Sondersetting: Das Wort ist wohl erst allgemein bekannt, seit SRF vor sechs Jahren eine Dokumentation über den damals noch jugendlichen Straftäter «Carlos» sendete. Der Beitrag löste heftige Debatten über Sinn und Kosten der Behandlung aus, die unter anderem ein umstrittenes Thaibox-Training für den umfasste. Ein anderes Sondersetting gab es für «Carlos», der im März 2017 wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu einer Gefängnisstrafe von 18 Monaten verurteilt wurde, in der Zürcher Strafanstalt Pöschwies.
Seit August 2018 sass der mittlerweile 23-Jährige fast durchweg in einer pinkfarbenen Arrestzelle, die speziell für ihn umgerüstet wurde. Gemäss einem Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter konnte «Carlos» seinen vorgeschriebenen täglichen Spaziergang nicht immer machen. Und wenn er in den Gefängnishof durfte, dann nur mit Hand- und Fussfesseln sowie bewacht von mehreren Mitarbeitern in Schutzausrüstung. Weiter kritisierte die Kommission, dass «Carlos» in der Pöschwies täglich mit Personen in Kontakt komme, die in einem laufenden Strafverfahren gegen ihn aussagen.
Laut der Zürcher Staatsanwaltschaft soll er in verschiedenen Gefängnissen zahlreiche Angestellte, Polizisten und Mitinsassen geschädigt haben. Vor zwei Monaten gab Staatsanwalt Ulrich Krättli bekannt, dass er in 29 Fällen Anklage gegen «Carlos» erhebt. Dieser wird sich deshalb unter anderem wegen schwerer Körperverletzung, Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte vor Gericht verantworten müssen.
Auf den Prozess, dessen Termin noch nicht feststeht, wartet «Carlos» aber nicht mehr in der Strafanstalt Pöschwies. Wie das Onlinemagazin «Republik» berichtet, wurde der junge Straftäter Anfang Juni in die Justizvollzugsanstalt Lenzburg verlegt. Gemäss dem Artikel hätte er bereits am 14. Mai ins aargauische Gefängnis überführt werden sollen, doch der Termin sei verschoben worden.
In Lenzburg sitzt der Häftling laut der «Republik» nun ebenfalls in einer Sicherheitszelle in Isolationshaft, die aber unter einem weniger strengen Regime geführt wird. «Carlos» dürfe jeden Tag im Hof spazieren, dies ohne Fuss- und Handfesseln, dafür mit einem Fussball, berichtet das Onlinemagazin. Das Setting sehe für «Carlos» eine schnelle Lockerung der Haftbedingungen vor, falls sich dieser in den ersten zwei Wochen bewähre.
Samuel Helbling, Sprecher des Aargauer Innendepartements, bestätigt auf Anfrage, dass «Carlos» aus der Pöschwies in die Justizvollzugsanstalt Lenzburg verlegt wurde. Dies sei «vor einigen Tagen» geschehen, sagt Helbling, ohne auf Details einzugehen. Zu den Haftbedingungen von «Carlos» und dem Regime für Spaziergänge für ihn in Lenzburg könne er sich aus Sicherheitsgründen nicht äussern, sagt er.
Es sei im Strafvollzug aber durchaus üblich, dass auch Häftlinge aus anderen Kantonen in Lenzburg untergebracht würden. «Es ist ein modernes Gefängnis mit hohen Sicherheitsstandards und es gibt den umgekehrten Fall, in dem Straftäter aus dem Aargau in anderen Kantonen in Haft sind», erklärt Helbling. Ein Beispiel dafür ist Thomas N., der Vierfachmörder von Rupperswil, der in der Pöschwies einsitzt.
Kosten entstehen dem Kanton aufgrund der Verlegung von «Carlos» in das Aargauer Gefängnis laut Helbling keine, diese trägt weiterhin der Kanton Zürich. Er hält fest, die Verantwortung für den Strafvollzug bleibe trotz der Verlegung in den Aargau bei den Zürcher Behörden. Zu den Gründen, weshalb der Straftäter nun in Lenzburg einsitzt, gibt der Mediensprecher keine Auskunft. Helbling sagt allerdings, der Kanton Aargau habe das Recht, «Carlos» wieder nach Zürich zu überstellen, wenn es mit dem Häftling in Lenzburg zu Problemen kommen sollte.
Offen bleibt die Frage, wie die Verlegung von «Carlos» aus der Strafanstalt Pöschwies nach Lenzburg überhaupt möglich wurde. Noch Ende April hatte Thomas Manhart, der Chef des Zürcher Amts für Justizvollzug, laut einem Artikel der «NZZ» gesagt, die Gewaltbereitschaft von «Carlos» lasse eine Lockerung des Regimes oder eine Verlegung in ein anderes Gefängnis nicht zu. Auf die Nachfrage der AZ, warum sich diese Einschätzung geändert hat, gibt es von den Zürcher Behörden keine Antwort.
Fragen zu einer konkreten Person, die sich noch dazu in einem laufenden Verfahren befinde, dürfe man «aus Gründen des Amtsgeheimnisses sowie des Daten- und Persönlichkeitsschutzes» nicht beantworten. Rebecca de Silva, Kommunikationsbeauftragte beim Zürcher Amt für Justizvollzug, äussert sich nur generell. «Straftäter, die mit der Unterbringung in einer Institution nicht einverstanden sind, haben jederzeit die Möglichkeit, ihre Kritik über eine Beschwerde oder auf dem Rechtsweg unter Beizug eines Rechtsbeistandes zu artikulieren», hält sie fest.
Es scheint wahrscheinlich, dass Thomas Häusermann, der Rechtsanwalt von «Carlos», einen entsprechenden Antrag gestellt hat. Häusermann war für eine Stellungnahme zu Fragen der AZ bisher nicht erreichbar. Gegenüber der «NZZ» hatte er kritisiert, viele Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen seinen Mandanten stünden in direktem Zusammenhang mit der Situation im Vollzugssystem. Diese bezeichnete der Anwalt von «Carlos» als unerträglich, in der Pöschwies würden nicht einmal die Minimalstandards eingehalten.