FDP-Präsident Thierry Burkart ging diese Woche durch ein Wechselbad der Gefühle. Zuerst hiess es, die Mitte habe die FDP bei der Wählergunst überholt – was 175 Jahre nach Gründung des Bundesstaats als historisches Ereignis gewertet wurde. Doch dann kam aus: Das Bundesamt für Statistik hatte falsch gerechnet, die FDP bleibt nach SVP und SP drittstärkste Kraft im Land. Wir treffen Burkart in Baden, im Restaurant Plü. Eine Runde älterer Damen erkennt ihn, wünscht lachend Selfies – das ist Balsam für den Parteichef im politischen Sturm.
Das Bundesamt für Statistik hat falsche Zahlen publiziert: Die FDP ist nun doch nicht hinter die Mitte zurückgefallen. Ist damit alles in Butter bei den Freisinnigen?
Thierry Burkart: Es ist zwar eine Erleichterung, dass wir immer noch Dritte sind. Aber so etwas darf nicht passieren, denn das schadet dem Vertrauen in die Demokratie. Für mich ist besonders ärgerlich, dass nun zweieinhalb Tage über die historische Niederlage der FDP gegen die Mitte, die ehemalige CVP, geschrieben wurde, die so gar nicht stattgefunden hat.
Welche Reaktion erwarten Sie von Bundespräsident Berset, zu dessen Departement das BfS gehört?
Es ist nicht das erste Mal, dass man im Departement Berset Mühe hat mit der Digitalisierung. Es braucht unbedingt eine externe Überprüfung dieses Debakels.
Historisch war die Niederlage der FDP allerdings trotzdem, mit 14.3 Prozent der Wählerstimmen wurde ein neuer Tiefpunkt erreicht. Was haben Sie falsch gemacht?
Es ist eine Niederlage, keine Frage. Bei der zweiten Runde der Ständeratswahlen haben wir aber immer noch die Chance, einen Sitz zuzulegen. Dann hätten wir wenigstens die Sitzzahl im Parlament gehalten. Es gibt aber nichts schönzureden.
Beim Wähleranteil gab es einen Verlust. Woran lag es?
Wenige Tage nach dem Wahlsonntag kann ich Ihnen keine komplette Analyse liefern. Aber unsere Themen –Stromversorgungssicherheit, Altersvorsorge und Wirtschaft – haben, obwohl sie die grössten Herausforderungen sind für unser Land, nicht verfangen.
Was haben Sie nun vor?
Ich sehe drei Punkte. Wir müssen erstens langfristig und konsequent auf unseren Themen bleiben und noch klarer Kante zeigen. Zweitens müssen wir geschlossener werden: Wir haben nach wie vor einen gewissen Selbstzerstörungsdrang. Wenn eine Kantonalpartei entscheidet, eine Listenverbindung einzugehen, wie zum Bespiel in Zürich mit der SVP, dann hilft es uns nichts, wenn dieser Entscheid – auch wenn er knapp war – hernach in der Öffentlichkeit zerredet wird. Die Stärke der Partei hängt auch von der Loyalität jedes einzelnen Mitglieds ab.
Und Ihr dritter Punkt?
Wir sind eine der Parteien mit den rückständigsten Strukturen. Das müssen wir ändern. Es ist heute nicht mehr möglich, Föderalismus in Reinkultur zu leben, wenn man bei nationalen Wahlen Erfolg haben will. Andere Parteien machen das besser, sie führen viel zentraler. Bei uns agieren die Kantonalparteien weitgehend unabhängig und ohne Absprache.
Sie fordern mehr Macht für die FDP Schweiz?
Ich will nicht den Föderalismus in der FDP aushebeln. Aber gewisse Dinge müssen wir zentraler steuern. Zum Beispiel Fragen zu den Ständeratskandidaturen und Listenverbindungen. Bei uns läuft das vollumfänglich in den Kantonen - bei der Mitte-Partei redet Präsident Pfister direkt drein.
Wo hat sich denn Gerhard Pfister eingemischt?
Im Thurgau hat Pfister interveniert. Er wollte Bedingungen für Listenverbindungen in anderen Kantonen stellen. Bei der FDP könnte ich als Präsident aber solche Vereinbarungen über mehrere Kantone leider gar nicht aushandeln. Im Thurgau ist die Listenverbindung FDP-Mitte nur zustande gekommen, weil die Kantonalparteien von FDP und Mitte zuvor bereits eine Absichtserklärung unterzeichnet hatten; das brachte uns einen Sitz.
Und jetzt, bei der zweiten Runde der Ständeratswahlen: Gibt es da Deals mit anderen Parteien?
Ich bin ganz offen zu Ihnen: Ich erfahre zum Teil aus der Presse, in welchen Kantonen sich FDP-Ständeratskandidaten zurückziehen. Ich kann also nicht strategisch entscheiden, wo wir sinnvollerweise andere Bürgerliche unterstützen und in welchen Kantonen sie uns helfen könnten.
Ein Problem der FDP, das sie nicht angesprochen haben, ist das Verhältnis zur SVP. Sie werden oft bloss noch als deren als Juniorpartnerin wahrgenommen. Etwa bei verschiedenen Ständeratswahlen wie in Zürich: Warum unterstützt die FDP Gregor Rutz von der SVP, einen Rechtspopulisten, und nicht Tiana Angelina Moser von der GLP, die sich ja auch als liberal bezeichnet?
Die GLP kann sich bezeichnen, wie sie will. Tatsächlich rückt sie, und mit ihr Tiana Moser, immer stärker nach links. Frau Moser ist keine Bürgerliche. Insofern teile ich die Auffassung der Zürcher FDP, dass wir mehr Überschneidungen mit Herrn Rutz haben.
Und wie ist Ihre Bilanz bei den umstrittenen Listenverbindungen mit der SVP?
Das müssen wir noch genau analysieren. Immerhin, in Zürich konnten wir unseren fünften Sitz nur dank dieser Listenverbindung halten. Wenn zudem Geri Pfister den Mitte-Kantonalparteien mehr oder weniger flächendeckend Listenverbindungen mit der GLP verordnet, bleiben uns nicht viele andere Partner als die SVP. Ich bin grundsätzlich für die Abschaffung der Listenverbindungen. Aber solange es sie gibt, muss man leider nach diesen Regeln spielen, sonst hat man einen Nachteil.
Trotzdem verfestigt sich der Eindruck, dass sie vor allem die Nähe der SVP suchen.
Nein, aber ich versuche, unter den Bürgerlichen so gut es geht zusammenzuarbeiten. Andernfalls stärken wir die Linken, denn SP und Grüne sind sehr geschlossen. Wir hatten früher noch mehr Listenverbindungen, meist auch zusammen mit der CVP. Das ist heute kaum noch möglich. Die Abgrenzung im bürgerlichen Lager hat zugenommen, gleichzeitig ist die Kompromissbereitschaft innerhalb des bürgerlichen Lagers gesunken.
Ist eine lösungsorientierte Zusammenarbeit mit der SVP überhaupt möglich?
Es ist mitunter sehr schwierig, denn die SVP gibt sich zugunsten ihres Wahlerfolgs teilweise kaum kompromissbereit. Aber in den Kommissionen finden wir immer wieder Lösungen mit der SVP. In der Finanz- und Wirtschaftspolitik und bei den Reformen der Altersvorsorge gibt es viele Überschneidungen. Mit der Mitte ist es insbesondere im Nationalrat sehr viel schwieriger geworden: Gerhard Pfister will unter anderem in der Sozialpolitik viel enger mit den linken Parteien zusammenarbeiten. Die Mitte hat sich nach links verabschiedet. Offenbar hat sie damit Erfolg. Ein Erfolg teilweise auf Kosten der bürgerlichen Politik.
Die FDP bleibt drittstärkste Partei. Ist damit bei den Bundesratswahlen das Thema einer neuen Zauberformel erledigt?
Für den Moment ja. Aber die Zusammensetzung des Bundesrates ist immer ein Thema. Ich bin nicht der Meinung, dass im Bundesrat alle Parteien vertreten sein müssen. Die Entscheidungs- und Führungsfähigkeit des Gremiums würde nicht erhöht, wenn weitere Parteien in den Bundesrat kommen.
Die Idee der Konkordanz ist, dass alle wichtigen Kräfte in die Regierung eingebunden werden.
Die Idee der Konkordanz ist, dass man kein Regierungs- und Oppositionssystem will. Im Umkehrschluss heisst das aber nicht, dass alle Parteien in der Regierung vertreten sein müssen. Der Bundesrat muss sowieso unabhängig von der parteipolitischen Zusammensetzung das Gesamtwohl des Landes im Auge haben.
Sie halten also an der sogenannten Podestlogik fest, wonach die drei grössten Parteien des Landes Anspruch auf drei und die viertstärkste Partei einen Sitz hat?
Es macht daher Sinn, weil es ein Kompromiss zwischen einer hohen Repräsentanz der politischen Strömungen sowie der Funktionsfähigkeit des Gremiums ist. In den Bundesrat gehört, wer die Kraft hat, andernfalls eine lähmende Oppositionspolitik zu betreiben. Die Grünen oder die GLP sind noch lange nicht so weit.
Die Anzahl Sitze in der Bundesversammlung ist die harte politische Währung. Das ist doch wichtiger als der Wähleranteil.
Beides ist wichtig: die Fraktionsstärke und der Wähleranteil. FDP und Mitte liegen in beiden Punkten nahe beieinander. Insofern ist klar: Die Frage nach der Verteilung der Bundesratssitze wird sich spätestens in vier Jahren wieder stellen. Wenn wir die Diskussion um den zweiten Bundesratssitz nicht führen wollen, müssen wir 2027 gewinnen.
Weshalb muss denn ausgerechnet die FDP zwei Sitze haben?
Die FDP ist wie die SP im ganzen Land vertreten und verankert. Wir sind Volksparteien, von unten gewachsen. Wir sind in allen Kantonen in der Regierung und im Parlament stark vertreten und übernehmen in den Gemeinden Verantwortung. Das gibt uns Legitimität in der Landesregierung. Aber es gibt auch noch einen zweiten, politischen Grund.
Nämlich?
Wenn man der FDP einen Sitz wegnimmt, dann wird das linke Lager gestärkt. Das kann man wollen, es kann aber nicht im Sinn der Bürgerlichen sein.
Selbst die NZZ hat geschrieben, ein Sitzverlust im Bundesrat könnte für die FDP ein heilsamer Schock sein. Wie einst bei der CVP.
Der Anspruch an uns muss sein, dass wir die FDP wieder stärken, ohne einen Sitz im Bundesrat zu verlieren. Zudem hat sich die CVP mit der BDP zur Mitte fusioniert und den Wähleranteil leicht gesteigert. Das ist ein Erfolg für sie, doch neu erfunden hat sich die Mitte damit nicht.
Wir fragen uns, wie die FDP wieder wachsen will.
Indem wir das hervorheben, was nur wir sind: Das liberale Original. Wer eine liberale Politik will, und das sind sehr viele Schweizer, wählt am besten FDP. Ich bin überzeugt, dass wir so gewinnen. Im Übrigen sind wir in manchen Kantonen noch die stärkste Kraft, besonders in der Romandie.
Aber freisinnige Welsche sind in der Deutschschweiz parteiintern als etatistisch verschrien.
Nein, sie haben einfach eine andere Auffassung von Bürgertum und Staat. Und das zeigt die Historie von unserem Land und der FDP. Wir sind von unten gewachsen und nicht von oben herab.
Geht es der Schweiz zu gut, als dass der Freisinn Erfolg haben kann?
Falls der Preis ist, dass es der FDP schlecht geht, wenn es der Schweiz gut geht, dann könnte ich damit leben. Ja, heute geht es uns noch gut. Doch die Wirtschaftsaussichten verdüstern sich: Wir laufen sehenden Augen in einen Stromengpass, wir werden älter und tun so, als ob dies keine Auswirkungen auf die Altersvorsorge oder auf unsere Gesellschaft hat. Wir laufen Gefahr, dass wir die erste Generation sein werden, denen es besser geht als der nachfolgenden. Das darf doch nicht sein. Wir werden unserer Verantwortung nicht gerecht.
Bleiben Sie Präsident der FDP?
Ich habe eine Unmenge von Zuschriften bekommen, ich solle Parteipräsident bleiben.
Möchten Sie das auch?
Wir werden die personellen Fragen besprechen. Im Juni muss ich mich zur Wiederwahl stellen. Bis dann wissen wir die Antwort. (bzbasel.ch)
Eine lösungsorientierte Zusammenarbeit mit der SVP ist mitunter sehr schwierig, denn die SVP gibt sich zugunsten ihres Wahlerfolgs teilweise kaum kompromissbereit.
Danke Thierry Burkart. Aber wieso biedert ihr euch bei dieser Protestpartei so dermassen penetrant an?
Dass die FDP einen rechten Hardliner wie Rutz unterstützt, der notabene auch mitverantwortlich ist für die SVP- Unterwanderung im HEV, versteh ich überhaupt nicht. Die GLP als links zu bezeichnen wirft auch einige Fragen auf...
Wenn das BfS einen irrelevanten statistischen Fehler macht und diesen nach zwei Tagen erkennt, korrigiert und kommuniziert fordert man externe Untersuchungen. Lustige Truppe.