KKS-Schreckensjahr: fatales Telefonat, mächtige Feinde – und Tabu-Foto mit Trump
Karin Keller-Sutter im Gespräch mit Donald Trump. Beide gut gelaunt. Beide freundlich.
Es ist das offizielle Foto des Weissen Hauses vom Empfang am Rande der Uno-Vollversammlung in New York im September. Die Bundespräsidentin respektive ihr Stab haben es nie veröffentlicht. Auch auf Nachfrage der «Schweiz am Wochenende» bleibt es unter Verschluss. Bewusst. Zu sehr wirkt der Schock vom 31. Juli nach, als Trump nach einem Telefonat mit Keller-Sutter einen Zoll von 39 Prozent auf Schweizer Güter verhängte. Sich nur nicht dem Vorwurf aussetzen, die Bundespräsidentin wolle das ramponierte Image korrigieren. Oder sich gar in den Vordergrund drängen. Die Verhandlungen über die Zölle sind offiziell die Sache von Wirtschaftsminister Guy Parmelin und seiner Staatssekretärin Helene Budliger.
Das Telefonat als erstes grosses Verhängnis
Das freundliche Foto widerspricht einer Erzählung, die sich längst verselbstständigt hat. Trump habe Keller-Sutter als oberlehrerhaft empfunden, als sie ihn am 31. Juli wegen der Zölle angerufen habe. Der «Sonntagsblick» berichtete ausführlich über die amerikanische Sicht auf das Gespräch. Trump habe nicht ein Problem mit der Schweiz sondern mit Keller-Sutter. Er wolle nichts mehr mit dieser Frau zu tun haben: «I've done with her.»
Auch jetzt, wo die Schweiz einen Deal mit den USA erreicht hat und die Zölle auf 15 Prozent sinken sollen, wird weiter an der Erzählung geschliffen. Die «NZZ am Sonntag» schrieb, dass das Umfeld der Schweizer Unternehmer, die es zu Donald Trump ins Oval Office geschafft haben, genüsslich verbreiten, wie schlecht Keller-Sutter gegenüber Trump performt habe. Statt auf Fox News sei die St. Galler Magistratin bei Tele-Züri aufgetreten. Ungefragt werde erzählt, wie der US-Präsident am US Open in der Rolex-Lounge schlecht über sie geredet habe. Ob dies stimmt oder nur eine Wandersage ist – es lässt sich nicht überprüfen.
Für alle Welt nachlesbar ist hingegen die britische «Financial Times». Sie zog diese Woche über die Schweizer Bundespräsidentin her. Zu Wort kamen vor allem Kritiker, die etwa zu wissen glauben, wie Trump zu besänftigen gewesen wäre: Keller-Sutter «hätte nur mit einer goldenen Rolex auftauchen und ihn bezaubern müssen». Aber sie habe sich eben geweigert, pragmatisch zu sein. Die Kritiker bleiben – natürlich – anonym.
Offene Rechnungen, Frauenhass und Häme
Die Demontage der Bundespräsidentin ist in vollem Gange. Die Häme trieft seit jenem verhängnisvollen Telefonat ohne Ende. Doch woher kommt sie?
Dazu kursieren verschiedene Theorien. Die leidigste davon, dass gewisse ältere Männer auch im Jahr 2025 noch Mühe haben mit starken Frauen, die ihren Macht- und Gestaltungsanspruch nicht kaschieren. Ein Schuss Misogynie – sprich Frauenhass spiele da mit. Der Aargauer SVP-Nationalrat Andreas Glarner sagte im «SonnTalk» unverblümt, die Schweiz hätte besser eine Blondine zu Trump geschickt, als Keller-Sutter anrufen zu lassen.
Als oberlehrerhaft werden in diesem Land ausnahmslos Bundesrätinnen bezeichnet. Auch Simonetta Sommaruga wurde dieser wenig schmeichelhafte Charakterzug zugeschrieben – oder Doris Leuthard, wenn sie resolut auftrat.
Die zweite Spur führt zu Keller-Sutters wichtigstem Geschäft. Es gehe darum, die Finanzministerin zu destabilisieren. Keller-Sutter will, dass die UBS mehr Eigenkapital aufbauen muss, um sie krisenfester zu machen. Dagegen wehrt sich die Grossbank mit allen Mitteln. Ein intensives Lobbying ist im Gange. Dieses findet auch über die angelsächsischen Medien statt.
Der neue globale Kommunikationschef der UBS lebt in London und arbeitete früher für die Financial Times und Reuters – jene Medien, die mit «exklusiven» Storys über den drohenden Wegzug der Bank aus der Schweiz berichten. Die UBS ist ein Grund dafür, weshalb Keller-Sutter als einzige Bundesrätin auch international Beachtung findet.
Schliesslich ist die Fallhöhe bei Keller-Sutter besonders gross. Keine zwei Jahre ist es her, als die «Finanical Times» KKS zu den 25 einflussreichsten Frauen der Welt zählte. Nach der Rettung der Credit Suisse spielte sie in derselben Liga wie Olena Selenska oder Beyoncé. Hohe Erwartungen hat nicht nur Keller-Sutter an sich selbst – sondern auch die Öffentlichkeit.
Die Kehrseite ihrer Macht: die Fallhöhe
So war alles angelegt für ein glänzendes Präsidialjahr. Endlich war die informelle Chefin des Bundesrates auch die offizielle Chefin. Das Präsidialjahr bietet den Bundesräten die Möglichkeit, aus der kleinen Schweiz auszubrechen und die internationale Bühne zu bespielen. Wer könnte das besser tun als KKS, weltgewandte Bundesrätin aus der Ostschweiz; gelernte Konferenzdolmetscherin – mit ihrem akzentfreien Oxford-Englisch?
Dass mit der Wahl von Donald Trump die USA eine wichtige Rolle in ihrem Präsidialjahr spielen würden, hat Keller-Sutter geahnt. Dass die Beziehung zwischen den «Sister Republics» auf die Probe gestellt werden könnte ebenfalls. Sie las noch über Weihnachten Trumps Buch «The Art of the Deal». Wollte vorbereitet sein; alles richtig machen. Und sie meinte, Trump zu verstehen. «Das System Trump ist ein System der Ankündigungen, ein System des Schocks», sagte sie gegenüber dem Westschweizer Fernsehen RTS. Der Zoll-Eklat war dennoch ein Schock, den auch sie nicht kommen sah.
Keller-Sutter ist nie eine langweilige Interviewpartnerin, plaudert auch mal aus dem Nähkästchen, ist weniger diskret als andere Bundesräte. Sie konnte sich das leisten. Es hat mit ihrer unangefochtenen Stellung in der Regierung zu tun.
Andere Bundesräte würden nie an die grosse Glocke hängen, dass sie «The Art of the Deal» gelesen haben; würden Fragen ausweichen, weshalb sie den Umgang mit Männern mit grossen Egos beherrschen. Keller-Sutter spricht stattdessen von ihren älteren Brüdern, denen sie sich unterordnen musste und ihrem strengen Vater. Wenn es gut kommt, ist das eine tolle Erzählung. Wenn es schlecht kommt, eben Naivität. Wer vergleicht schon seine grossen Brüder mit Donald Trump?
Noch Anfang Juli sprach Keller-Sutter in einem Interview davon, dass sie einen «Zugang» zu Donald Trump gefunden habe. Selbstbewusst. Und schnell widerlegt. Ein Satz, der ihr genüsslich um die Ohren geschlagen wird.
Und – auch das ist verbürgt – in Bundesbern gibt es nicht wenige, die nur darauf gewartet haben, dass der Glanz ein paar Kratzer bekommt. Dass sie eingemittet wird. Dass auch Karin Keller-Sutter Fehler passieren.
Von diesen Kratzern gab es ausgerechnet im Präsidialjahr einige. Als US-Vizepräsident J.D. Vance an der Münchner Sicherheitskonferenz mit Europa abrechnete, sagte Keller-Sutter, es sei eine «liberalen Rede gewesen, in einem sehr schweizerischen Sinne, wenn er sagt, man müsse auf die Bevölkerung hören.»
Dann die Verhärtungen mit der UBS im Kampf um die neuen Eigenkapitalvorschriften – ihr wichtigstes Geschäft. Keller-Sutter will die Risiken für die Steuerzahler minimieren. Doch es gibt mittlerweile sogar Linke, die ihre Kompromisslosigkeit nicht mehr verstehen und befürchten, dass die Bank noch in die USA verscherbelt werden könnte.
Kritiker verweisen zudem auf ihr mangelndes Engagement im EU-Dossier. Kein Interview zu den umstrittenen neuen EU-Verträgen. Keine Erwähnung in Reden. Selbst SVP-Bundesrat Guy Parmelin spricht offensiver über das Vertragspaket als Karin Keller-Sutter.
Die Grenzen des Amts
Präsidialjahre gehören zu den Höhepunkten in den Bundesratskarrieren. Man erlebt sie nur ein- oder zweimal. Man darf an der Olma-Eröffnung ein Säuli halten und an der Uno-Vollversammlung in New York zur Weltöffentlichkeit sprechen. Manche machen mehr oder weniger spektakuläre Reisen. Der damalige SVP-Bundespräsident Ueli Maurer traf in einem Jahr die Präsidenten der USA (Trump), Russland (Putin) und China (Xi Xiping).
Aus Neutralitätsgründen besuchte Simonetta Sommaruga im Jahr darauf den ukrainischen Präsidenten Selenski (alles noch vor dem russischen Angriffskrieg, aber nach der Besetzung der Krim).
Alain Berset wiederum liess sich 2018 von einem Fotografen durch das Jahr und die Welt begleiten. Ein Bild, wie er im Anzug auf dem Trottoir in New York sitzt und seine Notizen durchgeht, geht viral. Es soll Bodenständigkeit vermitteln, ist aber genauso wenig zufällig entstanden wie jenes von Karin Keller-Sutter, die im Januar beobachtet wurde, wie sie am WEF in Davos im Migros-Restaurant Pommes Frites ass.
Die meisten Präsidialjahre verlaufen unspektakulär. Ausser in Krisenzeiten. Dann muss die Bundespräsidentin für den Zusammenhalt sorgen – und die richtigen Worte finden. Es sind meist äussere Einflüsse, die darüber entscheiden, ob und allenfalls wie ein Bundespräsident überhaupt wahrgenommen wird.
Dabei, so hat es einmal der langjährige Bundesratssprecher Oswald Sigg beschrieben, werde die Rolle des Bundespräsidenten unterschätzt. Er sei die wichtigste Person im Gremium. Nicht nur während den Sitzungen, die er vorbereitet und leitet, sondern auch weit darüber hinaus. Er könne anderen Bundesratsmitgliedern Aufträge erteilen und sagen: Klär du dies und das ab. «In einem kollegialen Gremium sind das scharfe Mittel der Macht.»
Von Karin Keller-Sutter ist weder ein Motto für das Präsidialjahr noch eine spektakuläre Auslandsreise in Erinnerung. Bekannt ist, dass sie die Zusammenarbeit im Bundesrat wieder verbessern wollte. Von Aussen scheint dies gelungen, die Indiskretionen haben abgenommen. Geholfen hat hier wohl aber vor allem der Rücktritt von Verteidigungsministerin Viola Amherd Anfangs Jahr.
«Nicht nur ich war Präsidentin – sondern auch Trump»
Noch sechs Wochen dauert das Präsidialjahr von Keller-Sutter. Das Parlament wird sich im Dezember mit dem Budget befassen und mit dem grossen Sparpaket. Innenpolitisches Ringen um die angespannten Bundesfinanzen. An Silvester wird sie den Stab an Guy Parmelin übergeben – begleitet von einem simplen Tweet. Von grossen Bilanzinterviews sieht sie ab.
Sie sei ein bisschen müde, sagte sie am Freitagabend bei einer Veranstaltung der Westschweizer Tageszeitung «Le Temps». Sie sprach von den Krisen seit ihrer Wahl 2019. Corona, Ukraine-Krieg, CS-Affäre, Bankenregulierung und verschlechterte Bundesfinanzen. «Und in diesem Jahr war nicht nur ich Präsidentin – sondern auch Donald Trump.»
Sie erzählte von ihrer Begegnung mit Trump im September. «Er war sehr sympathisch, hat sich gefreut mich zu sehen. Und er hat mir versichert, dass wir eine Lösung finden werden.»
Es ist der Kommentar zum Tabu-Bild des Jahres.
Mit Trump scheint Keller-Sutter versöhnt. Das Präsidialjahr hat er ihr aber zünftig vermasselt. (aargauerzeitung.ch)
