Die St.Galler Anklagekammer muss sich ein zweites Mal mit einem Fall befassen, in dem es um sexuelle Handlungen zwischen einem Jungen mit seiner eineinhalb Jahre jüngeren Schwester geht. Dies hat das Bundesgericht entschieden.
Die Anklagekammer habe es unterlassen, in rechtlicher Hinsicht zu prüfen, ob der Junge Zwang ausgeübt und so die Willensbildung seiner Schwester beeinflusst habe, schreibt das Bundesgericht in einem am Mittwoch veröffentlichten Urteil. Die Vorinstanz war davon ausgegangen, dass sich das Mädchen seinem Bruder eigenständig hätte entgegensetzen können.
Damit habe die Anklagekammer nicht berücksichtigt, dass es sich beim Opfer um ein zwar urteilsfähiges, aber stark beeinflussbares Kind gehandelt habe, schreibt das Bundesgericht. Das Mädchen habe die sexuellen Handlungen ab einem gewissen Zeitpunkt als «nicht mehr ok» empfunden, sich aber nicht gewehrt.
Der Junge sei in sexuellen Belangen auffällig reif gewesen. Er sei die wichtigste und engste Bezugs- und Vertrauensperson seiner Schwester gewesen und habe die einseitige Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse gewünscht.
Die ersten sexuellen Handlungen zwischen den eng verbundenen Geschwistern ereigneten sich, als die Kinder sieben und sechs Jahre alt waren. Sie begannen mit «kindlichen Doktorspielen», wie das Bundesgericht in seinem Urteil ausführt. Zwischen dem zehnten und dreizehnten Lebensjahr des Mädchens vollzog der Bruder dann wiederholt Analverkehr an seiner Schwester.
Als sie etwa elf Jahre alt war, wollte das Mädchen dies nicht mehr und glaubte ihrem Bruder auch nicht mehr die Geschichten über Geister, die ihn sonst plagen würden, oder die Kopfschmerzen. In den Jahren 2019 und 2020 kam es schliesslich zu zwei Gefährdungsmeldungen.
Der Junge zeigte sich selbst an, so dass die Jugendanwaltschaft Ermittlungen aufnahm. Gegen die Einstellung des Verfahrens im Frühling vergangenen Jahres legte das Mädchen Beschwerde ein. Die Anklagekammer wies diese ab. Das Bundesgericht hat ihre Beschwerde nun teilweise gutgeheissen. (Urteil 6B_968/2021 vom 31.1.2022) (aeg/sda)