In Genf startet diese Woche ein Prozess wegen Menschenhandels, der schweizweit für Aufsehen sorgt. Ein bulgarischer Familien-Clan soll in seinem Heimatland Menschen aus prekären Verhältnissen rekrutiert und unter anderem in Genf sowie Lausanne für sich betteln lassen haben. Insider verglichen die Vorgänge in einer Recherche von CH Media mit einem «Familienunternehmen».
Ein Sohn und sein Cousin sind rechtskräftig zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Der Vater (52) sowie seine Ehefrau (53) und ein weiterer Sohn (34) müssen sich seit Montag vor dem Genfer Strafgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Trio vor, mit «ihren» Bettlerinnen und Bettlern mehrere hunderttausend Franken verdient zu haben. Das Geld soll ins Glücksspiel und in die Renovierung des Hauses der Familie in Bulgarien geflossen sein.
«Wir hoffen, mit dem Genfer Fall neue Erkenntnisse zu gewinnen, wie der Rekrutierungsprozess genau abläuft und die Abhängigkeit der Bettler konkret ausgenutzt wird», sagte Alexander Ott, Chef der Berner Fremdenpolizei und Experte im Kampf gegen den Menschenhandel, zu dieser Zeitung. Denn obwohl Ausbeutung im Rahmen der Strassenbettelei in Schweizer Städten vermutet wird, kommen selten Fälle vor Gericht. Ein grosses Problem: Bettlerinnen und Bettler sind vulnerable Menschen, die normalerweise gegenüber der Polizei keine Aussage machen - und falls doch, wiederholen sie diese vor Gericht nicht.
Anders ist dies beim Genfer Fall. Gegen das Trio aus Bulgarien, das der Minderheit der Roma angehört, sagen eine Bettlerin und ein Bettler aus. Sie haben Anzeige erstattet. Das Besondere: Beim Mann handelt es sich um den dritten Sohn des beschuldigten Ehepaares. Laut Anklageschrift soll ihn der Vater ab dem Alter von elf Jahren in Griechenland betteln geschickt haben - teils unter Anwendung von physischer und psychischer Gewalt. Eine Narbe eines Messerstiches auf seinem Arm soll davon zeugen. Die Staatsanwaltschaft schätzt, dass der Vater dank dem bettelnden Sohn zwischen 2011 und 2015 rund 140'000 Euro eingenommen habe.
Der 53-Jährige streitet dies vor Gericht ab: «Ich habe nie von meiner Frau oder meinen Kindern verlangt, zu betteln.» Sie hätten dies aus eigenem Antrieb getan. Später ergänzt der Bulgare unter Tränen: «Ich habe niemandem etwas getan. Ich habe mich immer um das Wohlergehen meiner Kinder gekümmert.»
Nach dem Aufenthalt in Griechenland versuchte die Familie ab 2015 in halb Europa ihr Glück in der Strassenbettelei. Zuerst in Österreich und Dänemark, später in Toulouse, und seit 2018 in Genf. Er habe festgestellt, dass die Schweiz ein «ziemlich ruhiger Ort» zum Betteln sei, erklärte der Vater vor Gericht. Mehr zu verdienen als in anderen Ländern gibt es ihm zufolge aber nicht.
Geht es nach der Staatsanwaltschaft, entwickelte sich indes ein regelrechtes Business. Die Anklageschrift führt über ein halbes Dutzend Personen auf, die der Clan zum Betteln nach Genf oder Lausanne geschickt habe - unterschiedlich lang, aber mit demselben Ablauf. Die mutmasslichen Opfer seien in Bulgarien aufgrund ihrer Verletzlichkeit und Isolation ausgewählt und in der Schweiz in Notunterkünften untergebracht worden.
Ein Beispiel ist ein alkoholabhängiger Bulgare mit finanziellen Problemen. Der beschuldigte Familienvater habe ihn wohl für 100 Franken «gekauft» und auf den Strassen Genfs eingesetzt. Gemäss Anklage verdiente der Bettler im Sommer 2021 zwischen 50 und 100 Franken pro Tag - respektive musste er diesen Betrag dem Clan abgeben. Nur für seine Grundbedürfnisse sei gesorgt worden.
Die Rekrutierung und Einsatzplanung soll laut Staatsanwaltschaft Sache des 52-jährigen Vaters und in geringerem Ausmass des 34-jährigen Sohnes gewesen sein. Die 53-jährige Mutter habe derweil bei der Überwachung mitgeholfen - sprich die Arbeitsmoral der Bettlerinnen und Bettler überprüft. Entsprechend sind die Männer wegen Menschenhandels angeklagt, die Frau als Komplizin.
Die Verteidigung weist diese Vorwürfe zurück. Nur den Strafbestand der illegalen Aufenthalte in der Schweiz anerkennen die Beschuldigten an.
Es werde unterstellt, dass sein 52-jähriger Mandant «der Pablo Escobar der Bettelei in Genf und Lausanne» sei, kritisierte etwa Anwalt Jonathan Cohen. Dabei habe seine Verhaftung im August 2021 keineswegs das Ende der Bettelei der Roma-Gemeinschaft in der Region bedeutet.
Die Verteidigung wird ihre Plädoyers im Verlauf der Woche halten. Der Prozess dauert bis am Donnerstag. Im Falle einer Verurteilung drohen Haftstrafen von bis zu zehn Jahren. (aargauerzeitung.ch)
Ich kann nicht verstehen, wie solche Bettelclans in der Schweiz noch immer Kasse machen können.
Die Schweiz braucht endlich strengere Gesetze gegen Mafia-Clans.
Ja, Kollektivstrafen sind eines Rechtsstaates nicht würdig, aber bei Clan-Finanzen sollte die Haftung auf das ganze Vermögen übergehen.
Ebenfalls wäre es angezeigt, lebenslange finanzielle Haftung möglich zu machen. Das gilt für CS-Bankster genau so wie Drogen-Mafioso oder eben wie hier solche aus dem Menschenhandel-Milieu.