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Fall Anna: Nicht einmal Freunde dürfen das Mädchen besuchen

Fall Anna: Nicht einmal Freunde dürfen das Mädchen besuchen

Das Mädchen Anna, das nach der Flucht ihrer Grossmutter mit ihm in die Schlagzeilen geriet, darf weiterhin nur von ihrer Mutter und vom Kindsvertreter besucht werden. Nun prüft der Kanton Aargau, ob die Neunjährige reisefähig ist.
03.06.2015, 08:1903.06.2015, 09:35
reto fuchs
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Ein Artikel von
Aargauer Zeitung

Das Dossier der Neunjährigen Anna (Name geändert) wird täglich grösser – und damit der Unmut von Beni Hess. Annas Vater versucht mithilfe seines Anwalts zu verhindern, dass seine Tochter nach Mexiko zurückgeführt wird.

Der Vereinbarung, sie nach einem mehrmonatigen Schweiz-Aufenthalt nach Mexiko zurückzubringen, kam Hess nicht nach. Darauf meldete die Mutter dies als Kindsentführung den Behörden.

Den jüngsten Entscheid traf am Freitag, 29. Mai, das Obergericht. Er liegt der AZ vor. Darin bestätigen die Aargauer Richter ihr eigenes Urteil vom 6. Mai.

Damals hatte das Gericht die Rückführung von Anna nach Mexiko angeordnet– gestützt auf das Bundesgerichtsurteil von Ende April. Dieser Entscheid sei verbindlich, die Voraussetzungen der Rückführung seien «grundsätzlich nicht noch einmal zu überprüfen», hält das Obergericht jetzt fest.

Eine Neubeurteilung dränge sich «nur in engen Grenzen auf» und setze «wesentlich geänderte Umstände voraus». Dennoch wurde der Vollzug ausgesetzt. Grund dafür: Als Anna vom Entscheid erfuhr, verschlechterte sich ihr Zustand. Ein Arzt bescheinigte ihr eine «akut auftretende Suizidalität». Anna beteuerte selbst, sie wolle nicht nach Mexiko, sondern bei ihrem Vater und neu gewonnenen Freunden in der Schweiz bleiben.

Gericht sieht Gefahr

Just diese Personen – Vater Beni Hess und Spielkameradinnen aus der Nachbarschaft – dürfen derzeit Anna weder besuchen noch mit ihr sprechen. Vergeblich hatten der Anwalt des Vaters sowie der unabhängige Kindsvertreter das Gericht darum gebeten.

Dem Kindsvertreter und der Mutter sind Besuche erlaubt. Abgesehen davon gilt ein «vollständiges Besuchs- und Kontaktverbot». In Bezug auf den Vater und dessen Umfeld heisst es im Urteil, Hinweise liessen auf «eine einseitige und kindeswohlgefährdende Beeinflussung» schliessen.

Zudem gehe man von einer Entführungsgefahr durch den Kindsvater aus. Beni Hess sagt, er habe sich immer an alle Vorschriften und Anordnungen gehalten. «Ich habe nie etwas Illegales getan oder versucht», so Hess.

Seine Mutter Martina, Annas Grossmutter, hatte ihre Enkelin allerdings zwischenzeitlich nach Frankreich gebracht, um die Rückschaffung zu verhindern. Jetzt wirft das Gericht Beni Hess vor, er solle «alles unternommen haben, um ein Auffinden des entführten Kindes zu verhindern». Hess sagt, das sei «völliger Blödsinn»: «Ich habe ja nicht einmal gewusst, wo sie waren.»

Das Mädchen wurde jetzt aus der kantonalen psychiatrischen Klinik in Königsfelden in ein Kinderheim nach Brugg gebracht. Hier wird abgeklärt, ob Anna «reisefähig ist und ob ein erheblicher körperlicher oder seelischer Schaden» durch einen Vollzug der Rückführung zu befürchten wäre.

Annas Grossmutter im Beitrag der «Rundschau».
Annas Grossmutter im Beitrag der «Rundschau».screenshot via srf.ch

Kontakt zu Anna ist Angehörigen nur per Brief erlaubt. Doch auch dies unter Bedingungen: Der Kindsvertreter muss die Briefe vor der Übergabe sichten. Zuschriften sind nur dann erlaubt, wenn sie «den Loyalitätskonflikt des Kindes nicht erhöhen und sich in keiner Art und Weise zum laufenden Verfahren äussern».

Laut Beni Hess wurden bereits zwei Schreiben von Nachbarn zurückbehalten, weil lieb gemeinte Wünsche als Durchhalteparolen interpretiert worden seien. «Der Kontakt zu jeglichen Schweizer Bezugspersonen wird meiner Tochter so verwehrt», bedauert Hess. Offenbar habe sich die Justiz in den Kopf gesetzt, die Rückführung durchzusetzen. Seine Hoffnung schwinde.

Feri fragt Bundesrat

Für das Vorgehen des Bundes im Fall Anna interessiert sich jetzt auch die Politik. Die Wettinger SP-Nationalrätin Yvonne Feri reicht diese Woche in Bern eine Interpellation ein. «Ich finde es unglaublich schwierig, was hier abgeht. Jetzt brauchen wir Fakten von unserem Staat», sagt Feri.

Sie will unter anderem wissen, ob das Kindswohl beim Bundesgerichtsentscheid im Mittelpunkt gestanden hatte und ob das Expertennetzwerk, das in solchen Fällen als Care-Team beigezogen werden müsste, involviert war. Recherchen der AZ zeigen: Das Netzwerk müsste seit Jahren bestehen – in Fachkreisen wird dies aber stark bezweifelt.

Am Montag wird Feri zudem in der Fragestunde den Bundesrat mit dem Fall konfrontieren. Mit gezielten Fragen will sie die Rolle des Bundesamts für Justiz durchleuchten. Zudem wird sie eine Frage aufwerfen, die bislang keiner der mit dem Fall Betrauten beantworten konnte: Gilt Mexiko als Kriegsgebiet? Wäre dies der Fall, wäre Annas Rückführung kaum möglich. Unabhängige Institute beurteilen dies wegen des anhaltenden Drogenkriegs so, Regierungsorganisationen wie die UNO nicht.

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