Frau Scheidegger, ist Stealthing eine Straftat?
Nora Scheidegger: Stealthing an und für sich ist kein Straftatbestand. Es ist eine Handlung, die einen Namen bekommen hat. Die bisher noch nicht endgültig geklärte Frage ist, ob Stealthing strafrechtlich fassbar ist. Momentan sieht es danach aus, dass es nicht als Sexualdelikt betrachtet wird.
Heute bestätigte das Obergericht das Urteil des Bezirksgerichts Bülach und sprach einen Mann vom Vorwurf der Schändung frei. Er entfernte während dem Sex heimlich das Kondom, obwohl dies die Frau nicht wollte. Warum wurde der Mann freigesprochen?
Weil der Tatbestand der Schändung im Raum stand und dieser nicht erfüllt war. Bei der Schändung geht es darum, ob ein Opfer widerstandsunfähig ist. Bei Stealthing liegt allerdings eher eine Täuschung und nicht Widerstandsunfähigkeit vor. Meiner Auffassung nach ist der Freispruch korrekt. Ein Grundsatz im Strafrecht lautet: Es gibt keine Strafe ohne Gesetz. Man darf nur Verhaltensweisen bestrafen, die auch wirklich unter Strafe gestellt sind. Und wenn man diesen Grundsatz ernst nimmt, dann muss man freisprechen, wenn es bei Stealthing um den Vorwurf der Schändung geht. Aber der Fall zeigt, dass das Sexualstrafrecht reformiert werden muss.
Inwiefern?
Für mich stellt Stealthing eine Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung dar. Aber von den Tatbeständen, die wir jetzt haben, greift keiner, um ein solches Verhalten angemessen zu bestrafen. Im Gesetz müsste deswegen klar stehen, dass Sex ohne Einwilligung eine Straftat ist. In Deutschland ist jetzt Sex gegen den erkennbaren Willen einer Person gesetzlich verboten und Stealthing kann dort als Sexualdelikt bestraft werden.
Anders als das Zürcher Obergericht urteilte das Waadländer Kantonsgericht. Es verurteilte 2017 einen Mann wegen Schändung, weil er beim Sex mit einer Escort-Dame das Kondom heimlich auszog. Warum entschieden die Gerichte so unterschiedlich?
Es ist eine Auslegungsfrage. Und es kommt ab und zu vor, dass Gerichte Tatbestände unterschiedlich auslegen und zu unterschiedlichen Urteilen kommen. Das Kantonsgericht Waadt sagte, dass eine Person widerstandsunfähig ist, wenn sie nicht sieht, dass kein Kondom benutzt wird. Darum befand es, dass es sich um Schändung handelte. Das Obergericht in Zürich und zuvor auch schon das Bezirksgericht schauten das genauer an und kamen zum Schluss, dass ein Opfer von Stealthing nicht als «widerstandsunfähig» gelten kann.
Ist denn «Schändung» einfach der falsche Tatbestand, der angeklagt wurde?
Das erstinstanzliche Gericht in Waadt sprach zuerst sogar noch von einer Vergewaltigung. Aber das wurde von der zweiten Instanz zu Recht verneint. Diese ordnete Stealthing stattdessen wie gesagt als Schändung ein. In Zürich und in Basel-Land hingegen entschieden die Gerichte, dass es auch keine Schändung ist. Eine andere Sexualstraftat, die hier in Frage kommen könnte, gibt es nicht. Das einzige, das in Frage käme, wäre die Körperverletzung. Wegen den ganzen Nebenwirkungen, die diese Art von Missbrauch nach sich zieht. Mit den HIV-Prophylaxen und der Pille danach. Aber dies wurde in den Stealthing-Fällen, die bisher vor Gericht waren, offenbar nicht angeklagt.
Die unterschiedlichen Urteile zeigen: Es fehlt eine klare Rechtsprechung. Was muss jetzt passieren?
Jetzt kann die Staatsanwaltschaft das Urteil an das Bundesgericht weiterziehen. Dieses müsste dann entscheiden, ob es sich bei Stealthing um Schändung handelt oder nicht. Wenn das Bundesgericht zum Schluss kommt, dass es keine Schändung ist, dann muss man schauen, ob man die Lücke auf gesetzgeberischem Weg schliessen kann.
Sie machen sich stark für eine Reform des Sexualstrafrechts. Warum?
Weil in einem zeitgemässen Sexualstrafrecht die Einwilligung zum Sex Dreh- und Angelpunkt sein muss.
Und Stealthing könnte nach einer Reform des Sexualstrafrechts erfasst werden?
Ja, das hängt damit zusammen. Eine Einwilligung zu Sex mit Kondom ist halt nicht dasselbe wie eine Einwilligung zu Sex ohne Kondom. Und beim Stealthing geht es ja gerade darum: Um ungeschützten Geschlechtsverkehr, der ohne Einwilligung passiert. In einem reformierten Sexualstrafrecht wäre das also vermutlich erfassbar.
Hört auf unbestätigte Vermutungen als Fakt zu verkaufen! Das ist doch eben nun keine Tatsache, sondern einfach die Version der Anklägerin. Der Angeklagte dagegen behauptet, die Anklägerin hätte den Kondom entfernt beim Oralverkehr und dann aufgefordert weiter Sex zu haben.
Egal wie die Gesetzeslage aussieht, egal was die beiden vorher bezüglich Kondom abgesprochen haben, es ändert nichts an der Tatsache, das bei so einem Fall höchstens Aussage vs Aussage gilt und die Unschuldsvermutung gilt.
Einen Menschen wegen Schändung zu verurteilen, obwohl Aussage gegen Aussage steht, ist aber auch nicht ohne.
Es gibt auch Kondome für die Frau, da weiss sie was passiert und es lässt sich wohl nicht unbemerkt entfernen.
Ich finde das Thema zudem extrem komplex. Weil wenn was passiert hast du ja Aussage gegen Aussage und im eifer des Gefechts kann ja auch ein "Unfall" passieren oder die Frau stülpt es unbewusst selbst ab weil sie einen BJ geben möchte.
Auch Alkohol, Drogen oder sonst was kann die Situation verzerren.
NATÜRLICH!!! Vollends bewusstes tun sollte man unter strafe setzen. vor allem wenn es vorsätzlich ist.