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Staatsanwaltschaften verlieren ihr Beschwerderecht gegen Haftentscheide

Staatsanwaltschaften verlieren ihr Beschwerderecht gegen Haftentscheide

10.01.2023, 13:20
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Die Staatsanwaltschaften sind nicht mehr berechtigt, Beschwerde gegen Haftentscheide von Zwangsmassnahmengerichten einzulegen. Dies hat das Bundesgericht entschieden. Es ändert damit eine langjährige Rechtspraxis anhand des Tötungsdeliktes von Spreitenbach AG.

Die Justizmitarbeiter trifft keine Mitschuld am Suizid des St. Galler Lehrermörders Ded Gecaj. Symbolbild
Das Bundesgericht geht neu nicht mehr davon aus, dass die Staatsanwaltschaften ein Beschwerderecht in Haftsachen haben.Bild: KEYSTONE

Im konkreten Fall hiess das Zwangsmassnahmengericht Ende Oktober ein Gesuch um Haftentlassung des seit Februar 2022 inhaftierten Beschuldigten gut. Nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft wurde dieser Entscheid jedoch aufgehoben. Ebenso ermöglichte ein Weiterzug durch die Staatsanwaltschaft eine abermalige Verlängerung der Untersuchungshaft. Auch diesen Entscheid focht der Betroffene an.

Das Bundesgericht geht neu nicht mehr davon aus, dass die Staatsanwaltschaften ein Beschwerderecht in Haftsachen haben, wie eine öffentliche Beratung am Dienstag gezeigt hat. Es folgt damit nicht mehr seiner rund zehnjährigen Rechtspraxis, die immer wieder kritisiert wurde.

In der Strafprozessordnung ist nämlich nicht ausdrücklich vorgesehen, dass die Staatsanwaltschaften Beschwerde gegen Entscheide über die Anordnung, die Verlängerung und die Aufhebung der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft einlegen können. Das Bundesgericht ging diesbezüglich aber von einem Versehen des Gesetzgebers aus.

Die Kritiker bemängelten unter anderem, dass es für die Einschränkung des Grundrechts auf persönliche Freiheit einer ausdrücklichen gesetzlichen Grundlage bedürfe, diese aber fehle.

Nur ein Wort ergänzt

In der voraussichtlich im kommenden Jahr in Kraft tretenden Strafprozessordnung wurde der entsprechende Gesetzesartikel nun so ergänzt, dass «einzig» der verhafteten Person Rechtsmittel zur Verfügung stehen. Damit fällt laut Bundesgericht die bisherige Annahme weg, dass sich der Gesetzgeber über diesen Punkt ausgeschwiegen habe.

Die Mehrheit der Richter hält dies nicht für eine so genannte Vorwirkung der noch nicht in Kraft getretenen revidierten Strafprozessordnung. Vielmehr werde der jetzige Gesetzestext anders angewandt. Auch sehen die Richter keine Gefahr für die Rechtssicherheit, weil die revidierte Strafprozessordnung bald in Kraft tritt.

Neuer Entscheid

Für den Beschuldigten von Spreitenbach heisst die teilweise Gutheissung seiner Beschwerde nicht, dass er wie beantragt, sofort frei kommt. Der Fall geht zurück an das Zwangsmassnahmengericht. Dieses muss neu entscheiden und allenfalls auch über Ersatzmassnahmen befinden.

Der 57-jährige Schweizer wurde im vergangenen Februar festgenommen. Die Staatsanwaltschaft Baden beschuldigt ihn, einen 74-Jährigen mit einem Messer getötet zu haben. Er selbst wurde bei der Auseinandersetzung ebenfalls durch drei Messerstiche in den Oberkörper verletzt.

Hintergrund der Tat soll eine nicht nach dem Willen des Beschuldigten verlaufene Liebesbeziehung mit einer Frau gewesen sein. Einen Tag vor der Tat soll sie ihm gesagt haben, dass sie nicht alleine sei. An jenem Tag soll der 57-Jährige gesehen haben, wie die Frau mit dem damals ihm noch nicht namentlich Bekannten wegfuhr.

Urteil 1B_614/2022 vom 10.1.2022

(sda)

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