Beschlagnahmte Autos, eine Kryptowährung und eine Art Guru – welche Rolle spielte Zug?
Am 22. Juni 2021 schlug die Justiz zu. Die belgische Tageszeitung «Het Laatste Nieuws» titelte: «Kryptocoin Vitae scheint ein Betrug zu sein: Justiz nimmt Website offline und beschlagnahmt Token».
Fünf Personen wurden verhaftet, 1,1 Millionen Euro in bar, 1,5 Millionen Euro in Kryptowährung und 17 Luxusautos beschlagnahmt. Auch die Schweizer Bundespolizei (Fedpol) führte zeitgleich mehrere Hausdurchsuchungen durch, wie Europol mitteilte. Die kriminelle Gruppe, mehrheitlich Belgier, habe sich «einer Gesellschaft schweizerischen Rechts bedient». Die Gesellschaft hatte ihren Sitz bei einer Anwaltskanzlei in Zug.
Diese kriminelle Organisation hatte laut Europol eine eigene Social-Media-Plattform und eine Website mit dem Namen Vitae benutzt, um weltweit Leute zu betrügen. Es werde angenommen, «dass rund 223'000 Personen aus 177 Ländern Opfer dieses Anlagebetrugs geworden sind».
Schneller Reichtum für Mitglieder
Das war im Juni 2021. Die Vitae-Plattform befand sich damals in einer Expansions- und Rekrutierungsphase für neue Mitglieder. Ihr damaliges Haupt-Aushängeschild, der Belgier Z., lud bis zu seiner Verhaftung immer öfter zu «Business Infos» via Zoom.
Der Mann trat wie ein Guru auf, versprach Reichtum für alle Teilnehmer innert kurzer Zeit. So rief er einmal auf Telegram zum Kauf eines «Tickets» auf. Und versprach: «Du lernst in drei Tagen, wofür Du sonst mindestens drei Jahre brauchst.» Diese drei Tage «im Kreis von Gleichgesinnten aus aller Welt sind bestimmt, 2021 zum besten Jahr in deinem Leben zu machen». Und weiter: «Du bist 297 Dollar davon entfernt, alles zu ändern. Das ist geschenkt!»
Einmal posierte der Frontmann auch mit dem früheren belgischen Fussball-Nationaltorhüter Jean-Marie Pfaff. Dieser sagte später einer Zeitung, er sei an eine jüdische Feier in Antwerpen eingeladen worden, und Z. habe ihn um ein Bild gebeten. Das sei alles; er habe nichts mit der Kryptowährung zu tun.
Vitae-Frontmann Z. war seit Ende 2019 auch Verwaltungsrat der Zuger Aktiengesellschaft, von der in der Europol-Mitteilung die Rede ist. Die AG war im August 2019 eingetragen und zunächst von einem Zuger Anwalt als einzigem Verwaltungsrat geführt worden. Vier Monate später traten auch Z., ein belgischer Anwalt und ein Brite ein. Dieses Personal steht im Zentrum der belgischen Ermittlungen, die immer noch andauern.
Zuger Kanzlei wehrt sich gegen Rechtshilfe
Auf Machenschaften einer belgischen Krypto-Mafia bezogen sich auch zwei Entscheide, die das Bundesstrafgericht kürzlich publizierte. Daraus geht hervor, dass die belgische Justiz gegen mehrere Personen und Firmen in Belgien, aber auch in Zug ermittelt. Es geht um Betrug, Geldwäscherei und Bildung einer kriminellen Organisation. Angeblich flossen die Gewinne aus dem Schneeball-System über Treuhandstrukturen, die von einer Zuger Kanzlei betreut worden seien. Die Kanzlei bestreitet die Vorwürfe und versucht, Rechtshilfe an Belgien zu verhindern.
Ob dieser Fall identisch ist mit dem Vitae-Fall, ist nicht zweifelsfrei feststellbar, obwohl es klare Überschneidungen gibt. In Belgien wurden in den letzten Jahren mehrere grosse Betrugssysteme mit Kryptowährungen aufgedeckt. Vertreter der Zuger Anwaltskanzlei reagierten am Freitag bis Redaktionsschluss nicht auf eine Anfrage zum Fall Vitae.
Die Schweizer Bundesanwaltschaft bestätigt aber, dass sie im Vitae-Zusammenhang ein Rechtshilfegesuch aus Belgien vollziehe. Sie selbst führe «zurzeit kein Strafverfahren in diesem Kontext», so Sprecher Matteo Cremaschi.
Vitae-Mitglieder: «War gar kein Betrug»
Hinzu kommt, dass der Fall Vitae umstritten ist. So ist eine Organisation namens «We Are Vitae» aktiv, die angibt, es habe sich bei dem Token und der Plattform gar nicht um Betrug gehandelt.
Ein Sprecher dieser Gruppe, hinter der angeblich 20'000 Vitae-Benutzer stehen, gibt auf Anfrage an, bei Vitae habe es sich um «eine innovative europäische Social-Media-Plattform ohne süchtig machende Algorithmen» gehandelt. Er schiebt allerdings nach: «Sofern nicht vor Gericht das Gegenteil bewiesen wird».
Der Sprecher erklärt sich so: «Ich sage nicht, dass nichts passiert ist, ich sage nur, dass es bisher keine Beweise für Betrug gibt.» Die belgischen Gerichte hätten «auch nach fünf Jahren Ermittlungen noch immer keinen einzigen Beweis vorgelegt». Zudem habe «keines der 230'000 Mitglieder von Vitae eine Klage gegen Vitae» eingereicht. Die Behörden hätten ein soziales Erfolgsmodell gekillt, so die Darstellung dieser Gruppe.
Die angeblich fehlenden Beweise befinden sich möglicherweise in den Bankunterlagen, die die Bundesanwaltschaft den belgischen Kollegen via Rechtshilfe zustellen will. Sicher ist, dass insbesondere in Zug, das sich selbst «Crypto Valley» nennt, diverse dubiose Fäden zusammenlaufen.
Dubiose Akteure sitzen auch in der Schweiz
Das zeigt auch die weitere Geschichte der AG, über die der 2021 aufgeflogene angebliche Grossbetrug der kriminellen Organisation aus Belgien lief. Die bis dahin bei einer Zuger Kanzlei domizilierte Gesellschaft wurde Anfang 2022 in den Kanton Zürich verschoben.
Das neue Rechtsdomizil gewährte ein Zürcher. Er fiel im Internet unter anderem als Marktschreier eines weiteren dubiosen Projekts auf: Das Projekt versprach lebenslängliche Einnahmen allein durch Gratis-Registrierung auf einer Website und einigen Logins pro Monat.
Es gilt für alle Beschuldigten die Unschuldsvermutung. (aargauerzeitung.ch)