Schweiz
Interview

Chef der Armee: «Wir müssen den Kampf im urbanen Raum mehr trainieren»

Armeechef Thomas S
Korpskommandant Thomas Süssli ist seit Januar 2020 Chef der Armee.Bild: sda
Interview

«Wir müssen den Kampf im urbanen Gelände mehr trainieren»

15.03.2023, 17:5816.03.2023, 14:51
Alexandre Cudré
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Vor über einem Jahr marschierten die Armeen von Wladimir Putin in die Ukraine ein und brachten damit wieder einen Krieg auf den europäischen Kontinent. Im Angesicht des Konflikts sind auf der ganzen Welt wieder Fragen aufgetaucht, die man eigentlich bereits als in der Vergangenheit abgelegt geglaubt hatte – auch in der Schweiz: Wiederausfuhr von Waffen Schweizer Produktion, Neutralität und die Verabschiedung grosser Armeebudgets.

Im Zentrum dieser Diskussionen stehen Politik, Diplomatie und natürlich das Militär. watson hat den Chef der Armee, Thomas Süssli, bei einem Wirtschaftsbesuch in Crissier VD getroffen und mit ihm über die Veränderungen unserer Armee durch den Ukraine-Krieg gesprochen.

Infanterie, Artillerie und Panzer stehen heute wieder im Mittelpunkt der Diskussionen. Vor der russischen Invasion war eher die Entwicklung der Cybersicherheit das Hauptthema. Was heisst das für die Armee?

Thomas Süssli: Für uns stand immer schon fest, dass der Cyber-Aspekt eine konventionelle Bedrohung nicht ersetzt, sondern sie nur gefährlicher macht.

«Insofern haben sich unsere Ziele nicht verändert.»

Die Armee verfolgt klare Ziele für die nächsten zehn Jahre, die in den letzten Jahren festgelegt wurden und den Luftraum und die Landstreitkräfte sowie die Cyber-Entwicklung betreffen, deren Ausbau bis 2022 festgelegt wurde. Parallel dazu geht es auch darum, die bestehenden Fähigkeiten aufrechtzuerhalten, insbesondere bei der Artillerie und den Kampfpanzern. Die Armee hat stets betont, dass diese Elemente von entscheidender Bedeutung sind.

Taktisch hat sich die Kombination aus Feuerleitung, Bewegung und Schutz der Truppen in der Ukraine als erfolgreiche Strategie erwiesen. Wir müssen unsere eigenen Mittel in diesen Bereichen auf den neusten Stand bringen und aktuelle Innovationen einfliessen lassen.

Welches sind die wichtigsten Erkenntnisse, die die Armee aus dem Ukraine-Konflikt bisher gezogen hat?

Wie wichtig Lagerverwaltung und Materialbeschaffung ist – und dass wir die Innovationskraft und die Digitalisierung der Armee vorantreiben müssen. Mit diesen Faktoren konnte die Ukraine eine effektive Verteidigungsstrategie errichten, die Früchte getragen hat.

Was sind nun konkret die Auswirkungen auf Doktrin und Ausbildung?

Der Trend sieht zurzeit so aus: Grosse Armeen haben ihren Platz in den Ebenen und auf dem Land, kleine Armeen gehören in die Städte. Die heftigsten Kämpfe in der Ukraine toben in den Städten, so zum Beispiel in Bachmut.

«In der Schweiz werden wir in den nächsten Jahren den Kampf in städtischen Gebieten mehr trainieren und verbessern.»

Die Armee hat Schwierigkeiten, junge Menschen für sich zu gewinnen, und rechnet mit Personalmangel bis zum Ende des Jahrzehnts. Haben Sie bemerkt, dass das Interesse an der Armee seit dem Krieg wieder gestiegen ist?

In der Tat, das Image der Armee hat sich bei der Bevölkerung verbessert. Man wertet den Militärdienst wieder auf, und das Interesse der Jugendlichen an der Rekrutierung ist definitiv gestiegen. Als die Invasion vor einem Jahr begann, bedankten sich die Menschen auf der Strasse bei den jungen Uniformierten, die auf dem Weg zur Kaserne waren.

Viele Bürgerinnen und Bürger interessieren sich mittlerweile dafür, was die Armee macht, wie sie funktioniert und was dort alles geschieht. Das ermöglicht uns im Gegenzug, hervorzuheben, was die Armee für junge Menschen attraktiv macht: Erfahrungen sammeln, Kameradschaft bilden, Herausforderung und Abenteuer erleben – und natürlich für Kader die Möglichkeit, in jungen Jahren Verantwortung zu übernehmen. Und nicht zuletzt, ganz einfach etwas für die Sicherheit der Schweiz zu tun.

Sie sind am Mittwoch gekommen, um mit dem Privatsektor und der lokalen Wirtschaft zu sprechen. Warum?

Die Zusammenarbeit zwischen Privatsektor und Militär ist für die Innovation und die Entwicklung neuer Technologien von entscheidender Bedeutung.

Um wieder auf das Interesse der jungen Menschen zurückzukommen: Wir wollen möglichst viele der in der Armee angeeigneten Fähigkeiten auch im zivilen Bereich zertifizieren lassen. Das werden wir zum Beispiel bei den Drohnenpiloten so umsetzen.

Apropos Drohnen: In der Ukraine werden sie immer häufiger auf dem Schlachtfeld eingesetzt. Wie steht es um ihren den Einsatz in der Armee?

Drohnen haben verschiedene Anwendungsbereiche. Sie können als sogenannte «Sensoren» eingesetzt werden, um zu beobachten und zu orten. Das «Hermes-900»-System wird so bereits von der Armee eingesetzt. Dabei handelt es sich um grosse Geräte, die wie kleine Flugzeuge gesteuert werden. Dann gibt es auch noch die kleinen «normalen» und die Mini-Drohnen. Diese werden auf Kompanie- oder Zugsebene eingesetzt, um Beobachtung und Aufklärung auf kleinem Raum durchzuführen.

Zurzeit verfügen wir über zwei Entwicklungszentren für Drohnen und Robotik, eines bei der Armasuisse und eines bei der Armee selber. Wir wollen diese Technologien so schnell wie möglich entwickeln und nutzen können.

Sie haben jetzt von Beobachtungsmitteln gesprochen. Wie sieht es mit bewaffneten Drohnen aus?

Wir gehen davon aus, dass solche bewaffneten Drohnen in fünf bis zehn Jahren in einer Vielzahl von Armeen zur Normalität gehören werden.

Aber man darf nicht vergessen, dass solche Geräte immer von einem Menschen gesteuert oder zumindest unterstützt werden, der die Drohne einsetzt und schlussendlich die Entscheidung trifft, zu schiessen. Nicht eine Künstliche Intelligenz, sondern ein echter Mensch, der den Abzug – oder den Knopf – drückt.

(cpf)

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80 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Chris_A
15.03.2023 20:51registriert Mai 2021
Na ja und wo oder wer ist der Feind? Wir sind von Natostaaten umgeben. Die werden uns vermutlich nicht angreifen und wenn ein andere Soldat oder Panzer über unsere Grenzen kommen sollte ist die Nato am Boden, notabene das mit Abstand grösste und mächtigste Militärbündnis weltweit. Also oder was ist der Feind?? Eine Armee macht nur Sinn wenn sie in die gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur eingebunden ist, sonst ist es einfach nur eine sündhaft teurer Trachtenverein.
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Andi Weibel
15.03.2023 22:41registriert März 2018
Dass die Armee einen Unterbestand habe ist schlicht falsch. Sie hat sogar mehr Angehörige wie im Militärgesetz erlaubt. Aber wen kümmern heutzutage solche Fakten noch...
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FACTS
15.03.2023 18:32registriert April 2020
Die letzte Aussage zu modernen Drohnen, wo abschliessend immer noch ein Mensch und keine KI entscheiden würde, kann in Zeiten von sog. "loitering munition" bzw. "suicide drone" mit Fug und Recht bestritten werden!
2010
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