Der Mann ist unerschrocken und unbestechlich. Er war Staatsanwalt des Kantons Tessin und Mafia-Jäger, er spürte im Auftrag des Europarats CIA-Geheimgefängnisse in Europa auf, er ermittelte wegen Organhandel gegen die kosovarische Befreiungsarmee UCK, er untersuchte Dopingfälle im Radsport. Das sind nur einige der Stationen in der Karriere des Tessiners Dick Marty (74), der auch jahrelang für die FDP im Ständerat sass.
Jetzt äussert sich der erfahrene Jurist Marty zu den seltsamen Methoden von Bundesanwalt Michael Lauber (53). Dieser traf sich am Rande von Strafverfahren um die Fifa wiederholt mit Gianni Infantino, dem Nachfolger von Sepp Blatter an der Spitze des Weltfussballverbands. Ohne dass diese Treffen, die teilweise im Berner Nobelrestaurant Schweizerhof stattfanden, protokolliert wurden. Infantino war nicht nur Fifa-Boss, er war als früherer Generalsekretär der Uefa, gegen die ebenfalls Ermittlungen liefen, ein mögliches Ziel der Bundesanwaltschaft.
Er kenne den konkreten Fall nicht, könne also «nur generell antworten», schickt Dick Marty voraus. Für ihn steht fest: «Ein vertrauliches Treffen ist vertretbar; auf jeden Fall muss man aber eine interne Notiz machen, die nötigenfalls für ein allfälliges Verfahren wichtig sein kann oder die man der Aufsichtsbehörde vorzeigen kann». Für den ehemaligen Staatsanwalt und Sonderermittler ist klar: «Keine Notiz zu machen, ist überhaupt nicht professionell.»
Lauber gab im November letzten Jahres zu, 2016 zwei «Koordinationstreffen» mit dem Fifa-Boss absolviert zu haben. Ohne diese Treffen, deren genauer Sinn und Inhalt bis heute nicht klar ist, zu dokumentieren. Die von Marty als unabdingbar bezeichnete «Notiz» hatte Lauber demnach nicht gemacht.
Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft AB-BA gab Lauber in der Folge Ende 2018 die «Empfehlung» ab, «übergeordnete Treffen im Sinne der Nachvollziehbarkeit künftig zu dokumentieren, auch wenn sie keinen Bezug zu einem Strafverfahren haben». Die Bundesanwaltschaft hielt dieser Tage auf Anfrage fest, dass sie die Empfehlung sofort umgesetzt habe. Das heisst, dass sie derartige Treffen heute dokumentiert.
Aber aus dem Schneider war Lauber damit nicht, die Vergangenheit holte ihn ein. Anfang 2019 stiess ein Sonderermittler auf Spuren eines dritten Treffens von Lauber mit Infantino. Es fand 2017 statt, ebenfalls im Berner «Schweizerhof», und war von den Teilnehmern verschwiegen worden. Angeblich erinnerte sich keiner mehr daran. Die Bundesanwaltschaft erwähnte das Treffen zunächst gegenüber dem Ermittler, der Vorwürfe gegen einen Kumpel von Infantino untersuchte, ebenfalls nicht. Später räumte sie aber ein: Sie sei auf Hinweise gestossen, «welche auf ein weiteres Treffen zwischen Bundesanwalt Michael Lauber und dem Fifa-Präsidenten Gianni Infantino im Juni 2017 schliessen lassen.»
Was jedenfalls heisst, dass Lauber auch dieses dritte Treffen nicht dokumentiert hatte. Anders ist ja wohl nicht zu erklären, dass die Bundesanwaltschaft im Dunkeln tappt und bis heute nicht genau sagen kann, was es mit dem Treffen auf sich hatte und wer alles dabei war.
Erfahrenen und korrekt arbeitenden Ermittlern wie Dick Marty stehen ob solcher Praktiken der obersten Strafverfolgungsbehörde die Haare zu Berge. Denn das ist der beste Weg, Strafverfahren zu beschädigen. Verteidiger von Beschuldigten reiben sich die Hände, sie können den Ermittlern Befangenheit und Kungelei vorwerfen.
Jetzt steht die Frage im Raum, ob Lauber das dritte Treffen mit Infantino bewusst verschwiegen hat beziehungsweise ob er gelogen hat. Auf die Frage von CH Media, ob ein Staatsanwalt lügen dürfe, sagt der ehemalige FDP-Ständerat Marty: «Ein Staatsanwalt kann eine Auskunft verweigern, wenn es im Interesse des Verfahrens ist. Eine Lüge zu erzählen, zum Beispiel um sich gegen ein Disziplinarverfahren zu schützen, ist nicht akzeptabel. Als Staatsanwalt ist man dann nicht mehr tragbar.»
Die Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft unter dem ehemaligen Zuger Regierungsrat Hanspeter Uster (Grüne) untersucht den Fall seit einem Monat und prüft die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Bundesanwalt Lauber. Im Sommer will sich dieser von der Bundesversammlung als Bundesanwalt wiederwählen lassen. Ob es zu dieser Wiederwahl kommt, steht in den Sternen.