Schweiz
Islamischer Staat (IS)

Verdacht: IS-Attentäter von Zürich in Schweizer Moschee radikalisiert

IS-Attentäter von Zürich: Anis T. (in blauem Kapuzenpulli vorne rechts) in der Friedensmoschee von Zürich-Schwamendingen.
Dieses CH Media zur Verfügung gestellte Foto zeigt Anis T. (in blauem Kapuzenpullover vorne rechts) in der Friedensmoschee von Zürich-Schwamendingen.Bild: ZVG

Böser Verdacht: IS-Attentäter von Zürich hat sich in Schweizer Moschee radikalisiert

Die Hinweise verdichten sich, dass sich der 15-jährige Schweizer nicht nur online radikalisierte. Er verkehrte in einer Moschee, deren Imam als «Vorzeigeprediger» gilt – mit Kontakten in die Politik.
23.03.2024, 19:30
Kurt Pelda / ch media
Mehr «Schweiz»

Noch an Ort und Stelle beschlagnahmen Polizisten am 3. März das Telefon des Terroristen von Zürich. Kurz zuvor hat der Teenager einen orthodoxen Juden auf offener Strasse niedergestochen und schwer verletzt. Schnell schaffen es die Polizisten, das Smartphone von Anis T. (Name geändert) zu entsperren. So werden sie noch am Tatort auf die Profile des 15-Jährigen in den sozialen Medien aufmerksam. Dort hat der Terrorist sein Attentat schon am Vortag angekündigt, wie sich später herausstellt.

Fieberhaft wird in der Nacht untersucht, ob das Telefon Hinweise auf andere, möglicherweise zeitgleich geplante Anschläge geben könnte. Zumindest in diesem Punkt werden die Ermittler nicht fündig.

Videos mit Palästinensern und Israeli

Später stossen die Polizisten jedoch auf Chats in geschlossenen Gruppen von Extremisten und auf Videos, die sich der tunesischstämmige Schweizer angesehen hat. Darunter befinden sich solche, die israelische Soldaten bei Verhaftungen von palästinensischen Frauen zeigen. Das könnte einer der Puzzleteile sein, welche die Radikalisierung von Anis T. mit erklären und auch, warum sich sein Hass vor allem gegen Juden richtete.

Anis T. hatte unzählige Profile in den sozialen Medien, die nun alle zu durchforsten sind. Mit seinem am stärksten vernetzten Konto folgte er mehr als 1200 Profilen, viele davon mit offensichtlicher Nähe zum Islamischen Staat (IS). Bei den Konten ohne Hinweise auf Terrorismus gab es einige wenige mit Bezug zur Schweiz. So folgte Anis T. zwei verschiedenen Profilen eines im Kanton Zürich lebenden Arabers.

Es ist der Jugendarbeiter Hamza D. (Name geändert). Unter den von ihm verbreiteten Inhalten stossen wir auf ein aufschlussreiches Foto: Es zeigt Anis T. in einer Moschee und mit einer Gruppe von Jugendlichen, die ein Diplom in den Händen halten. Hamza M. steht lächelnd in der Mitte. Das Bild ist vom Januar 2024.

Ein palästinensischer Jugendarbeiter

Unter den zahlreichen Bildern, die Hamza D. mit muslimischen Kindern und Jugendlichen zeigen, findet sich noch ein zweites, etwas älteres Foto mit ähnlichem Inhalt, aber ohne den Attentäter von Zürich. Auch auf diesem Bild, das im selben Gotteshaus aufgenommen wurde, halten die Jugendlichen Diplome in der Hand. Aus der Beschreibung des Jugendarbeiters geht hervor, dass die Diplomierten für ihre Lektüre eines arabischen Buchs geehrt wurden, das ein islamischer Gelehrter im 13. Jahrhundert verfasst hat.

Bei Hamza D. handelt es sich um einen anerkannten Flüchtling, einen aus Syrien stammenden Palästinenser. Aus den Einträgen seiner verschiedenen Profile geht hervor, dass sich der Mann für die Sache der Palästinenser einsetzt und eine eher konservative Interpretation des Islams vertritt. Er wirkt aber keinesfalls wie ein IS-Anhänger oder ein gewalttätiger Extremist.

Auffällig ist ein Beitrag, in dem die ersten Zeilen eines islamischen Kampflieds aus Syrien wiedergegeben werden. Übersetzt heisst es da sinngemäss: «Erhebe deine Hand, (…) entweder als Sieger oder Märtyrer, triff die letzte Entscheidung, nimm den letzten Schritt in Angriff.» Labile, schlecht integrierte Jugendliche wie Anis T. könnten solche Worte leicht missverstehen, falls sie sie denn zu lesen oder zu hören bekommen.

Beim Jugendzentrum, in dem Hamza M. beschäftigt ist, heisst es, dass die Jugendarbeit auf die Betroffenen integrierend und befähigend wirke. Dass sich radikalisierte Menschen wie Anis T. durch Jugendarbeit überhaupt noch erreichen lassen, ist allerdings zu bezweifeln. Wie die NZZ berichtete, verbrachte der eingebürgerte Teenager die Zeit im Alter von 9 bis 13 Jahren in Tunesien mit seiner Mutter - angeblich, weil die Familie zu wenig Geld hatte, um sich das Leben in der Schweiz zu leisten.

Das mag erklären, warum Anis T. bei seiner Tat relativ schlechten Zürcher Dialekt sprach und nach seiner Rückkehr in die Schweiz kaum Anschluss bei Gleichaltrigen gefunden hatte.

Besuch in der Friedensmoschee

Angesprochen auf das Foto, das ihn und Anis T. zeigt, antwortet Hamza D. ausweichend. Er könne nicht viel über den Attentäter sagen, weil dieser nur sechs bis sieben Mal jeweils eine Stunde pro Woche in der Jugendgruppe der Friedensmoschee in Schwamendingen verbracht habe. Dies sei auch der Grund, warum Anis T. auf dem Foto - im Gegensatz zu den anderen Jugendlichen - kein Diplom vorzuweisen habe. An den Inhalt dieses Kurses könne er sich aber nicht mehr erinnern.

«Ich will Anis T. vergessen, er ist kurz zu uns gekommen und ebenso schnell wieder verschwunden», meint der Jugendarbeiter. «Wir waren alle enttäuscht von ihm, als wir erfuhren, was er gemacht hat.» Er sei sicher, dass Anis T. mit psychischen Beeinträchtigungen zu kämpfen hatte. Auf die Frage, ob nicht aufgefallen sei, wie sehr Anis T. im Januar schon radikalisiert war, reagiert Hamza M. wieder ausweichend: «Er gehörte nicht zu uns. Wir wollen ihn schnell vergessen, wir sind alle Opfer dieser schlechten Person.»

Kurz vor dem Freitagsgebet empfängt ein freundlicher Mitarbeiter im Büro der Friedensmoschee, die offiziell «Kulturzentrum Haus des Friedens» heisst. Der Mann wirkt überrascht, als ihm das Foto von der Jugendgruppe gezeigt wird. «Woher haben Sie das», ist seine erste Reaktion. Imam Fahredin Bunjaku sei nicht da, man solle ihm die Fragen doch direkt per E-Mail stellen. «Wir haben die Tat von Anis T. klar verurteilt», meint der Mitarbeiter dann weiter.

Ausserdem habe die Moschee alle Überwachungsvideos den Ermittlern übergeben. Anis T. habe keinen richtigen Anschluss in der Jugendgruppe gefunden, er sei wohl ein Einzelgänger. Eine Antwort von Imam Bunjaku auf die per E-Mail gestellten Fragen traf bis zum Redaktionsschluss nicht ein.

Selfies mit Politikerinnen

Was für ein Gotteshaus ist die Friedensmoschee? Es gibt einen kleinen Gebetsraum für die Männer und ein abgetrenntes zweites Zimmer für die Frauen, das noch kleiner ist. Imam Bunjaku hat sich nach eigenen Angaben in Jordanien in der Religion ausbilden lassen.

Regierungsrätin Jacqueline Fehr mit Imam Bunjaku in der Kirche Enge.
Regierungsrätin Jacqueline Fehr mit Imam Bunjaku in der Kirche Enge.Screenshot: Instagram

Es stellt sich schnell heraus, dass er zu einer Art Vorzeigeprediger aufgestiegen ist, der prominente Vertreter aus den jüdischen und christlichen Gemeinden kennt. Auch bei den Politikern ist er kein Unbekannter. So trat Bunjaku 2022 zusammen mit einem Rabbiner an einer interreligiösen Veranstaltung auf, an der die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP) in der Kirche Enge eine Predigt hielt. An einer ähnlichen Veranstaltung 2023 liess sich Sofia Karakostas (SP), derzeit die höchste Stadtzürcherin, ebenfalls mit Bunjaku ablichten.

Ein Blick in die Vergangenheit hätte allerdings schnell gezeigt, dass in der Friedensmoschee nicht nur unproblematische Personen verkehren. So hielt der in Deutschland aufgewachsene Stef Keris dort schon einen Vortrag. Der deutsche Verfassungsschutz rechnet ihn dem salafistischen Spektrum zu.

Keris arbeitet mit dem deutschen Salafisten Marcel Krass zusammen, dessen Videos vor Jahren schon zur Radikalisierung einiger IS-Dschihadisten in Winterthur beigetragen haben. Interessanterweise findet sich auf dem Instagram-Profil der Friedensmoschee auch ein Zitat von Krass. Ein anderes Referat hielt ein Schweizer, der einst zu den ersten Mitgliedern des salafistischen Islamischen Zentralrats Schweiz (heute IZR) gehörte.

(aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
2 Jahre Ukraine-Krieg in 34 Bildern
1 / 37
2 Jahre Ukraine-Krieg in 34 Bildern
Von ihrem Nachbarn überfallen, kämpft die Ukraine ums Überleben. In dieser Bildstrecke schauen wir auf die Ereignisse seit der Invasion Russlands zurück ...
quelle: keystone / bo amstrup
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Arnold Schwarzeneggers starke Botschaft gegen Hass und Antisemitismus
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
83 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Esther R.
23.03.2024 20:07registriert November 2018
«Ich will Anis T. vergessen, er ist kurz zu uns gekommen und ebenso schnell wieder verschwunden»,
«Er gehörte nicht zu uns. Wir wollen ihn schnell vergessen, wir sind alle Opfer dieser schlechten Person.»
Was sind das für Antworten?! Das Opfer und seine Familie möchten Anis T. auch gerne vergessen, können diese aber nicht weil sie schwer traumatisiert sind und das Opfer noch einen langen Weg vor sich hat.
Was tun Moscheen in der Schweiz, um solche Radikalisierungen zu verhindern? Vergessen, ist auf jeden Fall die falsche Antwort.
22320
Melden
Zum Kommentar
avatar
Slbstdkr
23.03.2024 20:52registriert April 2023
In vielen Moscheen Europas wird gegen den Westen resp. „die Ungläubigen“ gehetzt. Solange das als Religionsfreiheit angeschaut wird, werden solche Taten nicht zu vermeiden sein. Es werden sich immer wieder Leute radikalisieren lassen.
19913
Melden
Zum Kommentar
avatar
hgehjvkoohgfdthj
23.03.2024 20:54registriert März 2020
Ich bin dafür, dass nur in der Schweiz ausgebildete Imame predigen dürfen. Anders kriegen wir das Hassprediger-Problem nicht unter Kontrolle.
16610
Melden
Zum Kommentar
83
Rassismus-Vorfälle haben 2023 in der Schweiz um 24 Prozent zugenommen

In der Schweiz sind im vergangenen Jahr 24 Prozent mehr rassistische Vorfälle gemeldet worden. Der Krieg im Nahen Osten habe rassistische und antisemitische Dynamiken in der Gesellschaft verstärkt, schreibt die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) in einer Mitteilung.

Zur Story