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Durchsetzungsinitiative: Wann erwachen Mitte und Wirtschaft?

Ein Straftäter wird zum Flughafen gebracht, von wo er ausgeschafft wird.
Ein Straftäter wird zum Flughafen gebracht, von wo er ausgeschafft wird.
Bild: KEYSTONE

Durchsetzungsinitiative startet durch: Wann erwachen die Mitte und die Wirtschaft?

In einer Umfrage spricht sich eine klare Mehrheit für die Durchsetzungsinitiative der SVP aus. Von den Gegnern ist bislang kaum etwas zu sehen. Dabei steht sehr viel auf dem Spiel.
12.11.2015, 08:0304.01.2016, 16:44
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Am 28. Februar 2016 droht den Anhängern einer offenen und liberalen Schweiz der nächste herbe Rückschlag. An diesem Tag kommt unter anderem die Volksinitiative zur Abstimmung, mit der die SVP die wortgetreue Durchsetzung ihrer Ausschaffungsinitiative verlangt. In einer Umfrage des Instituts GFS Bern im Auftrag des Verbands Interpharma sprechen sich 66 Prozent «bestimmt» oder «eher» für die Durchsetzungsinitiative aus, nur 31 Prozent sind dagegen.

Obwohl die Abstimmung noch mehr als drei Monate entfernt ist, dürfte eine Trendwende schwierig sein. Das GFS bezeichnet die Initiative «ausdrücklich als potenziell mehrheitsfähig, weil sie sowohl im nationalkonservativen wie auch im liberalen Lager Resonanz findet». Tatsächlich ist sie auch bei den Anhängern von FDP, CVP und Grünliberalen mehrheitsfähig. Nur die BDP-Basis sagt mehrheitlich Nein. Interpharma-Generalsekretär Thomas Cueni schwant Übles: «Es müsste ein kleines Wunder geben, damit die Initiative noch abgelehnt wird», sagte er der NZZ.

Das Resultat der GFS-Umfrage.
Das Resultat der GFS-Umfrage.
Grafik: gfs.bern

Eine schlagkräftige Gegenkampagne ist bislang nicht in Sicht. Diese defensive Haltung sei «nicht nachvollziehbar», schreibt die Zeitung in einem Kommentar. Die Durchsetzungsinitiative sei nicht weniger eine Wirtschaftsvorlage als die zweite Gotthardröhre oder die JUSO-Initiative gegen Nahrungsmittelspekulation, über die am 28. Februar 2016 ebenfalls abgestimmt wird: «Der Unterschied besteht darin, dass man sich mit einer Kampagne zur Beachtung des Rechtsstaats in der Ausländerpolitik nicht nur Freunde macht.»

Es ist das bekannte Lied: Das grosse Lager von Links bis Mitte-rechts inklusive Wirtschaft tut sich schwer damit, gegen ausländerkritische Vorlagen der SVP in den Kampf zu ziehen. Man tendiert dazu, sie zu unterschätzen, oder will sich an diesen heissen Eisen nicht die Finger verbrennen. So lief es bereits 2010 bei der Ausschaffungsinitiative, die mit dem neuen Volksbegehren durchgesetzt werden soll. Dabei sollten sich auch SP und Grüne Sorgen machen. Mehr als ein Drittel ihrer Anhängerschaft will laut GFS-Umfrage die Initiative annehmen.

Personenfreizügigkeit gefährdet

Die Flüchtlingskrise, die nun die Schweiz erreicht hat, macht es den Gegnern zusätzlich schwer. In der Schweiz herrscht ein Klima der Abschottung, das Härte gegenüber allen Ausländern verlangt, die irgendwie aus dem Rahmen fallen. Dabei ist die Durchsetzungsinitiative keine Lappalie. Die geforderte Ausschaffung von Ausländern selbst bei geringfügigen Delikten verstösst nicht nur gegen das Prinzip der Verhältnismässigkeit und die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), sondern auch gegen das Abkommen mit der EU zur Personenfreizügigkeit.

Dieses hält fest, dass ein Bürger eines Vertragsstaats nicht wegen eines Bagatelldelikts ausgewiesen werden darf. Die SVP-Initiative dagegen lässt allenfalls für Ersttäter ein kleines Schlupfloch. Zwar halten Staatsrechtler laut «Tages-Anzeiger» die Durchsetzungsinitiative für nicht umsetzbar, weil es in der Schweiz kein Verfassungsgericht gibt. Für die Gerichte sei das im März verabschiedete Bundesgesetz massgebend, das unter anderem eine Härtefallklausel enthält.

Wirtschaft soll handeln

Diese Interpretation wird jedoch von der SVP vehement bestritten. Allein das Signal bei einer Annahme wäre heikel, auch aus Sicht der Wirtschaft. «Letztlich geht es um die Frage, ob es überhaupt noch Spielraum bei der Umsetzung von Volksinitiativen gibt», sagte Thomas Cueni der NZZ. Er würde sich wünschen, «dass es in der Wirtschaft mehr Offenheit für die Tragweite dieser Vorlage gibt», sagte der Pharma-Lobbyist mit Blick auf die Personenfreizügigkeit.

SVP
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Die Meinung des Interpharma-Generalsekretärs hat Gewicht. Nun wird sich zeigen, ob die politische Mitte und die Wirtschaft rechtzeitig erwachen und eine glaubwürdige Nein-Kampagne auf die Beine stellen können. Sie könnten am ehesten eine Annahme verhindern. Der Einfluss der linken Parteien und der Medien reicht bei solchen Themen erfahrungsgemäss nicht sehr weit.

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73 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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dnsd
12.11.2015 08:32registriert November 2014
Da kann man doch nur laut lachen... Wir sind nicht auf kriminelle (!) Ausländer angewiesen und die EU lebt es gerade vor wie man Verträge bricht...
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el_chef
12.11.2015 09:21registriert August 2014
wenn jemand hilfe braucht und in ein fremdes land flieht, soll er diese auch bekommen, als gegenleistung soll er sich lediglich respektvoll verhalten und versuchen sich zu integrieren. schafft er das nicht, dann gibt es genügend leute, die genauso bedürftig sind, welche jedoch die chance nutzen wollen und sich dafür auch mühe geben
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Dewar
12.11.2015 11:07registriert Januar 2015
Generell ist das Anliegen, kriminelle Ausländer auszuschaffen, verständlich. Der Initiativtext ist aber ziemlich - sorry - stupid. Erstens war die Ausschaffung schon vor der Annahme möglich und auch Praxis. Zweitens wird die Ausschaffung im Initiativtext allein durch das Delikt begründet, unabhängig von der Schwere oder anderen Faktoren. So muss ein 18-Jähriger, der u.U. in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist, und ein paar Gramm Hanf verkauft, ausgeschafft werden, während einer, der jahrelang im grossen Stil Geld fälscht, hier bleiben kann. Bin ich die Einzige, die das absurd findet?
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