Der Ukraine-Krieg hat dem F-35 mächtig Auftrieb verliehen. Die Absegnung des bundesrätlichen Kaufentscheids durch das Parlament gilt als Formsache (der Ständerat hat schon zugestimmt), obwohl eine Volksinitiative den US-Jet stoppen will. Nun deuten Enthüllungen von Radio SRF jedoch auf Ungereimtheiten rund um das Sechs-Milliarden-Geschäft hin.
Konkret geht es um die Rolle Frankreichs, das sich intensiv um den lukrativen Deal bemüht hatte. Regierungsmitglieder kamen persönlich nach Bern, um für den Rafale von Hersteller Dassault zu werben. Präsident Emmanuel Macron telefonierte dreimal mit dem damaligen Bundespräsidenten Guy Parmelin. Umgekehrt reisten Bundesräte nach Paris.
Das Magazin «Republik» hatte darüber Anfang Jahr berichtet. Nach dem Entscheid für den US-Konkurrenten war der Ärger in Paris entsprechend gross. Und das womöglich nicht zu Unrecht, denn die Berichte von Radio SRF lassen darauf schliessen, dass der Bundesrat den Franzosen bis zuletzt Hoffnungen machte, sie würden den Zuschlag erhalten.
Als Verteidigungsministerin Viola Amherd am 30. Juni 2021 den Entscheid für den F-35 bekannt gab, erklärte sie, politische Erwägungen hätten keine Rolle spielen dürfen. Es zähle einzig das Ergebnis der technischen Evaluation, und dort habe der US-Jet seine drei Mitbewerber klar hinter sich gelassen. Ganz so eindeutig war die Sachlage aber nicht.
So habe der Sicherheitsausschuss (SiA) des Bundesrats am 15. März, als die technische Evaluation weitgehend abgeschlossen war, eine «geheime Arbeitsgruppe» eingesetzt, berichtete Radio SRF am Samstag. Sie sei von Livia Leu, der Staatssekretärin im Aussendepartement, geleitet worden und «hochkarätig» besetzt gewesen.
Die Arbeitsgruppe hatte demnach den Auftrag, «politische Gegengeschäfte» mit den anbietenden Ländern auszuloten – mit den USA, Frankreich, Deutschland und Grossbritannien. Und das zu einem Zeitpunkt, als das Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) bereits gewusst haben müsse, dass der F-35 im Testverfahren klar das Rennen machte.
In der Arbeitsgruppe war auch Pälvi Pulli vertreten, die Chefin Sicherheitspolitik im Verteidigungsdepartement VBS. Dieses bestätigte gegenüber Radio SRF die Existenz des Gremiums, betonte aber gleichzeitig, es habe Anfang Mai zum letzten Mal getagt: «Über Kontakte anderer Departemente mit Frankreich können wir uns nicht äussern.»
Bislang stellt sich das VBS auf den Standpunkt, Aussenminister Ignazio Cassis und Finanzminister Ueli Maurer hätten eigenmächtig mit Frankreich weiter verhandelt, als das Ergebnis der Evaluation bereits feststand. Wenn solche Gespräche stattgefunden hätten, «dann ohne mein Wissen», sagte Bundesrätin Amherd im Januar gegenüber «CH Media».
Diese Version wird durch am Freitag veröffentlichte SRF-Recherchen erschüttert. Demnach liess der Gesamtbundesrat nur eine Woche vor dem definitiven Kaufentscheid in Paris eine schriftliche Bestätigung anfordern, dass man zu politischen Gegengeschäften bereit sei, wenn die Schweiz sich für den französischen Rafale entscheiden würde.
Das Schreiben aus Paris ist gemäss dem Bericht vom 28. Juni 2021 datiert und wurde von Wirtschaftsminister Bruno Le Maire unterzeichnet. Er bestätigte, dass die Schweiz einen grösseren Anteil aus der Grenzgänger-Besteuerung erhalten sollte (3,5 Milliarden Franken über zehn Jahre) und Paris sich bei der EU für die Schweiz einsetzen würde.
Weder das VBS noch Bundesratssprecher André Simonazzi wollten die Existenz des als «geheim» klassifizierten Dokuments bestätigen, mit Verweis auf die Vertraulichkeit von Bundesratssitzungen. Radio SRF beruft sich auf vier voneinander unabhängige Quellen. Der Bundesrat habe den Brief in der Sitzung vom 30. Juni zur Kenntnis genommen.
Die SRF-Enthüllungen lassen auch das Gutachten in einem neuen Licht erscheinen, das das VBS laut der NZZ «in letzter Minute» beim Bundesamt für Justiz (BJ) in Auftrag gab. Es ist ebenfalls vom 28. Juni datiert und bestätigt, dass der Bundesrat rechtlich verpflichtet sei, dem wirtschaftlich günstigsten Angebot den Zuschlag zu erteilen, also konkret dem F-35.
Hat das VBS angesichts der Verhandlungen über politische Gegengeschäfte «kalte Füsse» bekommen und sich kurz vor Torschluss absichern wollen? Mit den Berichten des SRF stellen sich auch Fragen zur Rolle von VBS-Chefin Viola Amherd. Sie müsste von Amtes wegen über die Arbeitsgruppe wie auch das Schreiben aus Paris Bescheid gewusst haben.
In erster Linie aber sind sie ein weiterer Beleg für die strategischen und taktischen Defizite in Bundesbern selbst bei einem heiklen Geschäft wie der Kampfflugzeug-Beschaffung. Es erstaunt deshalb nicht, dass die Franzosen sauer sind. Und sie lassen darauf schliessen, dass die Vertrauenskultur im Bundesrat «miserabel» sein müsse, wie die NZZ moniert.
Werden die Berichte Einfluss auf den Parlamentsentscheid zur Armeebotschaft 2022 haben? Das ist nicht zu erwarten. Man kann im Gegenteil davon ausgehen, dass die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat den F-35-Kauf in der Herbstsession erst recht durchdrücken wird, ohne Rücksicht auf die Volksinitiative von GSoA, SP und Grünen.
Ein Indiz dafür sind auch die empörten Reaktionen auf den am letzten Freitag veröffentlichten Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle, der den vereinbarten Fixpreis für den F-35 und die Wartungskosten anzweifelte. Anfang September wird ein Bericht der nationalrätlichen Geschäftsprüfungskommission zum Evaluationsprozess erwartet.
Am Entscheid für den F-35 wird das nichts ändern. Aber nach den neusten Enthüllungen bleibt ein Nachgeschmack. Sie erhärten den Eindruck, dass Bundesrat und Verwaltung bei komplexen Geschäften häufig nahe oder jenseits der Überforderung agieren.