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Fondation Beyeler: Erste Retrospektive von Yayoi Kusama in der Schweiz

epa12444701 The installation 'Infinity Mirrored Room ?- The Hope of the Polka Dots Buried in Infinity Will Eternally Cover the Universe' of Japanese artist Yayoi Kusama is on display at the  ...
Bild: keystone

Wieso diese Künstlerin mit Kürbissen spricht und 10 Millionen Dollar wert ist

Die Fondation Beyeler zeigt die erste Retrospektive der Starkünstlerin Yayoi Kusama in der Schweiz. Dass sie in Tokio in einer psychiatrischen Klinik lebt und arbeitet ist längst nicht das Aussergewöhnlichste an ihr.
12.10.2025, 08:4012.10.2025, 08:40
Daniele Muscionico / ch media

Die Erwartungen sind hoch, die Fakten überwältigen. Diese Ausstellung wird das Schweizer Kunstjahr 2025 mit einer Künstlerin krönen, die von Galeristinnen, Sammlern, von Sinnsuchenden und Skeptikerinnen wie ein Popstar verehrt wird. Ein Star, ein Stern, ein fremder Planet.

Die umsatzstärkste lebende Frau des zeitgenössischen Kunstmarkts kommt in die Schweiz. In der Fondation Beyeler ist Yayoi Kusama gelandet. Sie ist Japanerin und 95 Jahre alt. Kusama, die Person und Kusama, ihre Kunst sind eins.

Und so kennt man die Autodidaktin aus Bildern, die Millionenfach auf Instagramm kursieren, da sie ungemein instagrammable sind, visuell attraktiv: Ein altersloses Gesicht unter der signalroten Perücke, Pagenschnitt, der Blick frontal in die Kamera gerichtet. Ausdruck sucht man vergeblich, doch der Eindruck ihres Wesens ist magisch.

Heilung durch Kunst, Therapie als Lebensform

So ausserirdisch blickt jemand, der mehr weiss als wir, andere Zustände erfahren hat. Kusama leidet an Phobien und an den gesellschaftlichen Wundstellen, Ausschläge ihrer Zeit: Die Kriege ihrer Heimat damals, Hiroshima, Nagasaki, die Gewalt ihrer doppelmoralischen Familie – der Irrsinn der tagtäglichen Auslöschung der Natur.

Ihre Kunst, Kunst überhaupt, sagt sie, wird heilen. Heil geblieben im Rahmen des Möglichen, überhaupt am Leben geblieben, ist die Künstlerin nur dank ihr.

Malerei als Flucht? In ihrer Autobiografie «Infinity Net» schreibt sie: «Malen war für mich die einzige Möglichkeit, auf dieser Welt zu existieren, oder anders gesagt, war Malen eine aus der Not geborene Leidenschaft.» Schon als Kind hat sie auditive und visuelle Halluzinationen – Pflanzen sprechen mit ihr, Punkte besetzen ihre Körper – später wird man die Wahrnehmungen als Zwangsstörungen diagnostizieren.

Phallusgleiche Tentakel greifen nach deinem Ich

Kusama inszeniert sich für die Medien gerne in ihrem unendlichen Spiegel-Raum («Infinity Mirror Room»), wie er jetzt auch in der Fondation Beyeler eingerichtet ist. Im Untergeschoss ein Saal aus scheinbar unendlich langen, hohen, phallusgleichen, gelb-schwarz gepunkteten Tentakeln. Dazu Spiegelwände geeignet, das eigene Ich abzustreifen, um neugeboren, befreit wieder an die Oberwelt zu klettern.

Oft zeigt sie sich auch vor ihren gebänderten, gepunkteten Gemälden, und dann ist sie das Gemälde selbst. Auch von diesen Bildern kann man in Riehen eine erschlagende, auch erdrückende Menge antreffen. Unendlichkeit, Wiederholung, Selbstauflösung, Tod, aber auch die Widerstandskraft des Lebens sind Kusamas grosse Bild-Themen. Von den Sternen hoch oben bis in die Hölle tief innen ist in ihrem Universum alles mit allem verbunden.

Diese Verbindung schafft der Punkt. Punkte, unzählige, machen den Blick üblicherweise unscharf, sie entfalten eine flirrende Sogwirkung. Kusama aber meint: «Wenn ich Punkte sehe, werden meine Augen klarer.» Die Frau, die ihre eigene Welt ist, steht für die Verpunktung der Welt.

Sie lebt in einem Punkte-Kosmos, denn auch sie erlebt sich als einer dieser Punkte. Wenn sie Punkte malt, belebt sie die ihr fremde Aussenwelt. Sie ist der Punkt und setzt ihn. Alles war sie schon einmal: Dichterin und Romanautorin, Malerin und Bildhauerin, Aktivistin in Modedesignerin mit eigenem Label.

Im Greisenalter ist sie vor allem eines, Gewinnerin. 10, 5 Millionen Dollar bezahlt der Markt für Kusamas grössten punktierten Metall-Kürbisse. Der Punkt, der Polka-Dot, ist ihr Markenzeichen. Yayoi Kusama lebt und arbeitet in der offenen Abteilung einer Klinik in Tokio, wo sie ihr eigenes Museum eröffnet hat.

Von hier aus überwacht sie dank ihres Mitarbeiterstabs, was im hohen Alter mit ihrem Werk und ihrer Person geschieht: Die Kusamaisierung des Kunstmarkts. Zum Ende ihres Lebens scheint sie die Hoffnungsträgerin eines individuellen, kosmologisch-philosophischen Kunstbegriffs zu sein. Ihre leidvolle Biografie als Bonusmaterial und Verständnishilfe des Œuvres.

Die Retrospektive macht den Garten zum Unendlichkeitsraum

Die erste Retrospektive in der Schweiz findet, keine Überraschung, in Riehen statt. Das Museum hat die personellen Netzwerke und die Räume dazu. Auch im Aussen: Die überwältigende Kusama-Schau – mit über 130 neuen, teils noch malfeuchten Exponaten – nimmt nicht nur zehn Säle in Beschlag. Sie migriert in den herbstlichen Garten.

Im Teich zwischen Seerosenblättern bewegen sich 1200 reflektierende Plastikkugeln der Installation «Narcissus Garden» so poetisch, dass man Narziss-haft niemals ins Wasser fallen wird. Denn kein Gesicht kann je so anziehend sein wie die Bewegung der dreidimensionalen Punkte-Flotte. Die Installation hat Kusama 1966 für die Biennale in Venedig geschaffen, illegal. Sie war damals offiziell nicht eingeladen und verkaufte, aus schierer finanzieller Not, die Spiegelkugeln an Passanten.

Die Retrospektive aus sieben Jahrzehnten entwickelt sich in Riehen exakt entlang der Chronologie ihres Lebens zwischen Matsumoto (1929-1958), New York (1958-1973) und schliesslich wieder Japan, Tokio.

In den Räumen entdeckt man eine Universalkünstlerin, der Kunst so selbstverständlich wie Atmen scheint: Das erste Selbstporträt mit  15 Jahren; wenig bekannte Gemälde und Aquarelle aus den vierziger und fünfziger Jahren, sehr dunkel gestimmt, die Stimmung der Zeit entsprechend.  Kusama katalysiert den Zeitgeist und seine Ängste.

Andy Warhol war von ihr begeistert

Dann die prägenden Jahre in New York, in das sie von Malerin Giorgia O’ Keeffe eingeladen wurde, um sich aus dem konservativen Japan frei zu sprengen. In Amerik wird Kusama eine Wegbereiterin des Minimalismus' und der Pop-Art, ihre Performances und Happenings sorgen für Schlagzeilen. Ihre Antikriegs- und Gleichstellungshappenings rufen die Polizei auf den Plan.

Der Künstlerin, die Warhol kannte und ihn in vielem inspiriert haben mag, auch zur Idee, sich als Marke zu inszenieren, erging es in New York allerdings nicht gut. Einsam, arm und hungrig malte sie wie eine Besessene ihre heute Millionen teuren «Infinitiy Nets» – kleine Kreise auf übergrossen Leinwänden. «Ich wollte eine Revolution in der Kunst bewirken, und mein Entschluss erregte mich so sehr, dass ich sogar den Hunger vergass,» schreibt sie in ihrer Autobiografie.

Ihr zäher, unermüdlicher Schaffensdrang lässt sie niemals ruhig werden. Mit 96 Jahren sind ihre Bilder rudimentärer und ist ihre Motivik simpler geworden. Doch auch heilsam explizit: «Every Day Pray For Love», rät sie auf einem neuen Gemälde. Aufgeben gilt für sie nicht. Das Beste kommt noch, der Tod. Yayoi Kusama erwartet ihn tröstlich. (aargauerzeitung.ch)

«Yayoi Kusama», Fondation Beyeler, Riehen, bis 25. Januar 2026

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