewusst, dass Sie eine andere Identität
annehmen müssen, in eine andere Welt eintauchen, Ihr altes Leben
hinter sich lassen. War es Abenteuerlust? Pflichtbewusstsein?
Ich
würde es nicht ganz ausschliessen, dass eine gewisse Abenteuerlust
mitspielte, aber als Motiv war das sekundär. Wir hatten zu dieser
Zeit wöchentlich Ausschreitungen, grosse Sachschäden, Verletzte, sogar Tote, auf beiden Seiten. Die
Polizei, die Politik, ich selber, wir waren alle überrumpelt. Für
uns war klar: Wir brauchen mehr Informationen, wenn wir diesem
Phänomen begegnen wollten. Deshalb die Idee des Insiders.
Sie
haben es als Undercover-Polizist geschafft, in die Bewegung
einzutauchen, waren an Vollversammlungen, Demonstrationen und nahmen
sogar an Sitzungen des legendären Café Boy teil. Trotzdem: An die
Rädelsführer, in den Kopf der Bewegung sozusagen, sind Sie nicht
vorgedrungen.
Das ist so.
Dazu muss man sagen: Ich konnte und wollte das auch nicht. Meine
Legende, mein Alias, ist nicht allzu sehr in die Tiefe gegangen.
Wenn ich mich tatsächlich so weit vorgewagt hätte, dann wäre
womöglich meine Tarnung wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Bis zu einem
gewissen Punkt ist man gekommen, aber bis in die Führungsetage der
Bewegung – das war nicht möglich.
Wenn Sie in den Spiegel geguckt haben: Schaute Ihnen da je einmal das «Bewegigs»-Mitglied Willi Schaller und nicht der Urner Polizist Willy Schaffner entgegen?
Ich war beide Personen gleichzeitig. Vor Identitätsprobleme oder so hat mich das aber nicht gestellt. Die meisten Leute nannten mich ohnehin nur beim Vornamen. Das war wichtig, daran konnte ich mich festhalten.
Wie muss man sich die Arbeit als Spitzel vorstellen?
Da ist sicher
keine Hollywood-Agentenfilm-Romantik. Ich bin manchmal tagelang nur rumgehangen, habe mich in den einschlägigen Lokalen und
Wirtschaften rumgetrieben, gejasst und gegambelt, einschlägiges
Material eingesammelt, und gewartet, bis sich die Bewegten am Abend
im AJZ, in der Roten oder im Armadillo trafen. Es war wichtig, dass
die Leute merken: He, den gibt's ja wirklich, der treibt sich hier
herum, der ist Teil der «Bewegig».
Wenn Sie heute die alten
Wirkungsstätten passieren, das Café Boy, Armadillo, die Rote
Fabrik. Was geht Ihnen da durch den Kopf?
Ich
sage mir immer, man kann das Rad nicht zurückdrehen. Ich bin jetzt
66, was passiert ist, ist passiert, das ist Geschichte, ich denke
nicht ständig daran. Aber ja, wenn ich an der Roten Fabrik
vorbeilaufe, dann geht eine Art Film ab: «Hier hat's geklöpft, da
hat's Lämpe gäh», Entschuldigung, Ausschreitungen. Es kommt hoch,
aber ich leide heute nicht mehr darunter.
Sie haben sich während fünf Jahren in den Vertrauensbereich von anderen Menschen geschlichen, haben mit
ihnen Bier getrunken, diskutiert, vorgeblich gegen einen gemeinsamen
Feind gekämpft. Haben Sie sich nie als Verräter gesehen?
Ich hatte damit zu kämpfen, das schon. Diese Leute haben mir ja nichts zuleide getan. Viele waren enttäuscht, konnten es kaum fassen: «Der Willi,
der Willi isches gsi!» Diese Enttäuschung kann ich nachvollziehen und verstehen.
Bei den Autonomen und den
Linksradikalen der jüngeren Generation ist Ihr Name aber auch heute
noch ein rotes Tuch. «Spitzelschwein» steht dann zum Beispiel auf
Transparenten geschrieben.
Ja,
das ist so. Ganz erklären kann ich mir das auch nicht, die Autonomen
der heutigen Generation erlebten mich ja nie als Insider, sondern als
Szenepolizist und die alten Mitglieder der «Bewegig» haben sich
grösstenteils zu respektablen Mitgliedern der bürgerlichen
Gesellschaft entwickelt, der eine oder andere mit einem linksalternativen
Einschlag.
«Einmal Bullenschwein, immer
Bullenschwein.»
Sicher, und
auch die Rolle des Spitzels, das bringe ich nie ganz weg. Ich habe
das akzeptiert. Und mit dem Buch, mit meiner Geschichte lasse ich ja
auch d'Hose abe, erzähle, wie es war.
Sie wollten Willi Schaller sterben
lassen ...
Ja, aber ganz begraben werde ich ihn nie können. In Zürich wird
der Name politisch immer ein «Ding» sein. Ich selber habe das
aber ad acta gelegt. Diese fünf Jahre undercover, das war eindeutig zu lange. Punkt.
Nach mehr als fünf Jahren
Undercover-Tätigkeit hatten Sie die Nase voll ...
Ende 84, Anfang 85 habe ich meinen Vorgesetzten gesagt, «jetzt längts, längts, längts. Jetzt isch fertig». Es macht dich auch fertig, Für meine Vorgesetzten ging damit natürlich ein gutes Stück Knowhow verloren, mit Willi Schaller hatten sie immerhin eine Person in der «Bewegig», die tief drin war. Aber es gab ja noch andere Insider, einige wurden enttarnt, andere sind heute noch unenttarnt.
Dann sind Sie ausgestiegen,
untenttarnt.
Ja, ich hab meinen Abschied eingefädelt, bin in die Ferien gegangen und dachte, damit sei dieses
Kapitel abgeschlossen. Dass die WoZ ein Jahr später die Bombe
platzen lassen würde, damit habe ich natürlich nicht gerechnet.
Verantwortlich dafür war Jürg Frischknecht, der auch schon
die Subversivenjäger um Ernst Cincera auffliegen lassen hat.
Ja,
das hat damals einen riesigen Wirbel verursacht. Das las sich dann
wie ein Krimi. Das ist für mich heute noch schwierig.
Sie sind nur aufgeflogen, weil Ihr «Zwilling», V-Mann Walter Max Truniger, alias Marco, zuvor schon enttarnt worden
war.
Ja,
wir verbrachten viel Zeit miteinander, waren zusammen unterwegs,
«Marco» und ich. Das Leben als Spitzel ist einsam, da bist du froh,
wenn du jemanden hast, mit dem du dich austauschen kannst. Das wurde
mir zum Verhängnis. Man hat uns zusammen gesehen, und die Leute aus
der Bewegung und von der WoZ haben eins und eins zusammengezählt.
Haben Sie Freundschaften geschlossen in der «Bewegig»?Kaum. Ich habe versucht, so gut es ging, Distanz zu wahren. Nicht zuletzt, weil die Legende Willi Schaller schlicht zu schwach war.
Hatten Sie je Angst um Ihr
Leben?
Ich will es nicht
verharmlosen, aber ich bin vom Naturell her nicht ängstlich. Es
braucht viel, damit es mir wirklich unwohl wird. Aber klar,
unangenehme Momente gab es. Ich habe einfach versucht, vorsichtig zu
sein, mir immer überlegt, was ich preisgeben kann, was nicht. Es war
eine Gratwanderung.
Es gab aber brenzlige Situationen ...
Ja, ganz am Anfang
meiner Spitzelzeit, da war ich an einer Demo und plötzlich umringten
mich die Bewegten und Jugendlichen. Das war normal, wenn man anders
ausgesehen hat, dann war man da schon verdächtig. Ich trug damals noch keinen Bart, neue Turnschuhe und sah nicht so verlaust aus. Das reichte,
um «ausgesackt» zu werden. Da begann ich dann auch, an meinem
Aussehen zu arbeiten, besorgte mir Telefonanschluss, Auto und einen Ausweis auf den Namen Schaller.
Und haben so das Gesetz mehr als geritzt ...
Im Nachhinein
gesehen war das schon eine Gratwanderung, klar. Aber für uns war das
psychologisch wichtig. Du fühlst dich viel sicherer. Wenn du
ausgesackt wirst, und du hast einen vertrauenswürdigen Ausweis, dann kann dir fast
nichts passieren.
Bei der zweiten heissen
Situation hat Sie nur Ihre Geistesgegenwart gerettet ...
Ja,
da ging ich blitzschnell in die Offensive und konnte alles ausbügeln.
Überhaupt ging ich immer in die Offensive, wenn es heikel wurde. Und
es konnte oft heikel werden. Ich brauchte nur jemanden aus meinem
richtigen Leben zu treffen und schon sass ich in der Tinte.
Ist Ihnen jemals der Gedanke
gekommen: «Halt, vielleicht haben die Bewegten gar nicht so Unrecht,
vielleicht lohnt es sich, für diese Sache zu kämpfen. Vielleicht
sollte ich die Seiten wechseln?»
Ich
konnte den Frust der Bewegten nachvollziehen. Aber ich war damals
halt auf der Seite der Polizei. Ich wollte
einen Beitrag leisten für Ruhe und Ordnung in der Stadt Zürich.
Was macht einen guten Spitzel aus?
Kein Spitzel, das ist ein guter Spitzel. Man
kommt heute auch auf andere Arten an die Informationen heran.
Trotzdem: Wie sieht das
Stellenprofil des Spitzels aus?
Ich kann nur sagen, wie es damals aussah: Er sollte ledig sein, zwischen 20 und
30 Jahre alt, keine feste Bindung haben, vertrauenswürdig und teamfähig sein, den Mut
haben, aussergewöhnliche Sachen zu machen, belastbar, offen für
andere Kulturen, nicht überheblich sein, immer am Boden
bleiben. Und vor allem: nie Geschichten erfinden.
Was denken Sie heute über die Methode der verdeckten Fahndung?
Ich halte sie in gewissen Bereichen für sinnvoll, bei der Drogenfahndung oder bei der organisierten Kriminalität und Terrorismus zum Beispiel. Das Ganze muss aber ganz klar von oben abgesichert sein.
Den politischen Spitzel gibt es heute nicht mehr.
Nein. Mindestens
in Zürich nicht. Mit der PUK im Februar '91 war klar, das will man
nicht mehr. Man will weder Spitzel noch eine politische Abteilung bei der Polizei.
Sie ziehen eine zwiespältige Bilanz über Ihre Spitzeltätigkeit ...
Rückblickend gesehen kann man immer alles in Frage stellen. Aber es ist schon so, wir haben die Informationslage deutlich verbessern und durch unser Insiderwissen auch viele Mannschaftsstunden einsparen können. Militante Aktionen konnten wir aber nicht verhindern. Und ganz nach oben sind wir nicht gekommen. Aber man darf nicht vergessen: Es war nicht alles schlecht, was im KK III geleistet worden ist. All die Dokumente, die ganze eigene Arbeit, die man über Jahre verrichtet hat, einfach vernichten zu müssen – das war schwierig. Viele werden bis ans Lebensende Mühe haben mit diesem Erlebnis.
Sie haben gesagt, dass man
die Arbeit im KK III nicht hinterfragt hat. Wieso nicht?
Das war eine
andere Zeit, man hat gemacht, was verlangt wurde.
Und heute ist es anders?
Eindeutig. Eine
Fichenaffäre wird es hoffentlich nie mehr
geben. Sicher werden heute noch Leute fichiert, aber das ist
juristisch sauber geregelt. Da hat man Lehren daraus gezogen.
Nach Ihrer Spitzelzeit haben Sie sich vom
Insider zum umgänglichen, konzilianten und stadtbekannten
Polizisten gewandelt. Wie das?
Von
einem Polizisten macht man sich vielleicht ein anderes Bild, das
stimmt. Massgebend war die Fichenaffäre. Da hat der Denkprozess
begonnen. Ich habe mir gesagt, ich will ein anderes System, eine
andere Gangart. Mehr vermitteln und weniger eskalieren lassen. Ich wollte in dem Metier
bleiben, aber nach den Vorgaben der Politik arbeiten.
Und da schlug Ihnen
kein Misstrauen entgegen?
Doch,
natürlich. «Der da will weiter Polizist bleiben?», hiess es dann, «ausgerechnet der»?
Sie hatten eine ganz
andere Linie als Ihre Kollegen ...
Ja,
ich hatte eine andere Philosophie; meine Grundsätze hiessen:
Deeskalation, Güterabwägung und Verhältnismässigkeit. Und ich war
und bin ein Gegner von brachialer Gewalt. Wenn einer ein Plakätli
geklebt hat oder eine Knallpetarde gezündet, dann liess ich Fünfe
auch mal gerade sein, dann liess ich nicht mit grossem Geschütz
auffahren. Das führte dann nicht selten intern auch zu Diskussionen.
Und das ging auch ab und zu in die Hose. Bei den Leuten, die immer im
Clinch mit dem Staat stehen, das möchte ich hier auch betonen, gibt es aber nichts zu vermitteln.
Sie haben Ihre politische
Einstellung beim Bewerbungsgespräch zum Eintritt ins KK III als
neutral bezeichnet ...
Eigentlich
neutral, eigentlich. Und das hat sich nicht geändert. Ich bin für
diejenigen, die den Konsens suchen, und für die Schwachen – nicht
für die Hardliner. Nach allen Diskussionen, nach allem «Gekätsche»
muss man einen Kompromiss finden. Daran glaube ich.
Das tönt sehr vage ...
(lacht)
Da bin ich wahrscheinlich wie ein Politiker, viel reden und nichts
sagen.
Hat sich Ihre politische Einstellung
geändert in 40 Jahren Polizeiarbeit?
Ja,
ich bin kritischer geworden, viel kritischer. Und ich setze in der
Zwischenzeit auch andere Prioritäten: Natur, Tiere, Reisen – die
Sachen halt, die einen freuen, wenn man in einem Bergkanton
wohnt.
Was sagen Sie aus der Warte des
ehemaligen Polizisten und Kenners der Hausbesetzerszene zu der neu aufgeflammten
Diskussion um das Koch-Areal?
(Seufzt) Zürich
hat eine Hausbesetzer-Szene, das ist ein Fakt. Die Hausbesetzer
machen das ja nicht aus Lust, es geht um die Gentrifizierung,
Kommerzialisierung und Wohnungsnot. Wir, die Gesellschaft und damit
auch die Polizei, müssen damit umgehen, mit Konsens «bis a bach abe»,
wenn nötig. Gleichzeitig müssen die Besetzer natürlich auch
kompromissbereit sein. Was in letzter Zeit im Koch passiert ist, hat
den Bogen vielleicht ein bisschen überspannt.
Wie meinen Sie das?
Lärm ist kein
Kavaliersdelikt, das sind sich viele nicht bewusst. Jeder Mensch hat
Anrecht auf Schlaf. Ich bin aber überzeugt, dass sich die Besetzer
bewegen werden. Es wird schwierig, schliesslich gibt es auch bei den
Besetzern verschiedene Strömungen, und die meisten Entscheidungen
funktionieren mittels Basisdemokratie. Das birgt Zündstoff und sorgt
für Konflikt, klar. Aber sie werden sich bewegen, werden sich
bewegen müssen. Es gibt keine rechtsfreien Räume in Zürich.
Wäre das Image der Polizei ein
anderes, wenn es mehr Willy Schaffners gäbe?
Das ist eine hypothetische Frage, ich bin heute Geschichte.
Vermissen Sie den Nervenkitzel als Insider?
Nein, nie. Ich
habe das gemacht, habe observiert, habe mich eingeschleust. Aber
nicht zum Spass. Das war meine Arbeit, kein Vergnügen.
Und die Arbeit als Polizist?
Nein. Es waren
gute 40 Jahre. Aber ich will nicht alt werden und hadern. Ich
geniesse meine Pensionierung. Die Zeit, die ich jetzt intensiv mit Margrith, meiner Frau, verbringe. Reisen, Tiere, Natur, das sind, wie schon gesagt, die
Prioritäten. Und die Gesundheit. Wenn man heute in der Zeitung die
Jahrgänge bei den Todesanzeigen anschaut, dann wird einem schon
mulmig. Das Zeitgeschehen verfolge ich natürlich schon noch,
manchmal rege ich mich dann auch auf.
«Das Doppelleben des Polizisten Willy S. – Erinnerungen an die Zeit, als Zürich brannte», Wörterseh Verlag.