Schweiz
Justiz

Eltern sollen behindertes Kind getötet haben – Prozess im Aargau beginnt

«Ich würde es wieder tun»: Angeklagte Eltern sprechen von «Hilfe» für tote Tochter

Vor dem Bezirksgericht Bremgarten AG müssen sich ab dem heutigen Montag die Eltern und die Grossmutter eines dreijährigen Mädchens verantworten.
09.09.2024, 14:4609.09.2024, 18:02
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Vor dem Bezirksgericht Bremgarten AG hat am Montag die Verhandlung um die Tötung eines schwer behinderten dreijährigen Mädchens im Mai 2020 begonnen. Beschuldigt sind die Eltern und die Grossmutter des Kindes. Die Eltern sprachen konsequent von «Hilfe» für ihre Tochter und vermieden den Begriff «töten».

Die Staatsanwaltschaft beschuldigt die Eltern laut Anklageschrift des Mordes an ihrer Tochter. Sie hätten skrupellos und krass egoistisch gehandelt. Das Kind sei ihnen lästig geworden, sie hätten es loswerden wollen. Zu bestrafen seien sie mit je 18 Jahren Freiheitsentzug.

Bezirksgericht Bremgarten
Der fall wird vor dem Bezirksgericht Bremgarten verhandelt.

Die Grossmutter habe nichts unternommen, um die Tochter und deren Lebenspartner von der Tat abzubringen. Wegen Gehilfenschaft zum Mord seien für sie fünf Jahre angemessen. Für alle drei aus Deutschland stammenden Beschuldigten fordert die Anklägerin je 15 Jahre Landesverweis.

«Weder skrupellos, noch Mörder»

Er fühle sich «weder als skrupellos, noch als Mörder», sagte der 34-jährige Vater des Mädchens. Und auch die 32-jährige Mutter sagte auf die Fragen des Gerichts, sie habe ihre Tochter «nicht ermordet», sie habe ihr geholfen. Es stimme nicht, dass ihr Kind ihnen lästig gewesen sei, und sie es loswerden wollten, versicherten beide. Sie hätten ihre Tochter sehr geliebt.

Schon früh hatten die Eltern Entwicklungsverzögerungen beobachtet. Als das Kind neun Monate alt war, wurden schwere zerebrale Schäden diagnostiziert, ausgelöst durch eine Viruserkrankung der Mutter in der Schwangerschaft. Dem anfangs fröhlichen Kind sei es immer schlechter gegangen, so die Eltern. Es konnte kaum schlucken, hatte ständig Schmerzen und immer häufiger Krämpfe.

«Es tat weh, sie leiden zu sehen»

Man habe bemerkt, wie sehr die Tochter gelitten habe, sagte der Vater. Sie sei auch zunehmend frustriert und traurig gewesen, weil der Körper nicht tun konnte, was sie gerne getan hätte. «Es tat weh, sie leiden zu sehen.»

Was immer sie auf Rat der Ärzte und Therapeuten unternahmen, sie hätten der Tochter einfach nicht helfen können. Sie hätten gesehen, dass es immer schlimmer um sie stand. Da hätten sie das Kind erlösen wollen.

Einen konkreten Plan hätten sie nicht gehabt. Klar sei bloss immer gewesen, dass das Mädchen ohne Angst und Schmerzen sollte einschlafen können.

Als im Herbst 2019 die Kleine wieder einmal heftige Krämpfe gehabt und panisch geschrien habe, hätten sie ihr einen Schoppen mit einer Überdosis Schlafmittel gegeben, sagte der Vater. Als sie wieder aufgewacht sei, sei er glücklich gewesen. Die Anklage wertet dies als Mordversuch.

Mutter und Tochter waren immer zusammen

Das Kind in eine Institution abzugeben, war vor allem für die Mutter keine Option. Sie und die Tochter waren immer zusammen, das Kind liess sich nur von ihr füttern. Eine Trennung sei nicht in Frage gekommen. Nur stundenweise konnte die Grossmutter das Kind betreuen.

Sie wisse, dass die Tat strafrechtlich verfolgt werde, sagte die Mutter. Es sei «in Ordnung, heute hier zu sein». Und der Vater erklärte, «es war das Beste für unsere Tochter und das Schlimmste für uns». Beide sagten auf entsprechende Fragen des Gerichts, sie würde es wieder tun – für ihre Tochter.

Grossmutter wusste von den Drogen

Die heute 52-jährige Grossmutter räumte in ihrer Befragung ein, ihre Tochter habe ihr gegenüber erwähnt, dass man das Kind «erlösen» wolle, wenn sich dessen Zustand weiter extrem verschlechtere. Sie habe ihr im Frühling 2020 auch erzählt, dass ihr Freund zu diesem Zweck Ecstasy besorgt habe.

Sie sei entsetzt gewesen. Bis heute wisse sie aber nicht, wie sie hätte reagieren sollen. Wäre sie zur Polizei gegangen, hätte man Kind und Eltern getrennt. Das wäre ja auch nicht gegangen.

Am Abend des 6. Mai nahm die Mutter ihre dreijährige Tochter auf den Schoss. Sie gab ihr einen Schoppen mit einer hohen Dosis Ecstasy und einem Schlafmittel. Das Mädchen wurde benommen, nahm die Eltern nicht mehr wahr. Dann legte der Vater ihm ein Tuch übers Gesicht und blockierte mit seine Hand die Atemwege, bis es tot war.

Am Dienstag folgen die Plädoyers der Staatsanwältin und der drei Verteidiger, die – wenn nötig – am Mittwoch fortgesetzt werden. Die Urteilseröffnung ist für Freitag vorgesehen. (rbu/hkl/sda)

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67 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Nuni
09.09.2024 09:47registriert Januar 2021
Ein Kind ist gestorben.
Ich persönlich finde, man sollte hier die Kommentarfunktion deaktivieren.
Wir alle kennen die genauen Umstände nicht, können nur spekulieren.
Es ist so oder so sehr tragisch.
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Snowy
09.09.2024 08:30registriert April 2016
Bei diesem Thema gilt ganz speziell, was sonst auch gilt:

Grosse Zurückhaltung mit der eigenen Meinung, wenn man entweder nur wenig Ahnung von der Materie oder nicht selber betroffen ist (oder beides).

Traue unseren Richtern zu, dass sie diesen Fall und vor allem die Umstände sehr genau durchleuchtet haben, und dass das Strafmass daher gerecht ist.
Ganz im Gegenteil zu Menschen welche aufgrund von ein paar Sätzen sich anmassen zu wissen, dass die Strafe viel zu niedrig sei.
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Pumpido
09.09.2024 07:11registriert Mai 2017
Schwierig, hier zu urteilen.
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