Der Entscheid galt mehr oder weniger als Formsache. Am Ende wurde es ultraknapp. Mit nur 50,1 Prozent Ja oder 8000 Stimmen Vorsprung wurde der Kredit von sechs Milliarden Franken für die Erneuerung der Kampfjet-Flotte im letzten September angenommen. Verteidigungsministerin Viola Amherd war mit einem tiefblauen Auge davongekommen.
Gegen das Projekt «Air 2030» hatten vor allem Westschweizer, Frauen, Junge und Menschen aus der urbanen Schweiz gestimmt. Nach dem Absturz des schwedischen Gripen E 2014 war die Beinahe-Pleite der Ersatzbeschaffung für den F/A-18 ein weiteres Indiz dafür, wie sehr die «Heilige Kuh» Armee in der Bevölkerung an Rückhalt verloren hat.
Dennoch will Amherd den Kampfjet-Kauf durchziehen. Schon bald soll feststehen, welchen der vier im Rennen verbliebenen Typen die Luftwaffe erhalten soll. «Der Bundesrat wird noch vor den Sommerferien entscheiden. Das halten wir ein», sagte die Verteidigungsministerin kürzlich in einem NZZ-Interview. Als Basis dient der Evaluationsbericht von Armasuisse.
Über die Entscheidungsfindung in der zuständigen Behörde ist bislang nichts nach aussen gelangt. Kenner der Materie sehen die beiden europäischen Bewerber, den französischen Rafale und den Eurofighter (ein Gemeinschaftsprojekt von Deutschland, Grossbritannien, Italien und Spanien) im Vorteil gegenüber F-35 und F/A-18 Super Hornet aus den USA.
Die Basis für den Entscheid sei «ganz klar das Kosten-Nutzen-Verhältnis», betonte Viola Amherd in der NZZ. Sie könne es nicht vertreten, aus politischen Gründen ein Flugzeug zu kaufen, «das viel teurer oder viel schlechter ist als ein anderes», meinte die Walliserin. Bei vergleichbaren Kosten und Nutzen stelle man jedoch auch politische Überlegungen an.
Das ist eine Art Binsenweisheit, denn grundsätzlich gelten alle vier Typen als geeignet, um den Schweizer Luftraum ab 2030 für mindestens weitere 30 Jahre zu überwachen und zu schützen. Weshalb politische Fragen durchaus eine Rolle spielen. Eine Verknüpfung der Beschaffung mit dem umstrittenen EU-Rahmenabkommen gilt dabei als ausgeschlossen.
Dennoch könnte der Jet-Kauf für politischen Goodwill sorgen. Mit dieser Annahme spielen auch die Herstellerländer. Zuletzt hatte sich Viola Amherd sowohl mit ihrer deutschen Amtskollegin Annegret Kramp-Karrenbauer als auch mit US-Verteidigungsminister Lloyd Austin ausgetauscht. Die Französin Florence Parly kam sogar persönlich nach Bern.
Sie rührte vor den Medien kräftig die Werbetrommel für den Rafale und versprach der Schweiz die Hoheit über ihre Daten. Es gebe keine Blackbox in den Systemen. Diese würden nach einem Kauf allein der Schweiz gehören. Es war ein klarer Seitenhieb gegen die US-Jets, bei denen der Verdacht besteht, sie würden aus Washington «ferngesteuert».
Es gebe sogar einen «Kill Switch», mit dem die USA die schweizerischen F/A-18 oder F-35 grounden könnten, wird kolportiert. Die Gerüchte veranlassten die Amerikaner zu einer Charmeoffensive. F-35-Hersteller Lockheed Martin lud Schweizer Journalisten in den USA zu einem Besuch im Fertigungswerk in Fort Worth im Bundesstaat Texas.
Ausserdem gab es eine Einladung ins Aussenministerium in Washington. «Jedes Flugzeug, das die Schweiz kauft, wird ihres sein und ausschliesslich ihres. Die Vereinigten Staaten werden keine Kontrolle darüber haben», bekräftigte die für regionale Sicherheit und Waffentransfers zuständige Chefbeamtin Laura Cressey laut den Tamedia-Zeitungen.
Cressey betonte, die Jets enthielten keine Blackbox und auch keinen «Kill Switch». Dennoch befinden sich die beiden US-Flieger im Gegenwind. Der «fliegende High-Tech-Computer» F-35 ist auch in seinem Herkunftsland umstritten. Er gilt als zu teuer und zu anfällig. Donald Trumps letzter Verteidigungsminister Christopher Miller bezeichnete ihn als «ein Stück Sch...».
Die Super Hornet von Boeing ist eine Weiterentwicklung der heutigen F/A-18 und damit im Prinzip eine ideale Nachfolgerin. Nun aber gibt es gemäss Tamedia Zweifel an der Belastbarkeit. Tests zeigten eine hohe Anfälligkeit für Risse, die schon heute bei den F/A-18 für Probleme sorgen. Statt mindestens 30 betrage die Lebensdauer keine 20 Jahre.
Boeing bestreitet strukturelle Probleme, doch im kleinen und anspruchsvollen Schweizer Luftraum ist die Belastung der Kampfjets besonders hoch. Hinzu kommt, dass SP, Grüne und die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) nun ihre am Abstimmungssonntag angedrohte Volksinitiative lancieren wollen, um den Kauf eines US-Jets zu verhindern.
Schon 1993 hatte die GSoA auf diesem Weg versucht, die F/A-18 zu bodigen, und in nur 30 Tagen 500’000 Unterschriften gesammelt, von denen 180’000 beglaubigt wurden. In der Volksabstimmung aber kam sie «nur» auf 45 Prozent Ja, weil Verteidigungsminister Kaspar Villiger (FDP) den Kampfjet-Kauf zum Entscheid pro oder kontra Armee stilisierte.
Heutzutage dürfte dies um einiges schwieriger werden, wie das hauchdünne Ja im letzten September zeigte. Mit solchen Bedenken im Hinterkopf könnte der Bundesrat erst recht auf eine europäische Lösung setzen. Allerdings sind die «Störmanöver» von links damit nicht vom Tisch. Das zeigt eine Motion der Zürcher SP-Nationalrätin Priska Seiler-Graf.
Sie fordert den Bundesrat laut NZZ auf, «prioritär die Beschaffung des Gripen C/D zu prüfen». Der schwedische Hersteller Saab hatte ursprünglich den weiterentwickelten Gripen E ins Rennen geschickt, doch er konnte für die Tests in Payerne kein taugliches Flugzeug liefern und wurde deshalb vom Verteidigungsdepartement VBS «aussortiert».
Seiler-Grafs Vorstoss dürfte bei den Bürgerlichen im Parlament durchfallen. Er zeigt aber, mit welch harten Bandagen gekämpft wird. Das gilt erst recht für die Herstellerländer und -firmen. Negative Berichte wie jener über die Risse bei der Super Hornet gelangen nicht selten über Konkurrenten an die Medien. Im Ausland ist oft Schmiergeld im Spiel.
Vor diesem Hintergrund muss der Bundesrat entscheiden. Und angesichts der Tatsache, dass das Spektrum der Risiken für die Schweiz «zunehmend breiter» wird, wie Viola Amherd im April bei der Vorstellung des neuen Sicherheitsberichts sagte. Dazu gehören Cyberangriffe und Desinformation.
Welcher Kampfjet dabei welche Rolle spielen kann und soll, wird man spätestens am 30. Juni wissen. Dann findet die letzte Sitzung vor der Sommerpause statt. Einiges deutet darauf hin, dass Frankreich mit dem Rafale das Rennen macht.