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Interview

Interview Undercover-Polizist Stapo Zürich 80er-Jahre

Ein WoZ-Artikel im Jahr 1986 bedeutete das Ende des Spitzels Willi Schaller. 
Ein WoZ-Artikel im Jahr 1986 bedeutete das Ende des Spitzels Willi Schaller. Bild: Archiv WoZ Wochenzeitung
Interview

Der «beste Spitzel» der Stapo: Wie Polizist Schaffner die 80er-«Bewegig» unterwanderte

Willy Schaffner, alias Willi Schaller infiltrierte Anfang 1980 fünf Jahre lang die Zürcher Jugendbewegung – seine Enttarnung markierte den Anfang vom Ende der Undercover-Einsätze bei der Stadtpolizei Zürich. Ein Buch arbeitet nun die Geschichte des «besten Spitzels» der Stapo auf.
22.10.2016, 11:1523.10.2016, 04:49
William Stern
Emily Engkent
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Willy Schaffner ist ein Hüne von einem Mann. Man kann ihn sich gut vorstellen an der Spitze eines Polizeitrupps, das Megafon in der Hand Order bellend, immer Herr der Lage, immer die Ruhe selbst. 

Im Gespräch mit Journalisten aber wird aus dem vierschrötigen Vorzeigepolizisten ein Häufchen Elend. Gern macht er das nicht, der Willy Schaffner, jetzt 66 Jahre alt, seit einem Jahr pensioniert, zuvor 40 Jahre lang Polizist bei der Stapo. Zuerst bei der Streife, dann beim Geheimdienst, dem legendären Kriminalkommissariat III und dann als Spitzel bei der Bewegung, den Zürcher Jugendlichen, die die 80er-Jahre zur Hölle machten für alle jene, die Freiheit als 9-to-5-Bürojob verstanden und beim Anblick von Männern mit langen Haaren schon einmal «Moskau einfach!» schrien.  

Zur Person
Willy Schaffner kam 1950 im Kanton Aargau zur Welt und verbrachte seine Kindheit und Jugend in Amsteg UR. 1975 trat er in Zürich in die Polizei ein. Nach dem Opernhauskrawall 1980 meldete er sich freiwillig als Insider, um die 80er-«Bewegig» zu unterwandern. Schaffner blieb der Polizei auch nach seiner Enttarnung 1986 treu. In den Jahren vor seiner Pensionierung leitete er eine Fachgruppe der Stapo und erwarb sich dabei den Ruf eines umgänglichen und konzilianten Polizisten. (wst)

Als Willi Schaller begleitete Schaffner die Leute in der Bewegung auf Schritt und Tritt, verschaffte sich Zugang zu den Vollversammlungen und den Strategiesitzungen, marschierte mit bei den Demonstrationen und schrie Parolen gegen den Staat, der ihm den Sold zahlte. Er merkte sich die Namen der Bewegten – Fischer, Strehle, Frei, Scherr, «400 bis 500 insgesamt» –, sammelte Transparente ein, die zu gewaltsamem Protest aufriefen, kiffte, wenn die anderen kifften, war immer dabei und hielt sich doch im Hintergrund. 

Nur einmal, da wollte er vielleicht ein wenig Action, da hatte er genug vom Beobachten und Archivieren, vom zermürbenden Fichieren, von den Grundsatzdiskussionen und den Grabenkämpfen zwischen den Gemässigten und denjenigen, die nicht nur metaphorisch aus dem Staat Gurkensalat machen wollten:

Auszug aus «Das Doppelleben des Polizisten Willy S.»

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Auszug aus dem Buch «Das Doppelleben des Polizisten Willy S.»collage: watson

Ob sich Schaffner damals tatsächlich als Agent Provocateur betätigte, ist bis heute unklar. Schaffner selber sagt, es könne sein, dass er sich so geäussert habe. 

1985 stieg Schaffner aus, er hatte genug von der Agententätigkeit, wollte wieder ein normales Leben führen, mit geregelten Arbeitszeiten und ohne die ständige Angst, eines Tages aufzufliegen. Er wandere aus, verkündete er seinen Kollegen in der «Bewegig». Dann ging er für längere Zeit ins Ausland. Ein Jahr später enttarnte ihn die WoZ in einem Artikel: «Staatsschutz offerierte Sprengstoff für Anschlag auf die BBC» (heute: ABB). Der Skandal war perfekt.

Anfang der 90er-Jahre wurde aus den Rissen im Beton des Überwachungsstaats ein Dammbruch: Parlamentarische Untersuchungskommissionen in den Kantonen und beim Bund deckten auf, dass der Staat rund 900'000 Personen mit subversiver Gesinnung überwachen liess, dass eine Geheimarmee bereit stand, falls die rote Gefahr die Landesgrenzen erreichen sollte. Die Linke und die Zivilgesellschaft tobten, Bundesanwaltschaft, Bundespolizei und kantonale Korps wurden reorganisiert, hohe Tiere nahmen ihren Hut. Und mittendrin Willy Schaffner. 

Nach seiner Aufdeckung arbeitet Schaffner weiter bei der Polizei. Er wandelte sich vom V-Mann zum anerkannten und weitherum geschätzten Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung, war als Brandtouroffizier bei allen grösseren Demos der letzten Jahre dabei. Schaffner galt auch bei der Gegenseite als einer, mit dem man reden konnte. Trotz seiner belasteten Vergangenheit.

«So ist das»

Die riesigen Pranken des pensionierten Polizisten wandern unruhig umher, der Blick schweift hilfesuchend nach draussen, in den heckengeschützten Vorgarten eines zweigeschossigen Betonbaus am Nordhang des Zürcher Adlisbergs. Schaffner will das alles eigentlich hinter sich lassen, aber jetzt sitzt er trotzdem hier und beantwortet die Fragen mit der wachsamen Trägheit eines verletzten Tiers.

Schaffner weicht aus, wenn die Fragen kritisch sind, erzählt von Belanglosigkeiten und windet sich, wenn Themen gestreift werden, die die Arbeit der Polizei als Ganzes in ein schlechtes Licht rücken könnten. Seine Sätze tönen manchmal vorgestanzt, als hätte er sie sich in langen Nächten immer wieder selber aufgesagt. Ja nichts Falsches sagen, ja niemanden vor den Kopf stossen. Und wenn er dann doch einmal ins Reden kommt, dann lässt er seine Sätze mit einem «so ist das» vorzeitig absterben.

Herr Schaffner, wieso haben Sie, der Urner Bub, der «Wildfang» aus Amsteg, damals zugesagt, in Zürich die «Bewegig» zu infiltrieren?
Willy Schaffner: Ich war bereits vier Jahre bei der Stadtpolizei, zuerst auf der Streife, dann im Kriminalkommissariat III, dem legendären KK III, als im April 80 die Jugendunruhen ausbrachen. Dann hat man uns gefragt, wer möchte in diese Szene, «mal go luege was so lauft»? Es herrschte Informationsmangel, deshalb schaffte man dieses Instrument des «Insiders». Dann bin ich halt gegangen.

Ganz so einfach stelle ich mir das nicht vor. Immerhin war Ihnen bewusst, dass Sie eine andere Identität annehmen müssen, in eine andere Welt eintauchen, Ihr altes Leben hinter sich lassen. War es Abenteuerlust? Pflichtbewusstsein?
Ich würde es nicht ganz ausschliessen, dass eine gewisse Abenteuerlust mitspielte, aber als Motiv war das sekundär. Wir hatten zu dieser Zeit wöchentlich Ausschreitungen, grosse Sachschäden, Verletzte, sogar Tote, auf beiden Seiten. Die Polizei, die Politik, ich selber, wir waren alle überrumpelt. Für uns war klar: Wir brauchen mehr Informationen, wenn wir diesem Phänomen begegnen wollten. Deshalb die Idee des Insiders.

Sie haben es als Undercover-Polizist geschafft, in die Bewegung einzutauchen, waren an Vollversammlungen, Demonstrationen und nahmen sogar an Sitzungen des legendären Café Boy teil. Trotzdem: An die Rädelsführer, in den Kopf der Bewegung sozusagen, sind Sie nicht vorgedrungen.
Das ist so. Dazu muss man sagen: Ich konnte und wollte das auch nicht. Meine Legende, mein Alias, ist nicht allzu sehr in die Tiefe gegangen. Wenn ich mich tatsächlich so weit vorgewagt hätte, dann wäre womöglich meine Tarnung wie ein Kartenhaus in sich zusammengefallen. Bis zu einem gewissen Punkt ist man gekommen, aber bis in die Führungsetage der Bewegung – das war nicht möglich.

Wenn Sie in den Spiegel geguckt haben: Schaute Ihnen da je einmal das «Bewegigs»-Mitglied Willi Schaller und nicht der Urner Polizist Willy Schaffner entgegen?
Ich war beide Personen gleichzeitig. Vor Identitätsprobleme oder so hat mich das aber nicht gestellt. Die meisten Leute nannten mich ohnehin nur beim Vornamen. Das war wichtig, daran konnte ich mich festhalten.

Wie muss man sich die Arbeit als Spitzel vorstellen?
Da ist sicher keine Hollywood-Agentenfilm-Romantik. Ich bin manchmal tagelang nur rumgehangen, habe mich in den einschlägigen Lokalen und Wirtschaften rumgetrieben, gejasst und gegambelt, einschlägiges Material eingesammelt, und gewartet, bis sich die Bewegten am Abend im AJZ, in der Roten oder im Armadillo trafen. Es war wichtig, dass die Leute merken: He, den gibt's ja wirklich, der treibt sich hier herum, der ist Teil der «Bewegig».

Auszug aus «Das Doppelleben des Polizisten Willy S.»

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collage. watson

Wenn Sie heute die alten Wirkungsstätten passieren, das Café Boy, Armadillo, die Rote Fabrik. Was geht Ihnen da durch den Kopf?
Ich sage mir immer, man kann das Rad nicht zurückdrehen. Ich bin jetzt 66, was passiert ist, ist passiert, das ist Geschichte, ich denke nicht ständig daran. Aber ja, wenn ich an der Roten Fabrik vorbeilaufe, dann geht eine Art Film ab: «Hier hat's geklöpft, da hat's Lämpe gäh», Entschuldigung, Ausschreitungen. Es kommt hoch, aber ich leide heute nicht mehr darunter.

Die Jugendunruhen der 80er-Jahre

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Jugendunruhen 80er-Jahre
«Wir sind die Kulturleichen der Stadt.» Der «Opernhauskrawall» im Mai 1980 war Auftakt für eine Welle von gewalttätigen Auseinandersetzungen, wobei den Jugendlichen seitens der bürgerlichen Gesellschaft völliges Unverständnis entgegenschlug.
quelle: photopress-archiv / str
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Sie haben sich während fünf Jahren in den Vertrauensbereich von anderen Menschen geschlichen, haben mit ihnen Bier getrunken, diskutiert, vorgeblich gegen einen gemeinsamen Feind gekämpft. Haben Sie sich nie als Verräter gesehen?
Ich hatte damit zu kämpfen, das schon. Diese Leute haben mir ja nichts zuleide getan. Viele waren enttäuscht, konnten es kaum fassen: «Der Willi, der Willi isches gsi!» Diese Enttäuschung kann ich nachvollziehen und verstehen.

Bei den Autonomen und den Linksradikalen der jüngeren Generation ist Ihr Name aber auch heute noch ein rotes Tuch. «Spitzelschwein» steht dann zum Beispiel auf Transparenten geschrieben.
Ja, das ist so. Ganz erklären kann ich mir das auch nicht, die Autonomen der heutigen Generation erlebten mich ja nie als Insider, sondern als Szenepolizist und die alten Mitglieder der «Bewegig» haben sich grösstenteils zu respektablen Mitgliedern der bürgerlichen Gesellschaft entwickelt, der eine oder andere mit einem linksalternativen Einschlag.

«Einmal Bullenschwein, immer Bullenschwein.»
Sicher, und auch die Rolle des Spitzels, das bringe ich nie ganz weg. Ich habe das akzeptiert. Und mit dem Buch, mit meiner Geschichte lasse ich ja auch d'Hose abe, erzähle, wie es war.

Sie wollten Willi Schaller sterben lassen ...
Ja, aber ganz begraben werde ich ihn nie können. In Zürich wird der Name politisch immer ein «Ding» sein. Ich selber habe das aber ad acta gelegt. Diese fünf Jahre undercover, das war eindeutig zu lange. Punkt.

Nach mehr als fünf Jahren Undercover-Tätigkeit hatten Sie die Nase voll ...
Ende 84, Anfang 85 habe ich meinen Vorgesetzten gesagt, «jetzt längts, längts, längts. Jetzt isch fertig». Es macht dich auch fertig, Für meine Vorgesetzten ging damit natürlich ein gutes Stück Knowhow verloren, mit Willi Schaller hatten sie immerhin eine Person in der «Bewegig», die tief drin war. Aber es gab ja noch andere Insider, einige wurden enttarnt, andere sind heute noch unenttarnt.

Dann sind Sie ausgestiegen, untenttarnt. 
Ja, ich hab meinen Abschied eingefädelt, bin in die Ferien gegangen und dachte, damit sei dieses Kapitel abgeschlossen. Dass die WoZ ein Jahr später die Bombe platzen lassen würde, damit habe ich natürlich nicht gerechnet.

Die Enttarnung in der WoZ 1986

Bild: Archiv WoZ Wochenzeitung

Verantwortlich dafür war Jürg Frischknecht, der auch schon die Subversivenjäger um Ernst Cincera auffliegen lassen hat.
Ja, das hat damals einen riesigen Wirbel verursacht. Das las sich dann wie ein Krimi. Das ist für mich heute noch schwierig. 

Sie sind nur aufgeflogen, weil Ihr «Zwilling», V-Mann Walter Max Truniger, alias Marco, zuvor schon enttarnt worden war.
Ja, wir verbrachten viel Zeit miteinander, waren zusammen unterwegs, «Marco» und ich. Das Leben als Spitzel ist einsam, da bist du froh, wenn du jemanden hast, mit dem du dich austauschen kannst. Das wurde mir zum Verhängnis. Man hat uns zusammen gesehen, und die Leute aus der Bewegung und von der WoZ haben eins und eins zusammengezählt.

Willy Schaffner alias Willi Schaller als Bewegter in den 80er-Jahren.
Willy Schaffner alias Willi Schaller als Bewegter in den 80er-Jahren.bild: zvg

Haben Sie Freundschaften geschlossen in der «Bewegig»?Kaum. Ich habe versucht, so gut es ging, Distanz zu wahren. Nicht zuletzt, weil die Legende Willi Schaller schlicht zu schwach war.

Hatten Sie je Angst um Ihr Leben?
Ich will es nicht verharmlosen, aber ich bin vom Naturell her nicht ängstlich. Es braucht viel, damit es mir wirklich unwohl wird. Aber klar, unangenehme Momente gab es. Ich habe einfach versucht, vorsichtig zu sein, mir immer überlegt, was ich preisgeben kann, was nicht. Es war eine Gratwanderung.

Es gab aber brenzlige Situationen ... 
Ja, ganz am Anfang meiner Spitzelzeit, da war ich an einer Demo und plötzlich umringten mich die Bewegten und Jugendlichen. Das war normal, wenn man anders ausgesehen hat, dann war man da schon verdächtig. Ich trug damals noch keinen Bart, neue Turnschuhe und sah nicht so verlaust aus. Das reichte, um «ausgesackt» zu werden. Da begann ich dann auch, an meinem Aussehen zu arbeiten, besorgte mir Telefonanschluss, Auto und einen Ausweis auf den Namen Schaller. 

Auszug aus «Das Doppelleben des Polizisten Willy S.»

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Auszug aus dem Buch «Das Doppelleben des Polizisten Willy S.»bild: wikicommons/bearbeitungwatson

Und haben so das Gesetz mehr als geritzt ...
Im Nachhinein gesehen war das schon eine Gratwanderung, klar. Aber für uns war das psychologisch wichtig. Du fühlst dich viel sicherer. Wenn du ausgesackt wirst, und du hast einen vertrauenswürdigen Ausweis, dann kann dir fast nichts passieren.

«Ich konnte den Frust der Bewegten nachvollziehen. Aber ich war damals halt auf der anderen Seite, auf der Seite der Polizei. »
Willy Schaffner

Bei der zweiten heissen Situation hat Sie nur Ihre Geistesgegenwart gerettet ...
Ja, da ging ich blitzschnell in die Offensive und konnte alles ausbügeln. Überhaupt ging ich immer in die Offensive, wenn es heikel wurde. Und es konnte oft heikel werden. Ich brauchte nur jemanden aus meinem richtigen Leben zu treffen und schon sass ich in der Tinte.

Auszug aus «Das Doppelleben des Polizisten Willy S.»

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collage: watson
«Ich habe mir gesagt, ich will ein anderes System, eine andere Gangart, nicht wir gegen die anderen, sondern wir mit ihnen. »
Willy Schaffner

Ist Ihnen jemals der Gedanke gekommen: «Halt, vielleicht haben die Bewegten gar nicht so Unrecht, vielleicht lohnt es sich, für diese Sache zu kämpfen. Vielleicht sollte ich die Seiten wechseln?»
Ich konnte den Frust der Bewegten nachvollziehen. Aber ich war damals halt auf der Seite der Polizei. Ich wollte einen Beitrag leisten für Ruhe und Ordnung in der Stadt Zürich.

Was macht einen guten Spitzel aus?
Kein Spitzel, das ist ein guter Spitzel. Man kommt heute auch auf andere Arten an die Informationen heran.

Trotzdem: Wie sieht das Stellenprofil des Spitzels aus?
Ich kann nur sagen, wie es damals aussah: Er sollte ledig sein, zwischen 20 und 30 Jahre alt, keine feste Bindung haben, vertrauenswürdig und teamfähig sein, den Mut haben, aussergewöhnliche Sachen zu machen, belastbar, offen für andere Kulturen, nicht überheblich sein, immer am Boden bleiben. Und vor allem: nie Geschichten erfinden.

Was denken Sie heute über die Methode der verdeckten Fahndung?
Ich halte sie in gewissen Bereichen für sinnvoll, bei der Drogenfahndung oder bei der organisierten Kriminalität und Terrorismus zum Beispiel. Das Ganze muss aber ganz klar von oben abgesichert sein.

Den politischen Spitzel gibt es heute nicht mehr.
Nein. Mindestens in Zürich nicht. Mit der PUK im Februar '91 war klar, das will man nicht mehr. Man will weder Spitzel noch eine politische Abteilung bei der Polizei. 

Sie ziehen eine zwiespältige Bilanz über Ihre Spitzeltätigkeit ...
Rückblickend gesehen kann man immer alles in Frage stellen. Aber es ist schon so, wir haben die Informationslage deutlich verbessern und durch unser Insiderwissen auch viele Mannschaftsstunden einsparen können. Militante Aktionen konnten wir aber nicht verhindern. Und ganz nach oben sind wir nicht gekommen. Aber man darf nicht vergessen: Es war nicht alles schlecht, was im KK III geleistet worden ist. All die Dokumente, die ganze eigene Arbeit, die man über Jahre verrichtet hat, einfach vernichten zu müssen – das war schwierig. Viele werden bis ans Lebensende Mühe haben mit diesem Erlebnis.

Sie haben gesagt, dass man die Arbeit im KK III nicht hinterfragt hat. Wieso nicht?
Das war eine andere Zeit, man hat gemacht, was verlangt wurde.

Und heute ist es anders?
Eindeutig. Eine Fichenaffäre wird es hoffentlich nie mehr geben. Sicher werden heute noch Leute fichiert, aber das ist juristisch sauber geregelt. Da hat man Lehren daraus gezogen.

Nach Ihrer Spitzelzeit haben Sie sich vom Insider zum umgänglichen, konzilianten und stadtbekannten Polizisten gewandelt. Wie das?
Von einem Polizisten macht man sich vielleicht ein anderes Bild, das stimmt. Massgebend war die Fichenaffäre. Da hat der Denkprozess begonnen. Ich habe mir gesagt, ich will ein anderes System, eine andere Gangart. Mehr vermitteln und weniger eskalieren lassen. Ich wollte in dem Metier bleiben, aber nach den Vorgaben der Politik arbeiten.

Auszug aus «Das Doppelleben des Polizisten Willy S.»

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Auszug aus dem Buch «Das Doppelleben des Polizisten Willy S.»bild: wikicommons/bildbearbeitung watson

Und da schlug Ihnen kein Misstrauen entgegen?
Doch, natürlich. «Der da will weiter Polizist bleiben?», hiess es dann, «ausgerechnet der»?

80er Jugendunruhen
Slogan der Jugendbewegung in den 80ern.Bild: Twitter

Sie hatten eine ganz andere Linie als Ihre Kollegen ...
Ja, ich hatte eine andere Philosophie; meine Grundsätze hiessen: Deeskalation, Güterabwägung und Verhältnismässigkeit. Und ich war und bin ein Gegner von brachialer Gewalt. Wenn einer ein Plakätli geklebt hat oder eine Knallpetarde gezündet, dann liess ich Fünfe auch mal gerade sein, dann liess ich nicht mit grossem Geschütz auffahren. Das führte dann nicht selten intern auch zu Diskussionen. Und das ging auch ab und zu in die Hose. Bei den Leuten, die immer im Clinch mit dem Staat stehen, das möchte ich hier auch betonen, gibt es aber nichts zu vermitteln.

«Da bin ich wahrscheinlich wie ein Politiker, viel reden und nichts sagen.»
Willy Schaffner

Sie haben Ihre politische Einstellung beim Bewerbungsgespräch zum Eintritt ins KK III als neutral bezeichnet ...
Eigentlich neutral, eigentlich. Und das hat sich nicht geändert. Ich bin für diejenigen, die den Konsens suchen, und für die Schwachen – nicht für die Hardliner. Nach allen Diskussionen, nach allem «Gekätsche» muss man einen Kompromiss finden. Daran glaube ich.

Das tönt sehr vage ...
(lacht) Da bin ich wahrscheinlich wie ein Politiker, viel reden und nichts sagen.

Hat sich Ihre politische Einstellung geändert in 40 Jahren Polizeiarbeit?
Ja, ich bin kritischer geworden, viel kritischer. Und ich setze in der Zwischenzeit auch andere Prioritäten: Natur, Tiere, Reisen – die Sachen halt, die einen freuen, wenn man in einem Bergkanton wohnt.

Was sagen Sie aus der Warte des ehemaligen Polizisten und Kenners der Hausbesetzerszene zu der neu aufgeflammten Diskussion um das Koch-Areal?
(Seufzt) Zürich hat eine Hausbesetzer-Szene, das ist ein Fakt. Die Hausbesetzer machen das ja nicht aus Lust, es geht um die Gentrifizierung, Kommerzialisierung und Wohnungsnot. Wir, die Gesellschaft und damit auch die Polizei, müssen damit umgehen, mit Konsens «bis a bach abe», wenn nötig. Gleichzeitig müssen die Besetzer natürlich auch kompromissbereit sein. Was in letzter Zeit im Koch passiert ist, hat den Bogen vielleicht ein bisschen überspannt.

Wie meinen Sie das?
Lärm ist kein Kavaliersdelikt, das sind sich viele nicht bewusst. Jeder Mensch hat Anrecht auf Schlaf. Ich bin aber überzeugt, dass sich die Besetzer bewegen werden. Es wird schwierig, schliesslich gibt es auch bei den Besetzern verschiedene Strömungen, und die meisten Entscheidungen funktionieren mittels Basisdemokratie. Das birgt Zündstoff und sorgt für Konflikt, klar. Aber sie werden sich bewegen, werden sich bewegen müssen. Es gibt keine rechtsfreien Räume in Zürich.

Wäre das Image der Polizei ein anderes, wenn es mehr Willy Schaffners gäbe?
Das ist eine hypothetische Frage, ich bin heute Geschichte.

«Es war nicht alles schlecht, was im KK III passiert ist.»
Willy Schaffner

Die Fichenaffäre erschüttert die Schweiz

Vermissen Sie den Nervenkitzel als Insider?
Nein, nie. Ich habe das gemacht, habe observiert, habe mich eingeschleust. Aber nicht zum Spass. Das war meine Arbeit, kein Vergnügen.

Und die Arbeit als Polizist?
Nein. Es waren gute 40 Jahre. Aber ich will nicht alt werden und hadern. Ich geniesse meine Pensionierung. Die Zeit, die ich jetzt intensiv mit Margrith, meiner Frau, verbringe. Reisen, Tiere, Natur, das sind, wie schon gesagt, die Prioritäten. Und die Gesundheit. Wenn man heute in der Zeitung die Jahrgänge bei den Todesanzeigen anschaut, dann wird einem schon mulmig. Das Zeitgeschehen verfolge ich natürlich schon noch, manchmal rege ich mich dann auch auf.

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bild: wörtersehverlag

«Das Doppelleben des Polizisten Willy S. – Erinnerungen an die Zeit, als Zürich brannte», Wörterseh Verlag.

Apropos Geheimdienst: Wie gut kennst du dich mit dem NDG aus? 

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