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Der letzte Fischotter in der Schweiz und die Gründe für sein Aussterben

Die Schweizer Filmwochenschau berichtete 1952 über das bedrohte Leben der Fischotter.Video: extern

Der letzte Fischotter

Gezielte Verfolgung, Lebensraumveränderung und Umweltgifte gelten als Ursachen für das Aussterben des Fischotters, wie im Naturama in Aarau vor einem über 100-jährigen, präparierten Exponat zu lesen ist. Das 1990 konstatierte «Ende des Fischotters in der Schweiz» ist eng mit der Wirtschaftsgeschichte verknüpft.
19.07.2025, 21:1419.07.2025, 21:14
Claudia Aufdermauer / Schweizerisches Nationalmuseum
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1989 schwamm der vorerst letzte Fischotter in der Schweiz – im Neuenburgersee. Wie viele Menschen sich dieses seltenen Naturschauspiels bewusst waren, lässt sich nicht sagen. Die Fachleute, allen voran die Fischottergruppe Schweiz, wussten, dass die Tage des Fischotters gezählt waren. 1990 schrieben sie in einem Bericht an das Bundesamt für Umwelt, Wald und Landschaft: «Man wird sich damit abfinden müssen, dass der Fischotter in unserem Land nur in Zoos und Museen vorkommt.»

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Ein Fischotter im Zoo Zürich, 1985.
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Ein Fischotter im Zoo Zürich, 1985.Bild: e-pics

Der Fischotter starb nicht von heute auf morgen aus. Die Menschen in der Schweiz haben lange Zeit – bewusst und unbewusst – dazu beigetragen. Mit der Industrialisierung wurden Kanäle gebaut, Wasserräder betrieben, Flüsse korrigiert, Feuchtgebiete trockengelegt und Wasserwege mit Dampfschiffen befahren. Feste Abfälle und flüssige Abwässer aus Fabriken und Städten wurden ungereinigt in die Fliessgewässer geleitet – mit dem Ziel, alles ins Meer, in diesen grossen Vorratsbehälter, zu befördern.

1875 setzte ein gewisses Umdenken ein. Erstmals wurden bestimmte Fischarten unter nationalen Schutz gestellt: Fischschädliche Fabrikabwässer wurden verboten, Schonzeiten eingeführt und das Fischen mit Dynamit untersagt. Mit Tierliebe im heutigen Sinne hatte das allerdings nichts zu tun. Erklärtes Ziel des Fischereigesetzes war es, den Jahresertrag der Schweizer Fischerei von bisher 400'000 Franken zu verdoppeln. Diese Geisteshaltung zeigte sich auch darin, dass auf den Fischotter nun erst recht geschossen wurde – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.

Der Jäger Rudolf Plattner posiert mit einem erlegten Fischotter in Reigoldswil, 1927.
Der Jäger Rudolf Plattner posiert mit einem erlegten Fischotter in Reigoldswil, 1927.Bild: Staatsarchiv des Kantons Basel-Landschaft, StABL PA 6281 02.01

Um den Ertrag der Fischerei zu steigern, sollten besonders fischereischädigende Tiere ausgerottet werden. Im Auftrag des Bundes setzten die Kantone Jagdprämien ein: 6 Franken war 1891 im Kanton Zug die abgeschnittene Kralle eines Fischreihers wert, 30 Franken die Schnauze eines Fischotters. Dem Bundesrat waren diese Prämien, verglichen mit dem «ganz enormen Schaden, den dieses Raubzeug dem Fischbestand» zufüge, immer noch zu niedrig. Die Kantone erhöhten daraufhin die Prämien.

Im Geschäftsblatt für den obern Teil des Kantons Bern wird 1890 ein Jäger für das Erlegen von sieben Fischottern gelobt. Gleichzeitig werden andere Jäger ermutigt, ebenfalls der finanziell lohnenden O ...
Im Geschäftsblatt für den obern Teil des Kantons Bern wird 1890 ein Jäger für das Erlegen von sieben Fischottern gelobt. Gleichzeitig werden andere Jäger ermutigt, ebenfalls der finanziell lohnenden Otterjagd nachzugehen.Bild: e-newspaperarchives

Schliesslich gingen die Fischotterbestände zurück. Mitte des 20. Jahrhunderts lebten nur noch 100 Fischotter in der Schweiz. Die Ausrottung schien auf gutem Wege – nur war dies zu dieser Zeit kein erstrebenswertes Ziel mehr. Nachdem sich der Schweizerische Bund für Naturschutz (heute Pro Natura) bereits seit 1917 für die Erhaltung des Fischotters eingesetzt hatte, setzte auf nationaler Ebene nach und nach ein Umdenken ein. 1952 wurde der Fischotter offiziell unter Schutz gestellt. Die Anzahl der Fischotter nahm jedoch weiterhin ab. Die Bestände erholten sich trotz Wiederansiedlungsversuchen in den 1970er-Jahren nicht.

Was war geschehen? Warum nahm der Fischotterbestand trotz Schutzbestimmungen nicht zu? Mit diesen Fragen beschäftigte sich 1990 die bereits erwähnte Fischottergruppe Schweiz. Sie untersuchte, weshalb die Wiederansiedlung des Fischotters in den letzten Jahrzehnten nicht gelungen war und kam zum Schluss, dass es nicht am grundsätzlichen Mangel an geeigneten Lebensräumen lag, denn die Bestände gingen europaweit zurück. Die Gruppe war überzeugt, dass die einzige Hypothese, die das grossflächige Aussterben des Fischotters in Europa erklären könne, die chronische Vergiftung der Fischotter mit PCBs aus der Nahrung sei.

Illustration zur Anreicherung von giftigen Stoffen in der Nahrungskette, um 1979.
Illustration zur Anreicherung von giftigen Stoffen in der Nahrungskette, um 1979.Grafik: Oekologie und Umweltschutz. Ein Beitrag der Schweizerischen
Rückversicherungs-Gesellschaftin Zürich zur Diskussion um den
Problemkreis «Ökologie und Umwelt»

Polychlorierte Biphenyle, kurz PCB, wurden ab 1930 weltweit als Industriechemikalie eingesetzt. In der Schweiz kamen sie unter anderem als Isolieröle in Transformatoren, als Kondensatoren in Leuchtstoffröhren und als Zusatz in Fugendichtungsmassen zum Einsatz. Aus industrieller Sicht verfügen PCB über hervorragende chemische und physikalische Eigenschaften: Sie schützen vor starken Säuren, leiten Wärme, sind nur gering wasserlöslich, ungewöhnlich hitzebeständig und chemisch stabil.

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Wegen ihrer chemischen Stabilität sind PCB biologisch schlecht abbaubar. Sie reichern sich aufgrund ihrer Fettlöslichkeit in der Nahrungskette an. Man spricht von Bioakkumulation. Ausserdem stehen PCB im Verdacht, krebserregend zu sein. Sie sind weltweit verbreitet: PCB konnten in Kinderhaaren, Seeadlern, Fischen und arktischen Seehunden nachgewiesen werden. Ab den 1970er-Jahren wurden PCB in immer mehr Ländern verboten. In der Schweiz gilt seit 1986 ein Totalverbot.

Wie die Fischottergruppe Schweiz schrieb, erhärtete sich der Verdacht, dass die Fischotter, die am Ende der Nahrungskette stehen, bei einer hohen PCB-Konzentration im Körperfett fortpflanzungsunfähig würden. Experimente mit den mit Fischottern eng verwandten Nerzen hätten dies belegt. Aufgrund der hohen PCB-Belastung der Schweizer Gewässer erachtete es die Fischottergruppe Schweiz 1990 nicht als sinnvoll, weitere Fischotter auszusetzen. Die Tiere hätten in der Schweiz vorläufig «keine Überlebenschancen mehr». Nach dem Tod des letzten Exemplars im Neuenburgersee war dies gemäss Fischottergruppe Schweiz das «Ende des Fischotters in der Schweiz».

20 Jahre lang konnte man in der Schweiz Fischotter nur noch als Exponate in Museen oder schwimmend in Tierparks und Zoos bewundern. Inwieweit dieser Verlust an Biodiversität in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, ist nicht bekannt. Seit 2009 werden wieder einzelne Tiere beobachtet. Die Stiftung Pro Lutra, die sich für die Rückkehr des Fischotters in die Schweiz einsetzt, geht davon aus, dass die Fischotter auf eigenen Pfoten über die Rhone, den Bodensee, den Inn und den Lago Maggiore in die Schweiz zurückgekehrt sind.

Seit einigen Jahren werden in der Schweiz wieder Fischotter gesichtet. Die Karte zeigt die Orte, an denen zwischen 2020 und 2025 Tiere beobachtet wurden.
https://prolutra.ch/fischotter/geschichte/
Seit einigen Jahren werden in der Schweiz wieder Fischotter gesichtet. Die Karte zeigt die Orte, an denen zwischen 2020 und 2025 Tiere beobachtet wurden.Karte: Pro Lutra

Was sagt die Rückkehr des Fischotters in die Schweiz über die PCB-Belastung der Schweizer Gewässer aus? Gemäss dem Bundesamt für Umwelt haben die PCB-Konzentrationen in der Luft, im Boden und in den Sedimenten von Oberflächengewässern seit dem Totalverbot abgenommen. Aus früheren Anwendungen seien aber noch relevante PCB-Mengen vorhanden. Die verbleibenden Quellen müssten identifiziert, sukzessive entfernt und fachgerecht entsorgt werden.

Wie wichtig dies ist, zeigte sich 2016, als bei Unterhaltsarbeiten an der Staumauer Punt dal Gall Partikel eines PCB-haltigen Korrosionsschutzanstrichs in den Fluss Spöl gelangten, der durch den Schweizerischen Nationalpark fliesst. Vier Jahre später wurde im Nationalpark ein toter Uhu gefunden, der eine extrem hohe PCB-Belastung aufwies. Aufgrund dieser Ereignisse sollen ab 2025 die PCB-Anreicherung im Spöl und in weniger verschmutzten Gewässern untersucht und miteinander verglichen werden. Dadurch sollen Erkenntnisse über die Belastung und Sanierung verschiedener Gewässersysteme gewonnen werden.

Vergif­te­te Schweiz
Es gibt nur wenige Untersuchungen, die sich mit den Schattenseiten der Industrialisierung befassen. Dies holt Claudia Aufdermauer mit dem Buch «Vergiftete Schweiz. Eine andere Geschichte der Industrialisierung» nach. Sie schreibt damit eine Umweltgeschichte der Industrialisierung mit Fokus auf das 19. und frühe 20. Jahrhundert – und ihren Auswirkungen bis heute.
>>> Weitere historische Artikel auf: blog.nationalmuseum.ch
watson übernimmt in loser Folge ausgesuchte Perlen aus dem Blog des Nationalmuseums. Der Beitrag «Der letzte Fischotter» erschien am 17. Juni.
blog.nationalmuseum.ch/2025/06/der-letzte-fischotter
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21 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Grillo
19.07.2025 21:49registriert Oktober 2020
Sehr intressanter Artikel, danke dafür.
In diesem Zusammenhang wäre auch ein Bericht über den Zyanidunfall, 1971 der Selve-Fabrik in Thun lohnenswert.
Damals wurde der gesamte Fischbestand der Aare bis in den Bielersee ausgelöscht.
Dieser Vorfall ist beinahe vergessen aber die Folgen für das Ökosystem Aare bis heute messbar.
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Plusplus
19.07.2025 21:43registriert Dezember 2021
Tja der Mensch, die selbsternannte Krone der Schöpfung. Löst ständig Probleme die es ohne ihn nicht gäbe.
🤷
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badWitch
20.07.2025 00:46registriert April 2025
Aber nicht doch! Alle Jäger sind grosse Tier- und Naturfreunde. Sagen sie jedenfalls alle, wenn man sie persönlich fragt. Und sie sagen auch, dass Jäger die Natur erhalten würden.
Die Hobbyjagd gehört endlich und endgültig verboten. Stattdessen brauchen wir ein paar Ranger. Die können dann auch gleich den ganzen Deppen auf die Finger klopfen, die in Laich-Gewässern baden gehen oder unter vertrocknetem Geäst im Naturschutzgebiet grillieren müssen.
So vieles läuft falsch. So vieles.
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